Demokratie ist ohne die Anerkennung unauflösbarer Differenzen nicht zu haben: Das ist das Leitmotiv der politisch-philosophischen Arbeit Chantal Mouffes. Mit ihrer jüngsten Rekonstruktion des Begriffs 'des Politischen' knüpft die britische Philosophin und Professorin für Politische Theorie an das Projekt einer 'radikalen Demokratie' an, dem sie seit dem Erscheinen ihres mit Ernesto Laclau verfassten Bandes 'Hegemony and Socialist Strategy' (1985) verpflichtet ist. Radikal sei demokratische Politik dann, wenn sie gesellschaftlichen Konflikten und den bestehenden Interessensgegensätzen gesellschaftlicher Akteure angemessen Rechnung tragen könne. Die vorliegenden Überlegungen zur Sphäre des 'Politischen' (der 'Dimension des Antagonismus, die ich als für menschliche Gesellschaften konstitutiv betrachte', S. 16) sollen dafür das begriffliche Fundament liefern. Um Politik angemessen beurteilen und also betreiben zu können, brauche es, so Mouffes Kernthese, 'die Anerkennung gesellschaftlicher Spaltung und die Legitimation des Konflikts' (S. 156f.), brauche es, mit anderen Worten, einen Begriff vom Politischen.
Hier nun liege gegenwärtig alles im Argen: 'Ich behaupte, [...] das mangelhafte Verständnis des 'Politischen' in seiner ontologischen Dimension entspringt unserer gegenwärtigen Unfähigkeit, politisch zu denken' (S. 16). Das unterstellt Mouffe vorrangig den liberalen Theoretikern der 'reflexiven Modernisierung', Ulrich Beck und Anthony Giddens. Ein solcher 'rationalistischer und individualistischer Ansatz [...], der kollektive Identitäten nicht anerkennt [...], ist nicht in der Lage, die pluralistische Natur der Welt des Sozialen, samt den Konflikten, die zum Pluralismus gehören ' Konflikten, für die es niemals eine rationale Lösung geben kann ', angemessen zu begreifen' (S. 17). Schuld daran sei der systematische Vorrang konsensualer Willensbildung, der nur mehr zum bloßen Mittel des 'Interessensausgleichs' der als 'Konkurrenten' verstandenen individuellen Konfliktpartner gerate (S. 29). Dass soziale Konflikte nur ausnahmsweise rational lösbar seien, werde dabei ebenso vergessen wie der Umstand, dass die Möglichkeit legitimer Artikulation von Interessen, über die sodann deliberativ konsensual beraten werden könne, allemal bestimmt sei durch gesellschaftliche Kräfteverhältnisse.
Ohne die Beachtung dieser hegemonialen Dimension des Politischen seien die politischen Herausforderungen der Gegenwart ' Mouffe nennt den politischen (Rechts-)Extremismus und den Terrorismus ' nicht lösbar. Werde das Politiktreiben nur an Konsensbildung orientiert, dann seien Akteure wie rechtspopulistische Strömungen in Europa exkludiert, indem sie sich 'außerhalb des Konsenses' stellten. Damit würden sie als politisch gleichberechtigte Gegner nicht mehr ernstgenommen; der Konflikt mit ihnen werde 'im Register der Moral' nicht mehr ausgetragen, sondern moralistisch delegitimiert (S. 99f.). Wenn Akteuren so die Berechtigung zur Artikulation ihrer Interessen genommen werde, dann, so begründet Mouffe die gewiss provozierendste These ihres Buches, sei es kein Wunder, wenn sie ihre antagonistische Position auch mit extremen Mitteln verträten, die 'die Grundlage der bestehenden Ordnung in Frage stellen' (S. 107f.): die liberale Moralisierung der Politik provoziere den Terrorismus.
Mouffe nennt solche Auffassungen folglich 'post-politisch': Sie setzten erst dort an, wo die Ebene hegemonialer Kämpfe um die Möglichkeit zur Partizipation bereits verlassen sei. Sie beruhten mithin, ohne sie selbst thematisieren zu können, auf der exklusiven Wirkung einer 'Wir-Sie-Unterscheidung', die nach Mouffe Wesen und Problem des Politischen ausmache: 'Ungeachtet dessen, was viele Liberale uns glauben machen wollen, liegt die Besonderheit demokratischer Politik nicht in der Überwindung des Wir-Sie-Gegensatzes, sondern in der spezifischen Art und Weise seiner Etablierung' (S. 22). Kronzeuge dieser These ist Carl Schmitt. Freilich gelte es, dessen Auffassung eines feindlichen 'Antagonismus' zum Begriff eines gegnerischen 'Agonismus' abzumildern: 'Während der Antagonismus eine Wir-Sie-Beziehung ist, in der sich Feinde ohne irgendeine gemeinsame Basis gegenüberstehen, ist der Agonismus eine Wir-Sie-Beziehung, bei der die konfligierenden Parteien die Legitimität ihrer Opponenten anerkennen, auch wenn sie einsehen, daß es für den Konflikt keine rationale Lösung gibt. Sie sind 'Gegner', keine Feinde [...]. Als Hauptaufgabe der Demokratie könnte man die Umwandlung des Antagonismus in Agonismus ansehen' (S. 29f.), ein Umwandlung, die immer prekär bleibt und Demokratie notwendig zum Projekt macht.
Wie das der Form nach aussieht, verschweigt Mouffe allerdings. Ihr überzeugendes Plädoyer gegen die moralistische Geringschätzung unversöhnlicher Interessengegensätze und für die Berücksichtigung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse und kollektiver Identitäten offenbart so an entscheidender Stelle Brüche. Nach welchen Kriterien wäre ein Interessenskonflikt nicht mehr bloß gegensätzlich, sondern 'antagonistisch' zu nennen? Wie unterscheiden sich legitime von illegitimen Antagonismen? Der vorrangig der Provokation geschuldete Bezug auf Schmitt lässt Mouffe das Politische als einen permanenten Ausnahmezustand denken, der, will man nicht einem bloßen Voluntarismus das Wort reden, systematisch mittels anthropologischer oder theologischer Setzungen einzuhegen wäre. Mouffe bemerkt das selbst. Sie räumt ein, ihr Konzept einer demokratischen 'multipolaren Weltordnung' benötige immerhin 'einen 'konfliktualen Konsens' [...]: einen Konsens über die ethisch-politischen Werte der Freiheit und der Gleichheit aller, einen Dissens aber über die Interpretation dieser Werte' (S. 158). Der Überzeugungskraft und Stringenz dieses sympathisch polemischen Essays hätte neben einem Schuss politischer Ökonomie die Konfrontation mit philosophisch begründungsstärkeren Gegnern (wie der hintergründig präsenten Position Jürgen Habermas', aber auch des amerikanischen Pragmatismus) gut getan. Eine seinem Grundanliegen geneigte, hinsichtlich seiner Durchführung skeptische Diskussion wäre dem Band zu wünschen.