Alles darf man von einem preislich geschenkten Gaul nicht erwarten, bei 350 Einträgen wird mancher manches vermissen. Die Konkurrenz ist groß, auch im eigenen digitalen Haus: denn es gibt in der Digitalen Bibliothek das große Lexikon 'Religion in Geschichte und Gegenwart'.
Hören wir den Hrsg., der sich neun kompetente Fachleute (Hochschullehrer und einen frommen Pater) als Artikelverfasser geholt hat: Man will 'die Sprache der Theologie allgemein verständlich machen, ihr wieder eine Aufmerksamkeit verschaffen, die über Kreise der Fachtheologen hinausgeht'.
Einem 'interreligiösen Dialog' wird man gerecht, indem es z.B. Artikel über Buddhismus, Hinduismus und Islam gibt. Der Hrsg. weiß selbst, wie subjektiv und immer prekär die Lemmata-Auswahl bleibt. 'Auf den ersten Blick mag es verwunderlich erscheinen, zwar Artikel zu Begriffen wie 'Astralmystik', 'Geld', 'Tanz', aber auch 'Holocaust' zu finden, andere wie beispielsweise 'Erbsünde' oder 'Scholastik' jedoch vergeblich zu suchen.'
'Theologie wird hier als Wissenschaft von den Glaubensinhalten der christlichen Religion verstanden.' Man will 'Formulierungen wählen, die auf eine Alltagssprache verweisen und überdies mit einer gewissen Relevanz in der aktuellen Diskussion rechnen dürfen ' Begriffe also, die zu Beginn des dritten Jahrtausends besondere Beachtung finden'. Als 'Zielgruppe, an die sich das Wörterbuch richtet', gelten Menschen, 'die sich für Fragen der christlichen Lebensgestaltung interessieren, die der kulturellen Bedeutung der christlichen Religion nachspüren wollen, ohne dabei als Experten zu gelten'. Das Lexikon will 'unabhängig von konfessionellen Grenzen und religiösen Zugehörigkeiten die Fragen des Lebens aus christlicher Perspektive deuten.'
Am besten mag eine Leseprobe zeigen, wie praxisrelevant geschrieben wird: Das ideale Leben eines Hindu ist durch eine Gliederung der Lebenszeit bestimmt. 'Den ersten Teil ihres Lebens nach der Kindheit verbringen Hindu der drei oberen Kasten als Schüler. Der Vater sucht dem Sohn einen Guru, der höher gestellt wird als die Eltern. Ohne Guru, so heißt es, erlangt man keine religiöse Erkenntnis. Der Lehrer kennt die Geheimnisse des Überzeitlichen, er lehrt transzendentes Wissen, das den Schülern eine zweite, die geistige Geburt vermittelt. Durch ihren Lehrer begegnet den Schülern Gott, mithin wird der Guru vergöttert. Auf der anderen Seite übernimmt er nicht nur für sein eigenes Karman Verantwortung, sondern auch für das seiner Schüler. Den zweiten Teil seines Lebens verbringt der Hindu als Haushalter. Er hat eine Familie gegründet, genießt sinnliches Glück, macht Karriere in seinem Beruf, wird reich oder berühmt oder mächtig. Sein Dharma entläßt ihn in dieser Zeit nicht aus der religiösen Pflicht: man betet, opfert, unternimmt Wallfahrten, ernährt religiöse Bettler. Im dritten Teil eines idealen Hindulebens beginnt man loszulassen, was man bisher erworben und geschätzt hat. Schrittweise zieht man sich vom irdischen Leben zurück. Immer kürzer denkt man an weltliches Glück, immer länger an das ewige Glück der Befreiung. Allein oder von der Ehefrau begleitet, sucht der Hindu Distanz zur geschäftigen Welt. Er zieht sich zurück, lebt einfach und übt Versenkung (Samádhi). Der vierte und letzte Teil beginnt, wenn die Wahrheit erkannt wurde. Jetzt ist der Mensch frei. Er wird zum Sannyásin ('Entsagender'), der auch die letzten Bindungen an Familie und Kaste abstreift. Als heimatloser Bettler, der nur noch Almosenschale, Wassertopf und Antilopenfell besitzt, zieht er von Wallfahrtsort zu Wallfahrtsort.'
'Mit dem Geist den Körper zu lenken, ist Ziel der Praxis des Yoga. Das Wort bedeutet 'Anjochung', Steuerung. Damit der Geist frei werde, zügelt man den Leib. Wie ein Wagen dem Willen seines Fahrers folgt, so soll der Leib dem Geist folgen. Der Verzicht auf Gewalt, Falschheit, Diebstahl usw. sowie Reinheit in Wollen und Taten gelten als Voraussetzung für gutes Gelingen. Man lernt, in bestimmten Körperhaltungen und mittels Atemtechnik seine Muskeln, Sehnen und Nerven zu entspannen, was in Europa das sog. autogene Training inspiriert hat. Entspannung erlaubt das 'Abschalten', ein Zurückziehen der Sinne, woraus Konzentration auf eine Sache entsteht, die, tiefer gehend, zur Versenkung führt und schließlich im 'Überbewußtsein' (Sarnadhi) enden soll ' in erlebter Gewißheit (nicht bloß in erlerntem Wissen).'
Und auch: 'Zugleich zwingt das Gesetz der Tat (Kárman) den Menschen, sich zu erlösen. Wer sich in diesem Leben wie ein Schwein aufführt, muß damit rechnen, im nächsten als echtes Schwein das Licht der Welt zu erblicken. Wer in diesem Leben wie ein Heiliger handelt, kann dafür ein ganzes langes Heiligenleben erben. Was immer ein Mensch tut oder nicht tut, es läßt ihn Maus oder Elefant, Gott oder Teufel werden.'
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