Arbeitskampf
Geschichte, Recht, Gegenwart

Neun Minuten reichten, um Helmut Laakmann berühmt zu machen: Der Walzwerk-Betriebsleiter stand im Dezember 1987 vor 10.000 Arbeitern des von der Schließung bedrohten Krupp-Hüttenwerks in Rheinhausen und forderte sie auf, 'endlich das auszufechten, was wir ausfechten müssen für unsere Familien, für unsere Kinder, für die Menschen in diesem Lande.' Einer der härtesten Arbeitskämpfe in der Geschichte der Bundesrepublik folgte und entgegen eines weithin propagierten sozialpartnerschaftlichen Ausgleichs zwischen Kapital und Arbeit wurde klar: Der Arbeitskampf scheint zum notwendigen Inventar industrieller Gesellschaften zu gehören. Und möglicherweise ist er noch deutlich älter. Michael Kittner jedenfalls, Kasseler Emeritus für Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht, beginnt seine Gesamtdarstellung zum Thema mit einem Lohnstreik 1155 v. Chr. in Alt-Ägypten. Auf fast 700 Seiten verfolgt der Autor dann die für ihn unausweichlichen Konflikte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, unausweichlich, weil es immer auch Verteilungskonflikte sind. Die Studie wird ergänzt durch 61 einzeln skizzierte Arbeitskämpfe. Gut 130 Seiten füllt die Darstellung der unter dem Dach der Zunftverfassung zusammengefaßten Konflikte vom späten Mittelalter bis zum Ende des alten Reichs. Kittners Hauptargument, diese Auseinandersetzungen auch dem Begriff nach als Arbeitskämpfe zu werten, ist die Annahme freier Arbeitsmärkte in der städtischen Ökonomie seit dem 14. Jahrhundert. Dort sei eine Form der praktizierten Vertragsfreiheit identifizierbar, die in Verbindung mit gemeinschaftlichem und zielgerichteten Handeln von Gesellenvereinigungen die Grundlage für Konflikte bildeten, die dem Wesen nach klassische Arbeitskampfkonstellationen waren. Der umfangreichste Teil des Buches ist freilich dem Arbeitskampf in der industrialisierten, kapitalistischen Gesellschaft seit dem 19. Jahrhundert gewidmet und hier liegt auch der Schwerpunkt der rechtshistorischen Erörterungen: Von der ''Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen' auf Preußens langem Weg in die Moderne' (S. 141), mit der überraschenden Aufhebung des Streikverbots für Arbeiter, über das teilweise liberale Koalitionsrecht vor der Reichsgründung und die roll-back-Politik danach, über die vollständige Anerkennung der Koalitionsfreiheit in der Weimarer Republik und die ebenso vollständige Zerschlagung aller Arbeitnehmerrechte durch die Nationalsozialisten, bis zum bis heute geltenden Schutz der Koalitionsfreiheit und des daraus abzuleitenden Rechts auf Arbeitskampf in Art. 9 des Grundgesetzes. Der korporatistisch geordneten, mitbestimmten Ära nach 1945 gilt abschließend auch Kittners wohlwollende Sympathie, er hat sie als langjähriger Justiziar der IG Metall auch durchaus mitgeprägt, am Ende ist er gleichwohl skeptisch, was die Zukunft angeht: Die Preisfrage sei, ob ein sozial regulierter Kapitalismus auch im  21. Jahrhunderts eine Chance hat.

Michael Kittner hat eine beeindruckende Gesamtgeschichte des Arbeitskampfes in Deutschland vorgelegt, ergänzt noch durch Seitenblicke in die für die Entwicklung wichtigen Länder Frankreich und Großbritannien. In die rechtshistorischen Erörterungen sind immer wieder sozial- und politikgeschichtliche Schilderungen verwoben. Diese entscheidenden verfassungs-, wirtschafts- und sozialpolitischen Wendepunkte werden ausführlich und pointiert geschildert und dies in einer Sprache, die auch komplexere juristische Sachverhalte anschaulich macht. Für Sozialhistoriker dürfte Kittners frühe Identifizierung freier Arbeitsmärkte unter der Zunftverfassung diskutabel sein. Es gibt zudem Gründe, die Konflikte einer eher normativ und den Ordo-Vorstellungen ihrer Zeit verpflichteten mittelalterlichen Gesellschaft nicht einem ökonomischen Kern zuzuordnen. Andererseits bietet Kittners longue dureé auch die Chance eines Zuganges zum Thema, der über eine ausschließlich auf Klassengegensätzen beruhenden Betrachtung hinausgeht: Zu allen Zeiten, auch das verdeutlicht seine Studie, ging es um ein Austarieren dessen, was jeweils unter Gerechtigkeit (nicht bloß, aber auch unter Verteilungsgerechtigkeit) verstanden wird. Arbeitskämpfe und deren rechtliche Kodifizierungen sind immer auch Gradmesser für die Verfaßtheit einer Gesellschaft. Dies führt zurück zu Helmut Laakmanns Aufruf zum Kampf um Rheinhausen, einen Arbeitskampf der - letztlich erfolglos - seinen Weg auch nicht in dieses Buch gefunden hat und trotzdem einer der wirkungsmächtigsten der letzten Jahrzehnte war: Insofern durchaus ein Widerspruch zum relativ offen angelegten Arbeitskampfbegriff im vorliegenden Werk.

Abschließend eine Kritik: Bei der ungeheuer reichen Auswahl an Quellen und Zitaten wäre ein regulärer Anmerkungsapparat hilfreich gewesen.