Auch wenn es um die (neuen) sozialen Bewegungen in der Publizistik und Wissenschaft etwas stiller geworden ist, ist 'sociale Bewegung' natürlich nicht zum Stillstand gekommen. Daß dies auch für die internationale Forschung gilt, zeigt dieses Kompendium, das den Stand der Forschung um die Jahrhundertwende in sechs Abschnitten und 29 Kapiteln darlegt. Als Herausgeber fungieren drei renommierte Bewegungsforscher: David A. Snow ist Professor für Soziologie im kalifornischen Irvine, Sarah A. Soule lehrt an der University of Arizona, Hanspeter Kriesi Politikwissenschaft in Zürich. Ein instruktiver Aufsatz leitet den Band ein, dessen Autoren ausgewiesene Exponenten der seit den 1980er Jahren stark ausdifferenzierten Bewegungsforschung sind. Im ersten Abschnitt werden Kontexte und Bedingungen sozialer Bewegungen anhand der bekannten Ansätze behandelt: Wellen der 'Kontestation', Spannungs- und Zusammenbruchs-Theorien, politische Opportunitäten, kulturelle und symbolische Dimensionen, Ressourcenmobilisierung. Hier findet der Leser solide Überblicke über die Theorieentwicklung und gewinnt als erste Bilanz den Eindruck, daß die Positionskämpfe zwischen den diversen Ansätzen der Vergangenheit angehören ' soziale Bewegungen können in der Regel in allen genannten Ansätzen mit Gewinn betrachtet werden.
Der folgende Abschnitt widmet sich Aktionsfeldern und Dynamiken und thematisiert Grenzbereiche wie das Spannungsverhältnis von Bewegung und Organisation, die Rolle von leadership, die Bedeutung von Verbündeten, Gegnern und dritten Parteien, der polizeilichen Überwachung und Strafverfolgung, die Rolle von Mitläufern, öffentlicher Meinung und Massenmedien, über das taktische Repertoire von und Diffusionsprozesse in sozialen Bewegungen sowie deren transnationale Dimension. Auch diese Überblicke sind profund, allerdings hätte man sich ein ausführliches Kapitel über das bisher oft vernachlässigte Verhältnis von Medien und Bewegungen gewünscht.
Der nächste Abschnitt nimmt mikrostrukturelle und sozialpsychologische Dimensionen in den Blick, darunter das wichtige Thema der Netzwerke, Partizipationsanstöße und emotionale Dimensionen, ferner werden framing-Prozesse und identitäre Aspekte thematisiert.
Ein kurzer Abschnitt widmet sich politischen und kulturellen Konsequenzen und Ergebnissen sozialer Bewegungsaktion, darunter personalen und biographischen Folgen und der Selbst-Beobachtung von Bewegungen.
Im letzten Abschnitt analysieren die Autoren sechs wichtige soziale Bewegungen, beginnend mit dem klassischen Repertoire von Arbeiter-, Frauen, Umwelt und Friedensbewegung, zu denen ethno-nationalistische und religiöse Strömungen treten. Natürlich hätte es weitere 'Kandidaten' gegeben, wie etwa die 'unwahrscheinlichen' Protest-Bewegungen der nicht-dokumentierten Einwanderer oder der französischen 'précaires' (meist jugendliche Arbeitnehmer in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen, die aber noch nicht so gut erforscht sind. (Eine Einzelkritik der Beiträge muß hier unterbleiben.)
So kann man dem Band zum einen größtmögliche Vollständigkeit bescheinigen. Die Beiträge werden mit ausführlichen Bibliographien abgeschlossen, ein ausführlicher Index verleiht einen Überblick über die Gesamtthematik. Zum anderen ist der Band, ganz in der Tradition der bewährten Blackwell Companions, ein originelles Wissenschaftsformat, das zwischen thematisch fokussierten Konferenzbänden, Einführungen und Textsammlung angesiedelt ist. Insofern halten die Herausgeber ihr Versprechen, 'in-depth, synthetic examinations of a comprehensive set of movement-related topics and issues' zu liefern, aber nur begrenzt lösen sie ein, auch die Internationalisierung der Bewegungsforschung abzubilden. Die referierte Literatur ist fast ausschließlich anglo-amerikanisch, so daß wesentliche Ansätze aus Deutschland (etwa aus dem Umfeld des Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen) und Frankreich (vor allem der Touraine-Schule) eindeutig zu kurz kommen. Ein anderer Nachteil ist der viel zu hohe Ladenpreis.