Genau besehen will Safranski die Quadratur des Kreises: die Romantik als Epoche und als transepochale Mentalität ' als das Romantische ' beschreiben. Dies letztere gibt es dann auch schon, schaut man nur genau hin, bei den Griechen, bei Platon. So wie es ja auch eine Aufklärung ante literas gibt, die sokratische, eben auch bei den Griechen. Man darf vorwegnehmen: Ob ihm die Quadratur gelingt, wird kontrovers bleiben; aber dass Safranski, einschlägig wohl bekannt, ein spannendes, interessantes, allemal lesenswertes Buch vorlegt, das ist dem klar, der auch nur den ersten Absatz des Vorwortes liest: 'Was man um 1800 die 'Romantische Schule' genannt hat, was sich um die Gebrüder Schlegel versammelte, was sich in deren kurzlebiger, aber heftiger Zeitschrift 'Athenäum' selbstbewusst und bisweilen doktrinär zu Wort meldete, dieser entfesselte Spekulationsgeist des philosophischen Beginns von Fichte und Schelling, was in den frühen Erzählungen von Tieck und Wackenroder bezauberte als Vergangenheitssehnsucht und als neu erwachter Sinn für das Wunderbare, diese Hinneigung zur Nacht und zur poetischen Mystik bei Novalis, dieses Selbstgefühl des Neuanfangs, dieser beschwingte Geist einer jungen Generation, die zugleich gedankenschwer und verspielt auftrat, um den Impuls der Revolution in die Welt des Geistes und der Poesie zu tragen ' diese ganze Bewegung hat selbstverständlich eine Vorgeschichte, einen Anfang vor dem Anfang.'
Ein langer, hypotaktischer Satz, der eine Stilistik realisiert, für die man ja kein Publikum mehr erwarten möchte, es gibt es also doch noch, ante Pisam.
Safranski lässt die Romantik beginnen mit Herders Flucht aus Riga, 1769, somit also mit dem Sturm und Drang. Damit aber bleibt anderes Präromantische im 18. Jahrhundert ' die Empfindsamkeit, auch der Pietismus ' außerhalb.
'Der Vormärz hat es [das Romantische] in die Politik gelegt, in die nationalen und sozialen Träume. Dann Richard Wagner und Friedrich Nietzsche, die keine Romantiker sein wollten, aber es doch waren als Jünger des Dionysos. Ungehemmt romantisch war die Jugendbewegung um 1900. Beim Kriegsbeginn 1914 glaubten Thomas Mann und andere, die romantische Kultur Deutschlands gegen die westliche Zivilisation verteidigen zu müssen. Die unruhigen 20er Jahre sind ein Nährboden für romantische Erregungen, bei den Inflationsheiligen, den Sekten und Bünden, den Morgenlandfahrern; man wartet auf den großen Augenblick, auf politische Erlösung. [...] Die Reise durch die bizarre deutsche Geisteslandschaft endet bei dem vorläufig letzten größeren romantischen Aufbruch, bei der Studentenbewegung von 1968 und ihren Folgen.' Versteht man unter den Folgen auch die Grünen und die Neuen Altlinken in der SED-Nachfolge, dann mag das richtig sein. Der Kern der Romantik nämlich ist das Unbehagen ['ein Unbehagen am Wirklichen und Gewöhnlichen'], die Unruhe und die daraus entstehende Sehnsucht: bei den Alten, den echten Romantikern, letztlich die Sehnsucht nach der himmlischen Erlösung, ach, Gott, führ uns liebreich zu dir! (Eichendorff) Mit Heine, bei den Modernen, die Sehnsucht nach dem Himmelreich auf Erden. 'Wir wollen jetzt und heute schon das Himmelreich errichten' ' dichtet der Matratzengruftbewohner, mit dem nächsten Fünfjahresplan.
Der erste Teil des Bandes ('Die Romantik') wird jene nicht zufriedenstellen, die eine enzyklopädische Darstellung erwarten, dafür ist er zu knapp und lückenhaft; man müsste ihn vergleichen mit der Darstellung von Ricarda Huch, die von Safranski nicht mehr genannt wird, tempi passati. Der Leser wird aber einige griffig-treffende Bemerkungen und immer die richtig herausgegriffenen Zitate finden. So, unverzichtbar, 'Die zwei Gesellen' und Eichendorffs 'Frische Fahrt': 'Laue Luft kommt blau geflossen, / Frühling, Frühling soll es sein! / Waldwärts Hörnerklang geschossen, / Mutger Augen lichter Schein; / Und das Wirren bunt und bunter / Wird ein magisch wilder Fluß, / In die schöne Welt hinunter / Lockt dich dieses Stromes Gruß. / Und ich mag mich nicht bewahren! / Weit von euch treibt mich der Wind, / Auf dem Strome will ich fahren, / Von dem Glanze selig blind! / Tausend Stimmen lockend schlagen, / Hoch Aurora flammend weht, / Fahre zu! Ich mag nicht fragen, / Wo die Fahrt zu Ende geht!' 'Und ich mag mich nicht bewahren!': und das von einem praktizierenden Katholiken, der mit dem Heiden Goethe massive Probleme hat. Adorno wusste, warum er den Lieblingstexter der deutschen Gesangvereine ('O Täler weit, o Höhen, o schöner grüner Wald!') nicht deren biergeölten ' Gott, gibt es das Wort? ' Kehlen überließ; er rettete den Schlesier für die lesbare Literatur. Safranski sieht das auch so: 'Eichendorff ist kein Dichter der Heimat, sondern des Heimwehs, nicht des erfüllten Augenblicks, sondern der Sehnsucht, nicht des Ankommens, sondern der Abfahrt.'
Der zweite Teil des Buches ('Das Romantische') hat als problematischen Kern die Frage, ob es sinnvoll ist, diese Mentalität für die Katastrophe des letzten Jahrhunderts verantwortlich zu machen. Die Antwort ist nicht eindeutig, aber entwickelt aus der Kommentierung ebenfalls mit großem Geschick gefundener und festgehaltener Zitate. Man darf eine lange Prozession, eine Perlenkette aller bedeutenden Namen erwarten, ohne Scheu bis hin zu Hitler; dieser 'größte Feldherr aller Zeiten' erklärt im Gespräch mit Hermann Rauschning, der sich dem Dritten Reich durch Flucht entzog: 'Wir stehen vor einer ungeheuren Umwälzung der Moralbegriffe und der geistigen Orientierung des Menschen ... Wir beenden einen Irrweg der Menschheit. Die Tafeln vom Berg Sinai haben ihre Gültigkeit verloren. Das Gewissen ist eine jüdische Erfindung.'
Weil so gedacht wurde, können die Nazis eben nicht als Erben der Romantik gesehen werden.