Gesamtansicht Rezensionen

Der 30. Juni 1934, die Ermordung von mehr als 90 Menschen vor allem aus der SA auf Befehl Hitlers, ist ein zentrales Datum in der Frühgeschichte der NS-Diktatur. Er markiert gewissermaßen die Schlussetappe der Etablierung der Diktatur und der Ausschaltung der Widersacher Hitlers innerhalb der NS-Bewegung sowie innerhalb des Regierungslagers, nachdem 1933 bereits die wirkliche Opposition brutal niedergeschlagen worden war. Lange Zeit wurden die Morde 1934 auch in Forschung und Schulbüchern der NS-Propaganda folgend als „Röhm-Putsch“ bezeichnet, mal mit distanzierenden Anführungszeichen, mal ohne. Sven-Felix Kellerhoff, Autor einer hier zu besprechenden neuen Monografie, bleibt bei der überholten Bezeichnung, die sich auf den damaligen SA-Führer Ernst Röhm bezieht, und unterstreicht sie gar mit einem Ausrufezeichen. Doch der Reihe nach. …

Etwas Schwelendes, Dräuendes über den Menschen (siehe Zeichnung ‚Rauchgeschöpfe‘ am Frontispiz) und etwas Schwärendes in ihnen wird hier verhandelt: konkreter, animose Gefühlslagen, negative Empfindungen, die bei der Ausgestaltung, Bebilderung, Konstruktion ihrer jeweiligen Vergangenheiten sich fatal auf deren gegenwärtige Bewertungsmodi auswirken (können). Mit der Feststellung: „Sicher ist, dass Erinnerungen an geschichtliches Unheil all gegenwärtig sind“ (S. 301), wird eine universelle Gültigkeit dieses Phänomens behauptet, wobei mit der Vernachlässigung positiv gestimmter Gefühlslagen auch schon das Beispiel zur Übung jener Haltung gegeben wird, für die das Autorenteam zentral wirbt: Ambiguitätstoleranz. …

Vorliegendes, im Doppelsinn gewichtiges und durch Statuierungen gewichtendes Exempel einer Gewissenserforschung bewegt sich entlang zahlreicher Parameter, Indikatoren, Komponenten und Konstellationen von Metamorphosen bezüglich des Gewissens der Deutschen.
Leitend dabei ist das eines schlechten, mit moralischer Schuld beladenen Gewissens, angezeigt durch die anhebende zeitliche Eingrenzung, 1942, jenem Jahr der noch drastischeren Verdeutlichung des weltweit sich auswirkenden und entsprechend im Gefolge auch so beurteilten zivilisatorisch-humanistischen Megaskandalons, verübt durch ‚das deutsche Volk‘. …

Christian Boseckerts Biographie zu Herzog Johann Casimir von Sachsen-Coburg basiert auf seiner Würzburger Dissertationsschrift. Bisher war eine Biographie zu jenem Herzog von Sachsen-Coburg ein Desiderat der Forschung (S. 28f.). Der Verfasser schließt diese Lücke mit einer im Grunde vollständig auf Archivdokumenten gegründeten Arbeit. …

Glorifizierung, wie sie rumänische und nordkoreanische Partei-Lyriker, Bildhauer und Tonkünstler gegenüber Nicolae Ceausescu und Kim Il-sung auf die Spitze trieben, ist im russischen Kulturleben hinsichtlich des Präsidenten Wladimir Putin trotz einer dort wirkenden „Church of Putinology“ (S. 166) nicht zu beobachten. Dennoch ist Putin hier Synonym für Einheit, Stärke und Fürsorglichkeit, womit Antonyme für Nennungen gesetzt sind, die sich in westlichen Medien gegenüber Putin spätestens nach Beginn des Ukraine-Krieges verfestigt haben. So ist Putin für den britischen Sachbuchautor John Sweeney vor allem Der Killer im Kreml, dessen Lebenslauf sich durch Intrige, Mord und Krieg auszeichnet. …

Wojciech Krawczuk untersucht in diesem Band die recht umfangreiche und heterogene Gruppe der schwedischen und finnländischen Exilanten in Polen-Litauen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Im Schwedischen Reich entbrannte in den 1590er Jahren ein innerdynastischer Konflikt zwischen König Sigismund (III.), welcher zugleich König von Schweden sowie König von Polen und Großfürst von Litauen war, und seinem Onkel, Herzog Karl von Södermanland. Herzog Karl, der spätere König Karl IX., setzte sich militärisch in Schweden und in Finnland durch. …

Er war ein bedeutender Maler und sie eine noch bedeutendere Dichterin. Ihre Liebe hat das Werk beider entscheidend geprägt; für beide war die Liebesbegegnung eine biographische Zäsur. Die Korrespondenz zwischen Werner Berg und Christine Lavant ist der einzige Briefwechsel der Dichterin, der nahezu vollständig erhalten geblieben ist – wohl von ersten Briefen Bergs abgesehen, die die Dichterin aus Angst vor dem Ehemann (den sie 1939, wohl um Schutz zu finden, geheiratet hatte), vernichtete – von viele anderen Korrespondenzen ist etliches verloren – nicht nur aus persönlichen Gründen, sondern auch, weil im winzigen Dachzimmer, das die Dichterin mit dem Ehemann, dem 34 Jahre älteren Maler Josef B. Habernig (in der Korrespondenz mit Werner Berg nur H. H. oder H. Hab. oder Habernig abgekürzt), teilen musste, kein Platz war für ein sorgfältig geführtes Archiv. …

Über Jahrzehnte hinweg waren die Verbrechen der deutschen Wehrmacht und Besatzer gegen die Zivilbevölkerung in Ostmitteleuropa kein Thema der Forschung, geschweige denn Gegenstand von Erinnerung und Gedenken. Beides musste in diesem Themenfeld mühsam und gegen erhebliche politische und gesellschaftliche Widerstände erkämpft werden. Und auch hier kamen wie schon in der Erforschung der Euthanasie-Verbrechen die entscheidenden Impulse von außerhalb der institutionalisierten Geschichtswissenschaft. …

Das von der Thüringer Landeszentrale für politische Bildung herausgegebene Buch von Rainer Borsdorf liefert einen knappen und informativen Überblick über die Geschichte jüdischen Lebens in Thüringen von 1871 bis 1990. Darin verknüpft der Autor die allgemeine Entwicklung jüdischen Lebens in ganz Deutschland eng mit der Geschichte in Thüringen.
Borsdorf widmet sich einem sehr breiten Themenspektrum. Er behandelt nicht nur die in solchen Überblicksdarstellungen üblichen Themen wie Emanzipation, Antisemitismus und Shoah, sondern auch sonst eher selten ausgeführte Themenbereiche wie das Alltagsleben und kulturelle Aktivitäten in jüdischen Gemeinden. …

Thomas Mann sprach von einem „wüste(n), traurige(n) und ungeheuer ominöse(n) Jux – auf dem Scheiterhaufen qualmte die Weltliteratur“: Am 10. Mai 1933 wurde in Berlin die offizielle Bücherverbrennung inszeniert. Vertreter der NS-Studentenschaft warfen „schädliches und unerwünschtes Schrifttum“ ins Feuer; mehrere hundert Autoren kamen auf den Index. An diesem Tag strich Adolf Hitler eine ganze Generation von Schriftsteller/INNEN aus dem Bewusstsein des deutschen Volkes. Als „entartete Kunst“ oder „Asphaltliteratur“ wurden die Bücher fast aller deutschsprachigen Autoren von Rang den Flammen übergeben. …