Deutsch-lettische Lexikographie
Eine Untersuchung zu ihrer Tradition und Regionalität im 18. Jahrhundert

Es ist noch nicht sehr viel Zeit vergangen, seit mit der Hinwendung zum 18. Jahrhundert die jüngere Sprachgeschichte in einer erweiterten Sichtweise in den Fokus der germanistischen Sprachgeschichtsforschung gerückt wurde und sich gleichzeitig dieser Zeitraum aus dem Sog der traditionellen Forschung zum Frühneuhochdeutschen emanzipierte. Zahlreichen Untersuchungen der letzten Jahre ist das Ringen um eine soziolinguistische Bewältigung sprachgeschichtlicher Prozesse eigen. Typisch für diese Arbeiten ist das Suchen nach tragfähigen Konzepten. In Ansätzen schälen sich dabei die 'klassischen' soziolinguistischen Themen heraus: die Mehrsprachigkeit, die Sprache sozialer Schichten, die Stadtsprachen, die private Schriftlichkeit sowie die Sondersprachen.
Typisch für diese Forschung ist eine Konzentration auf das 'Kerngebiet' des Deutschen. Wenngleich die Forschung zum Niederdeutschen mit kontaktlinguistischen Fragestellungen latent konfrontiert wird, beschränkte sich die Forschung schwerpunktmäßig auf die Kontaktzonen des Niederdeutschen mit dem Niederländischen und dem Skandinavischen. Mit der Studie von Ineta Balode ist nun auch der baltische Kulturraum hinzugekommen.
Diese Studie widmet sich der zweisprachigen Lexikographie mit Deutsch und Lettisch als Sprachenpaar in der Mitte des 18. Jahrhunderts ' einem Zeitraum, der allgemein als Blütezeit moderner Lexikographie betrachtet wird. Am Beispiel des zweisprachigen Wörterbuchs von Jacob Lange aus dem Jahre 1777, das mit 15000 Lemmata im deutsch-lettischen und 10000 Lemmata im lettisch-deutschen Teil zu den umfangreichsten zweisprachigen Wörterbüchern dieser Zeit gehört, werden zwei Schwerpunkte thematisiert: Tradition und Regionalität in der zweisprachigen Lexikographie. Methodisch geht die Verfasserin in erster Linie kontrastiv synchron und diachron vor, ergänzt durch kontaktlinguistische Aspekte.
Im einleitenden Kapitel wird in übersichtlicher Form der kulturhistorische Hintergrund im Baltikum zur Zeit der Entstehung des Wörterbuchs dargestellt. Dabei werden sowohl die ethnische und soziale Struktur der Bevölkerung als auch soziokulturelle Kontakte der baltischen Bevölkerung vorgeführt. Die Verfasserin schlussfolgert im Ergebnis, dass die Benutzer des Wörterbuchs 'vorwiegend unter den neu eingewanderten deutschsprachigen Personen' (S. 19) zu suchen sind und eine regionale Spezifik im Wortschatz des Deutschen ihren Niederschlag in der zweisprachigen Lexikographie findet.
Vor dem Hintergrund einer detaillierten Überblicksdarstellung wird die Stellung Jacob Langes innerhalb der lettisch-deutschen Lexikographie herausgearbeitet. Die Beschreibungsaspekte dazu werden zu Beginn des Kapitels dargestellt. Etwas unvermittelt stehen dabei allerdings theoretisch-konzeptionelle, textlinguistische und semantische Aspekte nebeneinander.
Die Analyse regionaler Spezifik der deutschen Sprache im Baltikum zielt auf die lexikalischen und semantischen Besonderheiten. Mit der Thematisierung der deutschen trennbaren Präfixverben wird ein konkretes Analyseobjekt gewonnen, mit dem die regionale Spezifik des Baltendeutschen sowohl auf den Sprachkontakt zum Lettischen wie auch zum Niederdeutschen zurückzuführen ist. Auf die Problematik semantischer Untersuchungsverfahren für die Gegenwartssprache allgemein und für die Sprachgeschichte im besonderen sowie auf die Problematik, die Kontaktsprache Lettisch für das 18. Jahrhundert zu nutzen, geht die Verfasserin kurz ein, um dann drei Methoden für 'die semantische Identifikation der deutschen Verben' (S. 103) vorzustellen: die Erschließung der Bedeutung über Äquivalenzbeziehungen in anderen Wörterbüchern, den deutschen Kontext und die kontrastive Textanalyse im Wörterbuch.
Systematisch werden die Fälle ermittelt, die vom Hochdeutschen abweichen. Ausführlich werden diese Fälle behandelt: Beispielverb mit semantischer Umschreibung, Wörterbucheintrag bei Jacob Lange, Nachweis in Vergleichsquellen, Gruppenbildung und Interpretation der Belege. Diese Darstellungsform ist zwar nicht immer sehr rezipientenfreundlich, scheint aber eine Möglichkeit zu sein, alle Belege aufzuzeigen.
Im Ergebnis der empirischen Untersuchung formuliert die Verfasserin, dass ca. 3/4 der Belege auf 'die sprachliche Innovation in der deutschen Sprache des Baltikums' (S. 158) zurückzuführen sind. Die Ursache für diese Innovationen vermutet die Verfasserin 'in den kontaktsprachlichen Beziehungen vor allem mit dem Lettischen und Niederdeutschen' (S. 158).