Der Mensch und sein Tempel
Ägypten

Der Teilband 'Ägypten' der Gesamtdarstellung 'Der Mensch und sein Tempel' ist 25 Jahre nach Erscheinen der Erstauflage in einer Bearbeitung ' der insgesamt dritten ' zurück auf dem Büchermarkt. Es 'ist ein fast ganz neuer Text entstanden' (S. 10), erklärt der Autor im Vorwort die Neuauflage, die nicht nur neue wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch und gerade erweiterte 'menschliche' Erfahrungen in die Gesamtschau einfließen lassen (vgl. S. 10).

Damit ist bereits schon kurz umrissen, was das Buch Teichmanns von ägyptologischen Werken unterscheidet: Bei der konkreten Betrachtung der religiösen Zeugnisse Altägyptens fordert der Autor, 'die Menschen, die diese Denkmäler errichtet haben mit[zu]bedenken, ihre Gefühle, ihr Bewußtsein und ihre Erfahrungen, die sie beim Errichten dieser Bauten gemacht haben.' (S. 10) Eine derart sensitive Ebene, so bemängelt Teichmann, hat in der eher abstrakten Darstellung der Ägyptologen ' deren unendlichen Fleiß und Forschertrieb er an anderer Stelle als unerläßliche Grundlage jeglicher Beschäftigung mit dem alten Ägypten hervorhebt (S. 7) ' kaum Platz, was auch dem Zeitgeist geschuldet sei. 'Der Mensch und sein Tempel', aufbauend auf der Anthroposophie Rudolf Steiners, ist deswegen auch kein Gegenentwurf zur universitären Forschung, sondern versteht sich als (gefühlvolle) Ergänzung hierzu. (Der Autor hat Ägyptologie studiert und kennt somit de praxi die ägyptologischen Arbeitstechniken gut.)
Teichmanns Ansatz sucht also den direkten Bezug zwischen dem alten Ägypter und seinem gefühlten Verhältnis zur Religion bzw. die gelebten Religiosität oder die Vorstellung von Gott. Ausgangspunkt bei ihm sind die architektonischen und schriftlichen Hinterlassenschaften der frühen Hochkultur. In einem ersten Schritt rekonstruiert hierfür Teichmann die originäre Aufstellung der altägyptischen Kultbauten samt ihres Statuen- und Bildprogramms. Dieses setzt er dann mit den religiösen Texten in Verbindung.

Seine Ergebnisse sind überraschend geistig frisch, aber auch stark überzeichnet. Dies liegt zum einen an der über die Zeit hinweg unregelmäßig verteilten Überlieferungsdichte der von Teichmann herangezogenen Objekte, zum anderen an der stark problematischen Interpretationsvariabilität. Dabei hat die Ägyptologie wenig Anziehungskraft, da sie sich akademisch vielen Positionen annehmen muß und bei der Analyse nicht zu einem eindeutig Ergebnissen kommen kann ' das Material läßt eben keinen eindeutigen Schluß zu. Der Anthroposoph geht von der anthroposophischen Lehrmeinung und den Texten Steiners aus, die er im Gegensatz zur ägyptologischen Forschung durchaus stimmig mit den altägyptischen Hinterlassenschaften in Einklang bringen kann (dies liegt nicht zuletzt daran, daß im Zirkelschluß die von Ägypten beeinflußten Thesen Steiners benutzt werden, um ein Ägyptenbild im Sinne Steiners zu skizzieren). Teichmann entwirft damit ein in sich stimmiges und abgerundetes Bild von der Religiosität des alten Ägypters ' vieles davon ist unbelegt und aus Sicht des Rezensenten nicht unbedingt so zwingend nachvollziehbar, wie es der Autor darstellt, einiges sehr inspirierend, was einem weiteren Nachgehen wert wäre.

Der Idee der Anthroposophie und anderer esoterischer Denkrichtungen geht E. Hornung in seiner Abhandlung über das Phänomen der Ägyptomanie nach, die in der für ihn verfaßten und von Brodbeck u.a. zusammengestellten Festschrift eine aktuelle Aufarbeitung erfahren hat. Der Band 'Das geheime Wissen der Ägypter und sein Einfluss auf das Abendland' ist ein unveränderter Nachdruck, dem deshalb (leider) neuere Literatur fehlt. Seit Siegfried Morenz, 'Die Begegnung Europas mit Ägypten' (Zürich 1969) ist die Ägyptomanie (so auch ein gleichnamiger Ausstellungskatalog des Jahres 1994) in der Ägyptologie fester Forschungsgegenstand geworden, dem sich Hornung und die Baseler Ägyptologen (z.B. E. Staehelin/ B. Jaeger, Ägypten-Bilder, 1997) stets angenommen haben. Vorliegender Band hat die verschiedenen Denkrichtungen zeitlich sortiert und beschreibt ausführlich deren theoretischen Ansätze und Praktiken. Man kann Hornung vorwerfen zu deskriptiv zu bleiben, aber seine Zusammenstellung ist umfassend und konsistent; ob Freimaurer oder barockes Hieroglyphentum, in alle Zeiten und Gesellschaften hat sich der Autor eingelesen und arbeitet vorbildlich die jeweils hinter den Weltanschauungen stehenden Denkrichtungen leicht nachvollziehbar heraus.

Beide Bücher, da sich sowohl Teichmann mit Hornung wie auch jener kurz mit dem 'Der Mensch und sein Tempel' auseinandersetzen, stellen die jeweils unterschiedlichen Denkansätze der Esoterik und der Ägyptologie beispielhaft dar; dem Leser sei empfohlen, beide im Doppelpack zu erwerben und hintereinander weg zu lesen, denn beide Autoren sind vorbildlich in der Darstellung ihrer jeweiligen Disziplinen.