Der Neandertaler
Auf den Spuren des ersten Europäers

Schon mehrfach sind im Wissenschaftlichen Literaturanzeiger Veröffentlichungen zum Altmenschen von Martin Kuckenburg positiv angezeigt worden. Zur 150.-jährigen Wiederholung des Jahrestages der Auffindung des Neandertalers gibt der Autor nun eine Forschungschronik heraus, in der er die Forschungsgeschichte und ihre ideellen Hintergründe, Quellen und Befunde sowie eine forschungskritische Analyse zusammengestellt hat.
Von einer ausführlichen wissenschaftsgeschichtlichen Darstellung her kommend, verbindet Kuckenburg die verschiedenen theoretischen Ansätze des 19. Jahrhunderts zu Herkunft, Aussehen und Temperament des Neandertalers mit dem aktuellen Kenntnisstand der Paläontologie. Der Leser kann so selbstständig abschätzen, welche der verschiedenen Lehrmeinungen zur Stellung des Altmenschen gegenüber dem modernen Homo sapiens tragfähig sind.
Detailfreudig referiert Kuckenburg über Jagdtechnik, kulturelle Entwicklung und technisches Vermögen der sog. Vorzeitmenschen. Immer wieder schlägt er den Bogen zur aktuellen Debatte um Neandertaler und Homo sapiens, zeigt auf, wie in vordergründiger Situation mal der animalische, mal der intelligente Urmensch in der modernen Forschung bevorzugt wird, vor allem aber, wie inkonsequent die Bewertung um die Menschwerdung ausfällt: All zu oft wird in der Wissenschaft verdrängt, dass der Mensch in seiner Entwicklung vom tierischen verhalten geprägt gewesen ist, der Urmensch also nicht ins animalische abfällt, sondern sich eben erst daraus entwickeln muss.
In bester journalistischer Manier hat Kuckenburg die relevanten Forschungsberichte studiert und in ein höchst lesenswertes Kompendium gepackt. Die z. T. in verschiedene Richtungen strebenden Forschungsstränge hat er sauber systematisiert und gegenüber gestellt. Die dabei entstandene Übersicht macht den Einstieg in eine sehr komplexe Materie ' was sowohl der Forschungsgegenstand an sich, seine wissenschaftlichen Analyseverfahren und die öffentlichen, oftmals auch kirchlich geprägte Diskussion bedingt ' für den interessierten Leser leicht, vielleicht sogar erst möglich. Wiederum hat Martin Kuckenburg einen mehr als erfreulichen Band vorlegen können.