Die Frauen der Bibel sind seit langem in den (gendersensibilisierten, feministischen) wissenschaftlichen Blick geraten. Die Verfasserin, als Germanistin und Universitätstheologin ausgewiesen, geht systematisch aufs Ganze, sie liefert eine fast vollständige Darstellung aller biblischen Frauen, die literarisch wichtig wurden.
Die Vermutung wird deutlich ausgesprochen, daß die Behandlung der Frau in der Bibel perspektivisch (verengt, verzerrt) ist; männliche Autoren bestimmten, was geschrieben wurde ('patriarchalische Rezeption und Exegese'). Die Autorin sieht besonders im jahwistischen Bericht der Genesis (Gen 3) die asymmetrische Positionierung der Frau begründet. So sind allein zahlenmäßig Söhne sehr viel häufiger anzutreffen als Töchter. Das verhindert nicht, daß es große Frauen gibt: Eva, die Mutter aller Lebendigen (nicht behandelt wird Lilith, die in Goethes Faust mitspielt); die Matriarchinnen: Sarah, die ihren Ehemann mein Herr nennt (und ihn mit demselben Wort wie Gott bezeichnet: adonai), Hagar, die ' auf Gottes Geheiß als Alleinerziehende verstoßen ' zur Mutter aller Araber wird, die Frau Loths, die keinen Namen hat und für ihren Ungehorsam abgestraft wird. Rebekka, die ihren Ehemann Jakob betrügt, um ihrem Lieblingssohn Vorteile zu verschaffen und all die andern: Lea und Rahel, Dina, Tamar, die (böse) Frau des Potiphar. In ihr wird besonders die biblische Anthropologie der Frau greifbar: Sie ist das Sinnenwesen, das Männer gefährdet.
Frau Motté untersucht dann, streng am Text der Bibel entlanggehend, die Frauen zwischen Exodus und Landnahme: Mirjam, Zippora, Rahab, Deborah, Jiftachs Tochter, Delilah. Ein wichtiges Moment ist hier, daß manche Frau erst gar keinen Namen hat. Es folgen Frauen rund um das Königtum: Naomi und Ruth, die Ahnfrauen Davids, die weise Frau von En-Dor; die Frauen um David: Maacha, Michal, Abigajil, Bathseba (bei der nicht klar wird, ob sie verführt oder vom König mißbraucht wird). Jedenfalls führt ihre Geschichte zur Verfluchung Davids, das Schwert werde, wegen Ehebruchs und Mord, nimmermehr von seinem Hause weichen. Weiter: Abischag aus Schunem, die erste Altenpflegerin der Weltliteratur, Tamar, die sagenhafte Königin von Saba, die nur im islamischen Kontext einen Namen hat. Wichtig sind ganz ohne Frage die Frauen im Umkreis der Propheten: Isebel, die böse Lady Macbeth-Präfiguration, Susanna, Gomer. Nicht vergessen sind literarische Figuren und Sagengestalten wie Schulammith, die Frau Hiobs, Judith, Esther.
Die positivistische Vollständigkeit verlangt die Behandlung der Frauen des Neuen Testaments, an ihrer Spitze Maria, die Mutter Jesu, Herodias und Salome, Maria und Marta, die Tochter des Jairus, Veronika, die Frau am Weg nach Golgata, die Frau des Pilatus, Lydia und ihre Schwestern. Besonders intensiv wird Maria von Magdala untersucht, hier findet der Leser eine exemplarische Rezeptionsgeschichte.
Da und dort gewinnt die Darstellung handbuchartigen Charakter, umfangreiche Tabellen geben einen soliden Überblick ' ein Buch, das für viele Interessierte wichtig sein kann. Was man aber bei allem Respekt auch vor großen Namen (Lasker-Schüler, Roth, Feuchtwanger, Werfel, Heym, Fühmann, Hochhuth) sagen darf: eher arbeiten auf diesem Feld der Rezeption biblischer Motive poetae minores; die Qualität in der Behandlung biblischer Stoffe ist nicht der sonst auch so genannten Höhenkammliteratur vergleichbar.