Fünf Beispiele hier so genannter „Vorfallenheiten“ (S. 149) greift der Autor heraus, vier Mal mit großen zeitlichen Abständen, allesamt auf einem räumlichen Substrat, das unter habsburgischer Herrschaft. Die wohlweislich ‚Aufstände‘ genannten Eruptionen von Kriegsspektakeln, sind, bei entsprechend regionalen (sozialmentalen, ökonomischen usw.) Unterschieden, hier weniger miteinander verglichen, sondern erscheinen als jeweilige Brennpunkte: aufgefädelt auf einem Band eines die Zeiten „kontinuierlich aufflammenden Widerstands, des Aufbegehrens und der Widersetzlichkeit, der Selbstermächtigung“ (S. 148). Die durchzugreifen versuchende Renitenz wird präsentiert als ‚Ernte‘ von Gewalt, folgend einer als tyrannisch, unrechtmäßig, widrig dem alten Brauch erlebten ‚Saat‘. Verklammert wird die vielfache Dimension der speziellen Auswahl Maderthaners durch „das abgründig Grausame als ein konstitutives Moment gesellschaftlichen Seins“ (S. 149) generell; die von jeder Seite ausgeübte Gewalt ist zentraler Erklärungsgegenstand. Mag etwa die ‚Kuruzzen-Guerilla‘ in Ungarn von 1704 den ‚spanischen Guerillakampf‘ von 1809 „vorweg[nehmen]“ (S. 173), oder im ‚innerösterreichischen‘ Fall sich „in gewisser Hinsicht bereits der spätere moderne Überwachungsstaat in seinen ersten Konturen und all der ihm immanenten Bedrohlichkeit exemplarisch [ab]zeichne[n]“ (S. 139), der Autor vermeidet durchgängig den Anschein einer vorgezeichneten Bahnung des historischen Ablaufs, eines gesetzartigen Richtungssinnes.
Maderthaner bewältigt sein Thema mit Theoretikern verwandten Anliegens, etwa Ernst Bloch, Karl Kautsky, Peter Blickles ‚Kommunalismus‘; besonders Michel Foucault kommt ihm gelegen mit seinem Diktum: „im Übermaß der Marter ist […] ‚eine ganze Ökonomie der Macht investiert‘“ (S. 72). Den beträchtlichen, noch dazu durch die großen zeitlichen Intervalle seiner ‚Vorfallenheiten‘ gegebenen Differenzen zu einem heutigen Denken, sucht er zum adäquaten Verständnis mithilfe zeitgenössischer Auskunftspersonen, eigentlich seinen ‚Sympathieträgern‘ (Taurinus, Pál Kéri, Leopold von Sacher-Masoch) beizukommen. Handwerksgenauigkeit ist beim (vormaligen) Chefarchivar des ‚Österreichischen Staatsarchivs‘ zu erwarten, insbesondere dann, wenn „spärliche Quellenevidenz“ (S. 79) zu vermerken ist. Erklärungen von Begriffen wie etwa jener der ‚Leibeigenschaft‘ erschöpfen sich nicht in schlichten Definitionen, nach dem Muster: „das Herrschaftsrecht über den Leib“ (S. 141). Vielfach leistet nur eine hypotaktische Satzstruktur die zum Verständnis tauglichen präzisen Sachverhaltsdarstellungen bei der Kennzeichnung der komplexen Herrschaftsverhältnisse.
Fragen nach den Instanzenzügen, damit nach den Verantwortlichkeiten für eine etwaige unrechtmäßige, tyrannische Herrschaft, werden im Detail, dennoch komprimiert zu klären versucht. Etwa mit der Feststellung: „Landesherr und Stände waren […] keinesfalls Organe ein und desselben Staates, vielmehr bestanden zwei voneinander unabhängige souveräne Gewalten auf gleichem Territorium – eine eigensinnige Doppelherrschaft, […]; und weiter: „[…] Die erdrückende Mehrheit der bäuerlichen Bevölkerung war dem Staat nicht unmittelbar unterworfen, […] der Staat übte seine Herrschaft vermittelt durch die Grundherren aus“ (S. 97). Eben diese ‚Parzellierung von Souveränität‘, die Zerklüftung der Herrschaftsstruktur ist es, die „Zwischenräume, Optionen, Refugien offen“ ließ, Konfliktstoffe bezüglich „dörflichen Gemeinlandes und bäuerlichen (erblichen) Eigenguts, [der] Enklaven von kommunale[m] und individuellem bäuerlichen Land“ herbeiführte; und dergestalt eine „bedeutsame Basis von Autonomie und Widerstand“ (S. 110) bot.
Überblickt man die Ausübenden von Gewalt, so kamen diese aus vielen sozialen Schichten. Die Suprematie der pluralen Herrschaften bildeten neben der Dynastie der Habsburger genau genommen auch die Luxemburger, Wittelsbacher, Fürsterzbischöfe von Salzburg, Jagiellonen, mit Interventionen und Ingerenz; zudem die Fürsten von Siebenbürgen (Vasallen des Osmanischen Reiches) sowie Frankreich. Besonders der Einsatz von Söldnern belegt, dass es vielen um ‚Daseinsverbesserungen‘ ging, ja gehen musste, bei schreienden Unterschieden im ökomischen Ausgangsniveau. Der Autor erklärt, welche rechtlichen und vor allem religiösen Argumente die Aufständischen ins Treffen führten, wie die Seite der Macht und ihre Kontrahenten sich wechselseitig moralisch den Rang des Bösen anzuheften trachtete (vgl. S. 119). Die zentral hier zur Sprache kommenden Orgien von Gewalt, der Aufständischen, erklärt sich der Autor (mit Foucault) so: „[…] ein Spiegelbild des begangenen Verbrechens, […] aber als dessen bewusste ‚Übermächtigung‘“ (S. 73) Motive und Charakter der Gegenseite sind „Rachsucht und Niedertracht, die blanke durch nichts gehemmte Gewalt der letztlich (immer) Stärkeren“ (S. 148).
Jahrhunderte auseinanderliegend, werden fachgemäß die Rebellionen gegen die bestehenden Herrschaftsverhältnisse in der jeweiligen historischen Situiertheit als Phänomene ganz eigener Dynamiken vorgestellt. Ein regelrechter Vergleich, eine Typologie (außer der Konstante extremer Gewaltausübung) unterbleibt. Dabei werden Unterschiede merklich: Nur im Fall ‚Innerösterreich‘ ist von der Appellmöglichkeit an das ‚Stara pravda‘, „Solidarverbänden“, der „Bergfreiheit“, einer „frühen ‚Arbeiteraristokratie‘“ (S. 128) „im Alpenraum“ die Rede. Dergleichen unschwer zuordbare Fraktionierungen gibt es im Verlauf der Hussitenkriege nicht, welche aufgrund der besonders verworrenen, buchstäblich ‚Lager‘ bildenden, Allianzen wechselnden Erscheinungen, ein „Kettenglied der europäischen Revolutionen repräsentieren“ (Richard G. Plaschka. In: Revolutionäre Bewegungen in Österreich. Wien 1981, S. 65). Wohl der wirkmächtigste der hier gewählten Fälle. Beide Fälle im Königreich Ungarn vollziehen sich unter regelrechten Apartheid-Verhältnissen: ein eklatantes Beispiel, wie die Eliten, Magnaten und Gentry, die „weitere Aufrechterhaltung der habsburgischen Oberhoheit um den Preis einer genauen Beachtung der traditionellen, korporativen Privilegien der ungarischen ‚Nation‘ erkauft[en]“, zu der die „großteils hörige Bauernschaft“ (S. 186) überhaupt nicht zählte. Sicherung der Standesprivilegien mit dem Sanktus des (im übrigen Wahl-)Königtums! – Schlechthin die ‚win-win-Situation‘ im Feudalismus! Darauf läuft auch final der Ausgang des Aufstands in Galizien hinaus (‚Galizische Autonomie‘, 1867; soll heißen: die ‚Elite‘, szlachta der Polen regierte unter Beibehaltung der Agrarordnung). Der Autor räumt ein: Die zweifellos unter leibeigenen Bedingungen lebende Landarbeiterschaft fand in der „österreichischen Administration“ ein „Mindestmaß (oder eben eine Idee) von Rechtsstaatlichkeit“, „wurde so, wenn auch nur indirekt zum temporären Verbündeten der Habsburgermonarchie“ (S. 220); zusammen gegen die nationalpolnischen Adelsinsurgenten. – Die polnische Historiographie hat diese Art von Begünstigung, im Vergleich zu den Teilungsmächten Russland und Preußen, honorierend nicht vergessen.
Nicht vergessen hat der Autor zu vermerken, dass in von Untaten gegenüber (als solche nicht anerkannten) Ko-Nationalen ablenkender, geschichtsverfälschender Weise, „alles Habsburgisch-Kaiserliche im Ungarn des ausgehenden 17. Jahrhunderts unter die Begrifflichkeit des ‚Deutschen‘ subsummiert“ (S. 159) wurde (durchaus aktuell in der nationalistisch-magyarischen Historiographie). – Wohingegen das „Überläufertum“ grassierte (S. 160)! Ein Vorgänger Maderthaners im Anliegen einer flammenden Kritik an Praktiken der Macht, hat in seinem dreibändigen Werk: ‚Spuren der Besiegten‘ auf die Dialektik, Zweischneidigkeit von reaktiven Gewaltausbrüchen, und so auf die latente oder manifeste, jedenfalls aktualisierbare Brisanz des abgehandelten Themas expressis verbis verwiesen: „Die Grenzen zwischen Gegengewalt und Nachahmung der erlittenen Herrschergewalt werden von jeder Freiheitsströmung neu zu ziehen sein“ (Hellmuth G. Haasis: Spuren der Besiegten. Bd. 1. Reinbeck b.H. 1984, S. 15). Gar nicht untertreibend, nennt der Autor seine Fälle: ‚Aufstände‘; die Bedingungen für den im Allgemeingebrauch verwendeten Begriff ‚Revolution‘ sind (noch) nicht gegeben. Wenn, dann wäre es der alte, aus christlich-antiker Tradition: der einer ‚Revolutio‘ als eine „Wiederkehr der Zeiten“ (Gerhard Botz. In: Revolutionäre Bewegungen – wie oben, S. 9). Dies gilt selbst für das Beispiel ‚Innerösterreich‘; bietet es doch im Grunde ebenfalls ein Zurückgreifen, gar auf Ursprünge zivilisatorischer Verhältnisse, ohne „jede Herrschaft, jede Obrigkeit, jeden Staat“ (S. 141).
Eine Darbietung, so sachlich wie nötig und so wenig ‚trocken‘ wie möglich. Wobei jede, womöglich als solche interpretierte ideologiegeleitete Art der Durchführung, hinter der Verve gegen Anwendungen jedweder massiven Gewalt verschwindet.