Der sog. Große und sog. Kleine Sonnenhymnus gehören zweifelsohne 'zu den bekanntesten und berühmtesten Texten des pharaonischen Ägypten' (S. 98). Jene Werke der 'Amarnazeit' (Mitte des 14. Jhs. v. Chr.) sollen auf den Pharao und bekannten religiösen Reformator dieser Zeit Echnaton zurückgehen. Zusammen mit seinem favorisierten Sonnengott Aton und seiner berühmten Gemahlin Nofretete bildete er in seiner Hauptstadt Amarna ein theologisches Dreigestirn aus, das die bisherigen Gottesvorstellungen im alten Ägypten revolutionierte. Oft wird von dem ersten Monotheismus der Welt gesprochen, scheinbar war dies in der Konzeption Echnatons auch beabsichtigt, umgesetzt werden konnte es in der kurzen Regierungszeit, die ihm blieb, jedoch nicht.
Neben diesem monotheistischen Konzept gibt es vor allem Analogien zum Psalm 104, sodass die Sonnenhymnen wie generell die Religion Echnatons immer wieder mit dem frühen Israel in Verbindung gebracht werden und Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung des Alten Testaments gehabt haben sollen.
Aus diesem fach und kulturübergreifenden Interesse heraus, existieren gerade zu den Sonnenhymnen ' besonders zu dem 'großen' ' zahlreiche Übersetzungen. Neu ist hingegen die synoptische (jedoch nicht lineare) Anordnung der hieroglyphischen Abschrift gegenüber einer deutschen Übertragung.
Aus Platzgründen will sich der Rezensent bei seiner Besprechung lediglich auf den 'Großen Sonnenhymnus' konzentrieren; das dort Gesagte gilt in vielerlei Hinsicht auch für die 'kleinen' Parallelen. Herausgeber Bayer beschreibt sein übersetzerisches Vorgehen als 'einen Mittelweg', indem er auf eine 'allzu strenge wörtliche Wiedergabe' des Textes in deutscher Sprache verzichtet, 'ohne sich dabei im Sinne einer Nachdichtung' aber 'zu weit vom Original zu entfernen' (S. 36). Diese vorgegebene Einschränkung des Interpretationsspielraums (im Sinne von 'so genau wie möglich, so wörtlich wie nötig') ist positiv zu werten. Konkret orientiert er sich dabei zum einen an bereits vorliegenden Übersetzungen ' diese wären wenigstens im Literaturverzeichnis zu ergänzen z.B. um Roeder, Urkunden (1915); H. Greßmann, Altorientalische Texte zum Alten Testament, 2. Aufl., 1926, 15-18; Simpson, Literature (1972); Donadoni, Testi (1987); Brunner, Religion (1989) ' und zum anderen an stilistischen Analysen von Reiche und Kahl. Ein Problem ist im übersetzerischen Einzelfall, sich entweder nach der altägyptischen Bildsprache oder nach der deutschen Gebrauchsform richten zu müssen (Ausgangs- vs. Zielsprache).
Gleich auf Seite 9, Zeile 4 in dem sog. lehrhaften Namen des Gottes Aton ist der Leser mit einem dieser oben angesprochenen Übersetzungsfragen konfrontiert: 'Re-Harachte ... in seiner Eigenschaft [wörtl. Namen] als Licht, das in der Sonne ist'. Sicher hat Bayer recht, wenn er hier auf die wirkende Kraft sowie konkrete Benennung und Definition als Sonnenlicht hinweist (vgl. S. 39), so aber, wie er es übersetzt, wird im Leser fälschlich der Eindruck erweckt, es gäbe noch andere Eigenschaften, die benannt werden würden. An dieser Stelle wäre die wortgetreue Übersetzung der sinngemäßen vorzuziehen gewesen, da in der Zielsprache mit dem Namen ebenfalls Eigenschaften verbunden sein können. Dort aber, wo diese spürbare Wirkung des Sonnengottes zum Ausdruck kommt und daher eine sinnhafte Übertragung eine Verbesserung der Übersetzungsqualität bedeutet hätte, zieht Bayer ein relativ aussageloses 'Lebende Sonne' (ägypt. Itn anx) vor. Ein weiteres Beispiel für eine Unterübersetzung findet sich auf Seite 21, Zeile 184: 'Die Augen existieren wegen <deiner> Schönheit bis du untergehst'; gemeint ist natürlich, dass man so lange sehen kann, bis die Sonne untergeht (vgl. S. 11, Z. 48, der Zustand der Dunkelheit; in der Übersetzung vielleicht: 'Die Augen ruhen auf deiner Schönheit ...'), Bayer jedoch suggeriert, man habe keine Augen mehr, die demnach durch den Sonnenuntergang vernichtet werden.
Ein weiteres Übersetzungsproblem des Herausgebers sind die Visualisierungen des Textes bzw. deren Gleichsetzung mit deutschen Begriffen. Auf Seite 13, Zeile 57f. ist abgedruckt '... solange derjenige, der sie erschaffen hat, untergegangen ist an seinem Horizont.', was auf deutsch (untergehen i.S.v. unbeachtet sein, evtl. zugrunde gehen) eine negative Konnotation hervorruft; für das Bild der untergehenden Sonne wird im Deutschen 'hinter dem Horizont verschwunden ist' gebraucht.
Zwei beliebte Arten von Fehlern besonders in der Ägyptologie, auf die Hannig in den Beiheften der Göttinger Miszellen, Band 2 (S. 17f.) aufmerksam macht, lassen sich auch bei Bayer feststellen: Es werden Einwort-Übersetzungen benutzt (d. h. ein ägyptisches Wort immer oder fast immer mit demselben deutschen Wort übertragen), im konkreten Falle xpr stets mit 'entstehen' gleichgesetzt, und (jedoch weniger bedeutend) die Wortfolge des Originals ungern durchbrochen, besonders auffällig bei den übersetzten Namen des Königs ('Re ist vollkommen an Erscheinungsformen' statt 'Re ist an Erscheinungsformen vollkommen'; 'er möge immer und ewig leben' statt 'er möge leben immer und ewig', dann wohl besser: 'er möge leben auf immer und ewig', so auch HWB 1, 2. Aufl., 448) und der Königin sowie bei Satztypen mit 'Emphatischer' Konstruktion.
Auf Seite 11 will der Rezensent zwei Übertragungen nicht folgen: In Zeile 30, 'der das Leben bestimmt', wurde SAa, 'beginnen, anfangen u. a.' (HWB 1, 2. Aufl., 868) verlesen und mit SAj vertauscht; im Deutschen bietet sich die Übersetzung 'mit dem das Leben beginnt' an; in Zeile 48 ergänzt Bayer 'Häupter (von Dunkelheit) verhüllt' ' warum sollen die Köpfe nicht reell z.B.. mit Tüchern verhüllt gewesen sein (um sich so etwa vor Ungeziefer, das in Körperöffnungen eindringen kann, oder Schmutz zu schützen)? Rezensent schlägt für die gesamte Passage die Übersetzung 'Sie schlafen mit verhüllten Köpfen im Gemach/ und kein Auge vermag das andere zu sehen' vor. Letztes Bildmotiv wird nach Ansicht des Rezensenten auf S. 19f., Zeile 161ff. wiederum aufgenommen. Bayer hat seine Übersetzung dieser Passage mit zahlreichen '(?)' versehen, die sicher nicht alle aufzulösen sind. Der Versuch des Rezensenten beginnt mit 'Alle Augen sehen dich in ihnen gegenüber, weil (oder: wenn) du als Sonne des Tages über ihnen bist.' Mit Bayer konform gehend sollte in Zeile 163 die Endung der 3. Pers. pl. zu ergänzen sein. Interpretatorisch spielt die Passage mit der Wendung 'jedes Auge', übertragen 'jedermann, alle Menschen' (HWB 1, 2. Aufl., 99). Sie wäre anfänglich so zu verstehen, dass alle Menschen sich gegenseitig sehen können, da Aton sich in den Augen der jeweils anderen widerspiegelt. Der Gott selbst ist Teil dieser Gesamtheit der Menschen, die der Text mit 'jedes Auge' umschreibt. 'Nachdem Du untergegangen bist, existiert Dein Auge, das Du ihretwegen geschaffen hast, nicht mehr,' führt dieses Bild nun fort, indem sich eines jener 'aller Augen' ' nämlich das des Aton ' entfernt, also die Gesamtheit zerstört; im Falle hier bedeutet dies, man kann einander nicht mehr sehen. Dies hält so lange an, 'bis Du wieder vollständig bist und ein Leib [seinen anderen] (wieder) sieht.', somit 'alle Augen' sich wieder versammelt haben. Der Gedanke schließt mit Zeile 169f.: 'Einzig ist, was Du geschaffen hast.'
Seite 17, Zeile 137 möchte der Rezensent lieber im Sinne Westendorfs, Bemerkungen zum Sonnenhymnus von Amarna, mit 'um ihre Felder mit soviel zu bewässern, wie sie brauchen' übersetzen. Auf Seite 15, Zeile 83 reichen die Sonnenstrahlen bis 'ins Innere' des Meeres, was im Deutschen den Tiefen oder dem Grund des Meeres entspricht. Zur Beschreibung der Sonne auf Seite 11, Zeile 33 passt zu an.tj besser 'schön anzuschauen', die selbst nicht 'glänzt', sondern 'strahlt'. Unterübersetzt ist auf Seite 15, Zeile 93 für 'Bedürfnisse' eines Säuglings zu sorgen; hier sind Nahrung oder Unterhalt gemeint. Die Formulierung 'erhaben an Majestät' (S 17, Z. 131) ist in der Übertragung pleonastisch, besser wäre mit HWB 1 (2. Aufl.), 883, 'groß an Ausstrahlung' o.ä.
Am meisten aber hat den Rezensenten irritiert, dass Bayer in seiner Übersetzung auf die Transkription der altägyptischen Namen, die mit Amarna verbunden sind, generell verzichtet hat. Kein Echnaton, keine Nofretete, kein Aton (wohl aber der ältere ägyptische Sonnengott Re) oder Amarna sind in seinen Text eingeflossen. Für den Interessentenkreis, der dieses Buch vornehmlich kaufen wird, dürfen Aton bzw. Echnaton als bekannte Begriffe vorausgesetzt werden. Unübersetzt sind im Gegensatz dazu 'Per-Iten' und 'Achet-Iten' (S. 9) gebraucht und in den Anmerkungen erläutert. Itn ist ferner einmal mit 'Sonne', dann wiederum mit 'Sonnengott' gleichgesetzt ' so wird es dem Nichtägyptologen unmöglich zu erkennen, welche Namen oder -sbestandteile mit Itn = Aton gebildet worden sind; denn eigentlich ist Re der klassische Sonnengott, Aton hingegen ' aus den bildlichen Belegen zu entnehmen ' die Sonnenscheibe.
In seinem Nachwort passt Bayer dann die Hymnen in ihre Zeitstellung ein, führt sie auf Vorläufertypen zurück und scheidet sie gleichzeitig davon; er schließt mit einer kritischen Betrachtung auf Parallelen in dem weitaus jüngeren Psalm 104 des Alten Testaments und lehnt ' wie der Rezensent auch ' eine direkte genetische Abhängigkeit ab (vgl. S. 126).
Der Aton-Hymnus ist in vielen verschiedenen Lebens- und Wissensbereichen rezipiert worden: Im universitären Umfeld beispielsweise durch Theologie, Religionswissenschaft, Ethnologie, Literaturwissenschaft und der Ägyptologie, literarisch in Nachdichtungen von Ludwig Goldschneider, Manfred Hausmann und Ralph G. Mohnau sowie in Romangestalt von Nagib Machfus und Andreas Schramek oder musikalisch als Bühnenstück von Philip Glass. Sie spiegeln den besonderen Stellenwert dieses altägyptischen Literaturwerkes für die Moderne wider, den Bayer lediglich auf zwei bzw. drei Seiten streift. Stattdessen konzentriert er sich im Nachwort auf (religions-)geschichtliche Aspekte der sog. Amarna-Zeit, wiederholt vieles in der Literatur bereits Bekanntes und z. T. schon in den Anmerkungen Erwähntes. Bayers Vorgehen ist legitim, aber er versäumt dadurch, seinem Buch und seiner Übersetzung einen eigenständigen Charakter zu geben, was ihm gelungen wäre, hätte er es in den rezeptionsgeschichtlichen Kontext gestellt. Seine religionsgeschichtlichen Ausführungen bleiben eher oberflächlich (was auch der Umfang und das Format Reclams Universal-Bibliothek bedingt), und der Ansatz und Wert seiner neuen Übersetzung wird dadurch nicht deutlich. Denn für das, was er im Nachwort beschreibt, genügen die Übertragungen von Assmann und Hornung allemal. Die Beigabe des hieroglyphischen Textes hat keine Bindung zum weiteren Inhalt des Buches; ein zusätzlicher Nutzen für den Leser ' abgesehen vom niedrigen Preis ' gegenüber Standardwerken wie z.B. Schlögl, Echnaton oder Redford, Akhenaten fällt nicht auf.