Erlebnisse und frühere Seereisen

'Seine Kraft liegt in der Kritik, genauer gesagt in der Anklage. Seine Waffe: Schärfe und Ironie.' (H. Terpstra)

Eine Entdeckung ist für den deutschen Leser anzukündigen: Jacob Haafner (1745-1809), 'Antikolonialist mit einer multikulturellen Perspektive' (Paul van de Velde). Man kann gar nicht hoch genug preisen, was der Herausgeber und Übersetzer, Thomas Kohl, er ist auch der Entdecker des Autors für die deutschsprachige Welt, hier geleistet hat. Die holländisch geschriebenen Werke des Deutschen Haafner gehören ins Bücherbord jeder Leseratte (soweit es die noch gibt), jedenfalls aber auch in die Koffer aller Ostasienreisenden, die mehr wollen als Sand und Strand und all inclusive.
Gehen wir medias in res, reden wir nicht über Haafner, lassen wir ihn selber sprechen. 'Der Gerichtshof liegt zwar dicht am Meer, aber die Exekutionen finden im Fort und vor dem Rathaus statt. Sie sind, wie fast immer in den ostindischen Niederlassungen, außerordentlich grausam und unmenschlich, man kennt keine andere Strafe als aufs Rad flechten, lebendig verbrennen und Pfählen. Mag sein, daß es die Standhaftigkeit oder, wenn man will, die Verstocktheit ist, mit der das schwarze 'Viehzeug' den Tod als Erlöser in seinem Leid betrachtet ' denn die Delinquenten in dieser Weltgegend sind fast ausnahmslos Schwarze ', [...].'
Der in Halle a.d.S. 1754 geborene Haafner kann echt in den Text geraten, seine moralische Empörung braucht den rhetorischen Schrei. 'Nein, ihr Schinder von drei Vierteln der bekannten Welt, das glückt euch nicht und wird euch auch nie glücken! Besiegt ihr erst einmal den Blut- und Gelddurst der ausgehungerten Landstreicher, die ihr in hellen Scharen in diese bedauernswerten Regionen schickt und die durch immer neue Quälereien das Los der armen Sklaven erschweren und sie am Ende dazu bringen, den sicheren Tod einem unerträglichen Leben vorzuziehen! Solange diese Gewalttaten und himmelschreienden Ungerechtigkeiten nicht eingedämmt sind, braucht ihr nicht zu hoffen, daß die armen Teufel, die unter eurem eisernen Zepter schuften, Tod oder Folter scheuen [...].'
Es ist nicht so, dass Haafners Beschreibungen nur in der realistischen Wiedergabe von Erlebnissen und Eindrücken aufgingen. Er kann sehr wohl über die Fakten hinausgehende, erklärende Reflexionen anstellen. 'Was einem bei alledem am unglaublichsten vorkommt, ist, daß es vor allem die [europäischen] Frauen sind, die in diesen Ländern die größten Quälereien ausüben und das meiste Vergnügen daran finden, ihre Sklaven zu peinigen. ' Ist es der klimatische Unterschied, der aus den mitfühlenden, sanften Wesen, als die sie sich bei uns gerne präsentieren, die fühllosesten, brutalsten Furien macht? Tun sie es, um der Langeweile zu entgehen? Oder ist es nicht vielmehr die nie gekannte, leider totale Befehlsgewalt über menschliche Geschöpfe, die ihnen den Kopf verdreht und sie zum Mißbrauch verleidet? [...]
Frau v.d.B. in Batavia [...] war auch eine dieser Megären, die ein barbarisches Vergnügen darin fand, die Haussklaven wegen der kleinsten Lappalie drakonisch zu bestrafen und bei der Züchtigung der Unglücklichen anwesend zu sein.'
Haafners Blick geht auf die soziologische Dimension. 'Die Chinesen sind hier das, was bei uns die Juden sind. Ebenso zahlreich wie das Volk Israels, bewohnen sie eine ganze Vorstadt, die man das Chinesische Camp nennt; sie sind es, die alles kaufen, verkaufen, makeln und auch Ladengeschäfte betreiben, durchtrieben und schlau beim Handeln sieht man nie völlige Armut unter ihnen: der eine hilft dem anderen. In ihren Läden halten sie den ganzen Tag über Tee bereit, den sie jedem anbieten, der zu ihnen kommt, er mag etwas kaufen oder nicht. [...] Das war auch der Fall mit den Chinesen in Batavia. Sie vermehrten sich dermaßen von Jahr zu Jahr, daß ihre Menge den Gouverneur und seinen Rat in Unruhe versetzte und sie über ein passendes Mittel nachdachten, um ihre Zahl herabzusetzen und sich gleichzeitig zu Herren ihres Geldes und Besitzes zu machen; sehr viele von ihnen waren nämlich durch den Handel wohlhabend geworden. Man wußte nichts Besseres, als seine Zuflucht zu dem alten, von allen europäischen Nationen so oft benutzten Vorwand der Meuterei und Aufstands zu nehmen, genauer besagt, man beschuldigte sie, sie hätten geplant, die Stadt zu überwältigen und alle Europäer darin zu ermorden.' Den Fortgang dieser Geschichte kann man im 'Palankin', Seite 326f., nachlesen. Es werden bei der Schilderung dieses 'Chinesischen Blutbades' die Worte 'kaltblütig ermordet' und die Zahl '30 000' auftauchen. Die Situation stellt sich heute etwas anders dar, der Herausgeber Kohl kommentiert das deutlich: es gab marodierende arbeitslose Chinesen, wohl 'nur' 10 000 Tote und jedenfalls auch einen Prozess gegen den verantwortlichen Gouverneur. Haafner schießt da in seiner Empörung leicht über das Ziel hinaus, wenn er meint, in Europa habe man die Achseln gezuckt, es seien doch nur Schwarze umgekommen. Das objektive Augenmaß geht auch öfter verloren, wenn er, in holländischen Diensten stehend, über die Engländer herzieht, die für ihn zu besonderen kolonialen Teufeln werden. Seine Wut auf die Briten ist auch privat motiviert; er verliert 'durch verfluchte List und offene Gewalt' sein gesamtes Vermögen, das 'von spitzbübischen Beamten unrechtmäßig für beschlagnahmt erklärt wird'. Dabei gilt für ihn schon: ein Unglück kommt selten allein und: La donn' e mobile. Als seine Verlobte Anna vom Verlust des Vermögens erfährt, verlässt sie ihn. Indes, sein aufklärerisches, humanistisches Bewusstsein verhindert, dass er blind wird: 'Die Engländer hängen, und damit ist die Sache erledigt, der Missetäter mag viel oder wenig Böses ausgefressen haben: sie haben keine andere Todesstrafe als das Hängen ' aber die Holländer, werte Leser! Die Holländer in Ostindien! Bei ihnen können Sie noch all die grausigen Strafen der vorangegangenen barbarischen Jahrhunderte versammelt finden. Bei ihnen können Sie noch Verbrennungen bei lebendigem Leib erleben.' Man liest manches nur einmal und man muss es schnell verdrängen, wenn man weiter ruhig schlafen will (vgl. etwa im 'Palankin' die detaillierte Schilderung einer Pfählung, S. 140ff.).
Scharf rechnet Haafner mit den Missionsunternehmungen ab; er sieht Dummheit, Arroganz, 'unwürdige Aufführung unserer Prediger'. Er widmet diesem Teil der kolonialen Aktivitäten eine eigene Schrift 'Onderzoek naar het nut der zendelingen en zendelings-Genootschapen in de twee laatste eeuwen' (Untersuchung über den Nutzen der Missionen und Missionsgesellschaften in den zwei letzten Jahrhunderten); auch mit dem Zusatz: 'een kritiek op zending en Kolonialisme' (eine Kritik an der Mission und dem Kolonialismus). Viel Gutes sieht er da nicht, römische (in den spanischen und portugiesischen Kolonien) wie reformierte Missionare wollen nur deshalb 'die Heiden zu Christen bekehren, um sich so bequemer von der Arbeit und vom Schweiß dieser unglücklichen Menschen mästen zu können.' 'Bedenke, diejenigen, die aus weitem Abstand Missionsgesellschaften gründen, wissen nicht, wie es unter Europäern in diesen Ländern zugeht. Sie kennen das verächtliche Vorurteil der Weißen gegenüber den indischen Völkern nicht [...]. Es ist ihnen auch nicht bekannt, wie man die Neubekehrten unterdrückt, ihnen schwere Arbeit aufbürdet und tausende Quälereien zufügt, die Menschen aus tierischen Gesellschaften nicht zu Ohren kommen.'
Das angesehene NRC-Handelsblad schrieb 1994, Haafner sei 'unser bester Schriftsteller vor Multatuli', 'und als Stilist und Polemiker in vielen Aspekten ein Vorläufer von Douwes Dekker'. In dieser Besprechung ist es nicht möglich, alles einschlägig Relevante und Interessante aufzählen; dafür möge man in die Bände schauen. Haafner jedenfalls gehört als Beiträger in die postkoloniale Debatte, er ist einer der wichtigsten antikolonialen Schriftsteller.
Thomas Kohls Übersetzung ist mit großer Kompetenz angefertigt. Die ausführlichen Anmerkungen sind lehrreich und aufwendig erarbeitet, Nachworte geben Kontext-Erläuterungen und Register machen Suche und Nachschlagen möglich. Man darf jedem gratulieren, der sich die Bände leistet und so ein großes Vergnügen, auch an tragischen Gegenständen, wie Schiller schrieb, gönnt.