Inszenierte Welten / Staging New Worlds
Die west- und ostindischen Reisen der Verleger de Bry

Die Basler Historikerin Susanna Burghartz legt einen zweisprachigen Sammelband mit Untersuchungen zu den west- und ostindischen Reisebericht-Serien des Verlegers Theodor de Bry (1528-1598) und seiner Söhne Johann Theodor und Johann Israel vor. Die Beiträge zu diesem Buch gehen aus einer Tagung hervor, die im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojekts 'Translating Seen into Scene. Identitätskonstruktionen und Selbstrepräsentation in Eroberergeschichten aus der Neuen Welt' das Werk des Verlegers de Bry und seiner Söhne zum Gegenstand machte. Der Band ist zweisprachig: Als Lesehilfe sind den englischen Beiträgen deutsche, den deutschen Beiträgen englische Abstracts beigegeben. Ca. 80 Abbildungen in vorzüglicher Qualität vermitteln einen guten Einblick in die zwischen 1590 und 1630 erschienenen insgesamt 30 Bände mit ca. 650 Kupferstichen. Ab 1590 erschienen zunächst deutsch und lateinisch die Reiseberichte, die Amerika betrafen: 'Reisen ins occidentalische Indien', ab 1597 die 'Reisen ins orientalische Indien', die Reiseberichte von Afrika- und Indienreisenden enthalten. 1623 ging das Verlagsunternehmen in die Hände von Matthäus Merian (Frankfurt), dem Schwiegersohn von Johann Theodor de Bry, über, der die letzten beiden Bände der Serie veröffentlichte.
Die Illustrationen aus den Reisebericht-Sammlungen der de Bry haben, wie Susanna Burghartz in ihrem einleitenden Beitrag richtig schreibt, 'unsere Vorstellungen von der frühen Kolonialgeschichte mitgeprägt' (S. 8); sie sind insbesondere aus den vielen Studien zur Kolonisierung Amerikas nicht wegzudenken, weshalb es besonders verdienstvoll ist, diese vielzitierten Illustrationen selbst zum Gegenstand der Betrachtung zu machen.
Michiel van Groesen (Groningen) präsentiert in seinem Beitrag 'De  Bry and Antwerp, 1577-1585. A formative period' neues Archivmaterial, mit dem er belegen kann, daß die Familie de Bry in den Jahren zwischen 1755 und 1785 in Antwerpen wohnte. In Antwerpen wurde aus dem Goldschmied Theodor de Bry ein Kupferstecher und Verleger. Er war Mitglied angesehener Gilden, was seiner Karriere förderlich war; er adaptierte den Stil der niederländischen Kupferstecher, und er eignete sich die neue Technik an, die es erlaubte, Kupferstiche direkt in gedruckte Bücher zu integrieren.
Maike Christadler (Basel) thematisiert in ihrem Beitrag die Funktion der Titelblätter der America-Serie: Sie vermitteln den Käufern und Lesern der Bände, die über mehr als vierzig Jahre erschienen, die Idee einer Serie, einer 'corporate identity', und zwar durch gleichlautende Benennung und ikonographisch-typographische Gestaltung. Gleichwohl zeigen die Titelblätter auch kulturelle Veränderungen, z. B. den allmählichen Abschied von einer heilsgeschichtlich-narrativen Darstellung der Kolonisierung und den Übergang zu neuen Formen der Legitimation von Kolonisierungen.
Ernst van den Boogart (Amsterdam) untersucht in seinem Beitrag 'De Bry´s Africa' erstmals zusammenhängend die Kupferstiche zum Kongo, zu Mozambique, Südafrika, der Goldküste, Benin, Kap Lopez und Gabun. Diese von Johann Theodor und Johann Israel de Bry herausgegebene Serie zeigt, wie die calvinistischen de Bry ein eigenständiges Afrika-Bild entwarfen, das vom gängigen Bild von Afrika als der Vorhölle abwich und die Idee der weißen Suprematie insofern korrigierte, als aus calvinistischer Sicht die irdische Welt für Weiße und Schwarze gleichermaßen dem Reich der Finsternis zuzurechnen waren. Die den Illustrationen zu entnehmenden enthnographischen Informationen differenzieren das um 1600 gängige rassistische Afrika-Bild.
Jutta Steffen-Schrade (Frankfurt a.M.) behandelt in ihrem Beitrag 'Ethnographische Illustrationen zwischen Propaganda und Unterhaltung. Ein Vergleich der Reisesammlungen von de Bry und Hulsius' die Frage, wie das Bildprogramm in den de Bryschen Serien sich von dem von Levinus Hulsius (1546-1606) ab 1598 (bis 1650) herausgegebenen 'Schiffahrten' unterscheidet. Der Unterschied liegt bei den anvisierten Käuferschichten: De Bry publizierte für die gebildeten, bürgerlichen Schichten Europas, Hulsius für einen weiteren Markt für weniger kaufkräftige Schichten. Die Illustrationen in den 'Schiffahrten' von Hulsius verfolgen einen rein illustrativen Zweck, während die Kupferstiche der de Bry ein deutlich ambitionierteres Programm verfolgen.
Der Band ist ein erfreuliches Ereignis: Sorgfältig und genau wird eine Lücke in der Forschung über die de Bryschen Kupferstiche angegangen. Wünschenswert wäre eine Fortsetzung des Projekts in Hinsicht auf die Thematisierung der in den de Bryschen Sammlungen versammelten Texte und auf eine deutlichere Thematisierung der Beziehung zwischen Bildern und Texten.