Musst du auch sterben?
Kinder begegnen dem Tod

Diese Frage, die mit großer Wahrscheinlichkeit jeder Befragte unwillkürlich naivem Kindermund zuordnen wird, bereitet Unbehagen, denn es gibt nur eine einzige passende Antwort auf diese Frage: Daß jeder Mensch sterben muß und daß wir alle endlich sind.

Nun ist dies eigentlich keine außergewöhnlich weise Erkenntnis, weshalb auch die Frage nach dem eigenen Tod weniger unangenehm sein dürfte, wissen wir doch - und das ist ein Spezifikum unseres Menschseins -, daß es irgendwann einmal aus sein wird mit uns. Trotzdem könnte einem durchaus das 'Ja' im Halse stecken bleiben, denn wir sind nicht daran gewöhnt, so direkt gefragt zu werden in puncto 'Abgang'. Kinder dürfen so fragen, denn sie kennen unsere Tabus noch nicht. Kinder müssen auch so fragen, denn sie denken anders. Das kindliche Todesverständnis ist ein wesentlich anderes als das der Erwachsenen. Wenn etwa Kinder im Kindergartenalter den Tod noch als etwas Vermeidbares betrachten, vor dem man sich ja 'verstecken' kann, oder sich der Vollständigkeit des Todes verschließen, indem sie die Meinung teilen, der Verstorbene lebe doch noch 'ein bißchen', dann wird daraus vor allem deutlich, daß diese Todesvorstellungen einen Schutz darstellen vor Erfahrungen und Ängsten, denen das Kleinkind noch nicht gewachsen ist und die es noch nicht bewältigen kann. Dazu gehört auch die kindliche Annahme von der Unsterblichkeit der eigenen Eltern. Zwischen dem sechsten und zehnten Lebensjahr entwickelt sich dann das Todesverständnis des Kindes schrittweise hin zum Verständnis, welches das Erwachsensein prägt und durch das Erkennen der Allgemeinheit des Todes, seiner Vollständigkeit und seiner Endgültigkeit gekennzeichnet ist.

Und dennoch bleibt die Schwierigkeit - bei Kindern wie Erwachsenen - diese Erkenntnis als zum Leben gehörend zu akzeptieren, denn 'wie kann etwas als Teil des Lebens angenommen werden, das diesem Leben ein Ende setzt?' - wie es der Tübinger Professor für Religionspädagogik und Praktische Theologie Friedrich Schweitzer treffend formuliert. Dieser Frage versuchen die Autorinnen und Autoren des prägnanten Bandes Mußt du auch sterben ? Kinder begegnen dem Tod nachzugehen und beleuchten dabei sowohl das Verständnis der Erwachsenen von Tod und Sterben als auch die
theologischen Begriffe und christlichen Grundbekenntnisse wie Auferstehung und Ewiges Leben. Dabei sind vor allem die von Schweitzer verfaßte 'Einleitung', in der entwicklungspsychologisch gefragt und geantwortet wird, sowie der Schlußteil mit dem Titel 'Nachdenken', der sich mit der Frage des gesellschaftlichen Umgangs mit Tod und Sterben auch und gerade in bezug auf Kinder und Jugendliche beschäftigt, für alle lesenswert, für die der Tod - auch der eigene - kein Tabuthema ist, während sich der Kern des Buches vor allem an in der Vorschulerziehung tätige Religionspädagogen wendet und anhand von Beispielen Anstöße geben möchte für die Gestaltung pädagogischer Dimensionen zu den Fragen des Todes und des Sterbens.

Fast schon eine Anthologie von Texten zur ars moriendi stellt das von Bernhard Sill (Professor für Moraltheologie und Sozialethik an der Katholischen Universität Eichstätt) verfasste und von der Münchner Malerin Renée Rauchalles illustrierte Buch Die Kunst des Sterbens dar. Zahlreiche Zitate aus der Literatur (Matthias Claudius , Bertolt Brecht, Jewgeni Jewtuschenko u.a.) der Philosophie (Martin Buber, Hans Jonas), der Theologie (Ignatius von Loyola, Kurt Marti, Dorothee Sölle u.a.), zuweilen auch Bibelzitate und Volksweisheiten sind in das in drei Kapitel und einen umfangreichen Schlußteil gegliederte Buch eingearbeitet, dem ein Interview mit der Künstlerin Rauchalles zu ihren Bildern angefügt ist. Es handelt sich nicht um noch eine 'Geschichte des Todes' á la Ariés, sondern es geht in der Tat um die Kunst des Sterbenkönnens und gleichzeitig auch um die Kunst des Lebenkönnens. Gibt es den individuellen Tod so wie es das individuelle Leben gab, stirbt jeder Mensch 'seinen' Tod und ist dieser charakterisiert durch das eigene zuvor gelebte Leben? Der Dichter Rainer Maria Rilke hat wie kaum ein anderer diese Thematik immer wieder bearbeitet. So nimmt es nicht wunder, daß Bernhard Sill seinen eigenen Gedanken anhand der von Rilke geschaffenen sprachlichen Ästhetik zum Tod Ausdruck verleiht. Das gesamte erste Kapitel 'Ein eigener Tod zu einem eigenen Leben' ist Rilkes Schaffen gewidmet, was den Eindruck entstehen läßt, es handele sich weniger um ein pastoraltheologisches Buch als um einen literaturwissenschaftlichen Aufsatz. In den beiden folgenden Kapiteln ('Die Einheit der Kunst des Lebens und des Sterbens'; 'Endlich leben: Ohne Vertröstung auf das Jenseits und ohne Vertröstung auf das Diesseits') wird dann schon theologischer aufgespielt, jedoch - und das macht Sills Arbeit wertvoll - immer im Dialog und der Auseinandersetzung mit gelehrten Frauen und Männern, für die das Faktum des Todes auch gleichzeitig ein Faszinosum geworden ist, dem intensivere Auseinandersetzung gebührt, zum Beispiel: Marianne Gronemeyer in ihrem Buch Das Leben als letzte Gelegenheit (1993) oder Simone de Beauvoir mit ihrem Roman Alle Menschen sind sterblich (1946), der von Sill ausführlich behandelt wird. Anregend - nicht nur für Theologen - ist der Abschnitt zum 'Leben nach dem Tod', in dem der Autor nicht vor vermeintlich antiquierten Begriffen wie 'Gericht, Fegefeuer und Hölle' zurückschreckt, sondern diese aufgreift und interpretiert. Auch hier findet der Leser zahlreiche Textpassagen aus Literatur und Philosophie (u.a. Anselm Feuerbach, chassidische Erzählungen, Dostojewski oder Peter Wust). Sill schließt seine Ausführungen wiederum zitatenreich mit der Hoffnung, daß der Gott des Alten und Neuen Testaments als 'Liebhaber des Lebens' (Weish. 11,26) 'diesseits und jenseits des Grabes' existent ist.

Um die Kunst des Sterbens zu lernen, brauche es Zeit - viel Zeit, so Sill und Rauchalles in ihrem Vorwort, welches sie bezeichnenderweise Ostern 2001 gemeinsam verfaßt haben. Und weiter: Diese Zeit sei jedem Leser gegönnt, so wie es ein in Georgien gebräuchlicher Trinkspruch zurufe. Da trinkt der Gastgeber auf den Baum, aus dem einmal der Sarg seines Gastes gemacht werden wird, und spricht dazu stets den Wunsch aus: 'Möge der Baum noch 100 Jahre wachsen!