Konrad Lorenz
Biografie

Das Programm des Czernin Verlags setzt bevorzugt auf österreichische, umstrittene, (anti)faschistische und abgelegenere Themen. Macht man von dem generellen Vorschlag des Autorenteams Gebrauch, aus der wahren Fülle von Daten zu und von Lorenz persönlich „sich selbst eine Meinung bilden [zu] können“ (S. 17), lässt sich nach Lektüre, zwar nicht auf den ersten Blick, nachvollziehen, dass die Biografie just dieses privaten wie öffentlichen Multitalents von einem Menschen zu geben, nahezu perfekt zur Verlagslinie passt.

Das Autorenduo lieferte bereits, separat, einen Dokumentationsband zu Lorenzens NS-Vergangenheit. Vorliegende biographische Neuauflage ist überarbeitet und aktualisiert. Entsprechend stehen hier das Verhalten von Lorenz, seine Selbstaussagen, das Verhalten anderer und deren Aussagen zu Lorenz im Zentrum, mit diesbezüglicher zeithistorischer Kontextualisierung. Dabei begleiten Fotos die „das gesamte Leben von Konrad Lorenz abdecken“ (S. 13) wollende Präsentation.

Quellenmaterial gibt es zuhauf, um seine Figurationen als mehrfacher ‚Unterhalter‘ (etwa der eigenen Forschungsdisziplin Ethologie, seiner Tiere, Kollegenschaft, Gäste, überhaupt seines Publikums) nachzuzeichnen: ein „wissenschaftlicher Selbstdarsteller“ (S. 407), „mitreißende[r] preacher“ (S. 264). Als pauschale Charakterisierung wäre den Autoren die einer ‚scientific persona‘ (vgl. S. 320) wohl am liebsten. Wären da nicht „[s]eine (rassen)politischen Fehltritte“ (S. 410)!

Wiederum sieht auch in dieser Biografie das Duo sich beauftragt, diese mit Hervorhebungen seiner Lügen (vgl. S. 217, 339) und ‚Fehlschlüsse‘ (vgl. S. 133) zu spicken, Lorenz frequent zu kritisieren, wo er betreffs Angaben zu seiner Haltung und Aktivität im unmittelbareren Dienst des NS-Deutschland „sehr zugeknöpft“ (S. 176) ist. Wenn auch manche Verdächtigungen „sich aufgrund der schlechten Quellenlage weder bestätigen noch widerlegen“ (S. 178) lassen, so ist sein Bekenntnis „explizit zur nationalsozialistischen Rassenpolitik“ (S. 131) nicht wegzuleugnen.

Ein Dilemma für die Autoren, so scheint es, denn die Persönlichkeit ‚Lorenz‘ hat es ihnen dermaßen angetan, ihr erneut eine Beschreibung zu widmen: „Konrad Lorenz hat nicht wenigen das Leben gerettet“ (S. 192), ist nur eine der belobigenden Aussagen über ihn, die diesfalls übrigens schlicht seinem Selbsturteil wortwörtlich folgt (vgl. S. 194). Lorenz jedoch zugetan sein zu können, müssen sie sich versagen, sind doch allein schon die „unauflöslichen Widersprüche und Ambivalenzen“ ihrer Zentralperson „mitunter schwer auszuhalten“ (S. 17). Konkret lautet ihr Hauptvorwurf, dass „Lorenz von seinen ideologisch verbrämten Spekulationen selbst überzeugt war“ und von manchen „er sich noch Jahrzehnte später nicht wirklich abbringen ließ“ (S. 133).

Tatsächlich ergeben die hier skizzierten Stationen des Forschers alles andere als das Bild einer schillernden Persönlichkeit, mit oft wechselnden, konträr liegenden Handlungen, oder auffällig inkohärent in Gebarungen und geäußertem Denken. Jedenfalls nicht entlang aller seiner vier [!] lebenszeitlichen, hier politisch gemeinten ‚Topen‘ (autobiografisch zählt er: „‘drei scharf geschiedene historische Epochen‘“; S. 11).

In der Monarchie (‚Top‘1), aufgewachsen unter Honoratioren aus Wissenschaft, Kultur und Politik, als familiärer Nachzügler mehr umsorgt als obwaltet, findet er im Umkreis des bewohnten „feudalen Anwesens“ (S. 65) Tiere vor, in die er sich hineinversetzt: ‚My familiy and other animals‘ (so in seiner Erinnerung; S. 394). Er entwickelt dabei jene Ansichten, Überzeugungen, gewonnen einerseits aus eigenen Beobachtungen tierischen Verhaltens, die andererseits als Engführungen (Kurzschlüssen) animalischen und menschlichen Artverhaltens zeitgeistig ‚in der Luft lagen‘. Darin verharrt er, und gestaltet die für ihn gegebene Zusammengespanntheit auf seine Weise zur pionier-, monopolhaften ‚Ethologie‘ aus, in der seine Theorie vom ‚Auslöser‘, provoziert „durch triebhaft festgelegte Reaktionen“, zum „Schlüsselkonzept der klassischen Verhaltensforschung werden sollte“ (S. 80). Der „bis zu seinem 35. Lebensjahr“ (S. 67) fertige Kernbestand seiner Wissenschaftskonzeption, inkludierend stets die ‚Analogien phylogenetischer und kultureller Entwicklung‘, bildet das Rezept für seine, durch andere bekräftigte berufliche Karriere; ohne Knick. Lorenz ist dabei (s)ein getreuer Herr [!] des für viele andere (unterschiedliche Gruppen) Dienlichen. Darin verschlungen, zeigt sich vor allem sein Selbstkonzept als Lebensrezept. Das (gestellte) Foto (1967 an Floridas Strand) am Frontispiz des Bandes macht Konzept wie Rezept augenfällig, worauf sie u.a. beruhen: ein ganz so schwieriger Balanceakt, wie er glauben machen soll, ist durch die Sicherungskapazität seines festen Stands ja nicht gegeben, den ihm der massive, verstrebte Anker bietet.

Selbstsicherheit zu entwickeln, ermöglichte ihm das familiäre Milieu seiner Kindheit und Jugend. Dazu kommen seine positiv bestätigten, offenbar (Grund-)Eigenschaften, Neigungen: zur Suggestion, zur Selbstkonditionierung, (Tier-)Nachahmung (vgl. S. 210), Autodiagnose (‚pathologischer Optimismus‘; S. 343), Selbstdramatisierung (vor allem in rückschauender Erzählung; ‚beschwingte Euphorie‘ im Kriegseinsatz (vgl. S. 182). Für die Biografen sind es mitunter „schier unglaubliche Schilderungen“ (S. 187). Bei allem behält er, in Referenz auf seine Kindheit, erklärtermaßen seine Juvenilität bei, als eine sich selbst zugeschriebene „respektlose Lausbubenseele“ (K.Lorenz: Die Rückseite des Spiegels. München 1977 [1973], S. 278).

Lorenz wendet sich dorthin, wo er Anklang und nicht Missklang findet, mit den Inhalten seines ‚Instrumentenkoffers‘, seinen Prozeduren fulminant ankommt. Will ihn das katholisch regierte, dem Biologismus abgeneigte Österreich der Zwischenkriegszeit (‚Top‘2) nicht, finden sich Institutionen im Deutschen Reich (‚Top‘3). Da kommt er dem Regime exzellent, als biologistischer Wissenschaftler zupass. Im Österreich nach 1945 (‚Top‘4) wird es bis in die siebziger Jahre dauern, bis er, inzwischen international renommierter Verhaltensforscher und Nobelpreisträger, zum „nationalen Gewissen“ (S. 405) reüssiert, zum „‘jüngsten Alten‘“ (S. 369), zur „Galionsfigur“ (S. 346) der österreichischen Umweltschutzbewegung.

Hauptsächlich deshalb, weil er für die Konservierung einer Donauauenlandschaft unterhalb Wiens, als ein Reservat, sich erfolgreich stark macht. Dabei wird die artenreiche Auenlandschaft (der Donau oberhalb Wiens) seiner Kindheit einem Kraftwerk geopfert. Als ‚jüngster Alter‘ der Grünbewegung steht Lorenz mit seinem Todesjahr 1989 schon an der äußersten Zeitgrenze, wo mit der ‚Waldheim-Affäre‘ eine Revision im Selbstverständnis bezüglich der Rolle der ‚Ostmärker und Ostmärkerinnen‘ im ‚Großdeutschen Reich‘ einsetzt, die diesbezüglichen Lustrationen anheben.

Schon aufgrund seines Vaters (einem exponierten Eugeniker; vgl. S. 423), dessen Vater „Sattlermeister und Gastwirt im damaligen Österreichisch-Schlesien“ (ein ethnisch gemischtes Kronland, mit zur Hälfte deutscher, die andere polnischer und tschechischer Kulturzugehörigkeit; S. 20) war, verstand sich Lorenz, prononciert, als ‚Deutsch-Österreicher‘. Da gibt es einerseits seine respektlosen, abschätzigen Kennzeichnungen seiner Landsleute als „faul“ und „besonders meckerbereit“ (S. 109), im Zusammenhang mit seinem Bekenntnis zum deutschen Nationalsozialismus; andererseits seine Selbstdefinition als „Lokalpatriot“ (S. 244). Nach gewonnenem Kampf um Rettung der Hainburger-Au bekennt er, ergriffen „‘Ich war noch nie in meinem Leben so stolz, Österreicher zu sein‘“ (S. 363). ‒ Welches ‚Österreich‘ ist gemeint? Das in den letzten Jahren der Monarchie? Eine ‚Epoche‘, die er ja nicht einmal mitzählt (‚Top‘1)? - Vorliegende Biografie verhilft zu eigener Beantwortung. Die von den Autoren als „für einen Österreicher durchaus ungewöhnlich[e]“, „bis 1940 anhaltende Kriegseuphorie“ (S. 136) könnte dann sich erklären als eine auf selbstlizensierte Rachetriebe gründende Revanche für eine Niederlage der ‚Seinen‘ im 1. Weltkrieg. Trotzdem!

Er ist er viel mehr ein ‚Re-Versionist‘ als Revisionist: Er „verweigert“ sich „dem unaufhaltsamen Trend der Wissenschaften“, bleibt bei seinen Erkenntnissen, erzielt „durch bloße Beschreibung“ (S. 408). Das Ziel dabei ist immer retrograd: Stammesgeschichte des Menschen aus seiner Animalität heraus. In seinem Alterswerk empfiehlt er, die Zurichtungen (‚Verhaustierung‘), insbesondere des urbanen Menschen abzuschütteln, die Dressuren durch die Besinnung auf ‚natürliche‘, sprich auch triebhafte Anlagen zu korrigieren, um nicht[!] zu degenerieren.

Schon erstaunlich, wo er doch die Erfahrung zu bewältigen hatte, dass die ideologiedurchtränkte Zurücksetzung der (aggressiven) Triebschranken in der „NS-Doktrin im Diente der Wahrheit [von ihm nicht; K.P.R.] gezügelt werden“ (S. 335) konnte. Er ist wesentlich ein Forscher des genealogisch ‚Weit-Früheren‘, als ein Bundesgenosse der ‚Ewig-Gestrigen‘, aller Vereinnahmungswünsche „weit rechtsstehender Intellektueller“ (S. 358) zum Trotz. – Und so auch keiner für das Morgen oder gar Übermorgen. Manche wünschen sich Konrad Lorenz abgelegen sein zu lassen: weil wissenschaftlich überholt und vor allem ‚politisch‘ für besser ‚abzulegen‘. Dabei ist seine Ausgemeindung per Dekret (in Österreich etwa die Aberkennung seines Ehrendoktorats der Universität Salzburg), wer die österreichischen Verhältnisse kennt, ein Indiz dafür, dass er, eben wegen seiner ‚Profile‘, durchaus eingemeindet ist.

Zeit seines Lebens verstand es Lorenz, für sich etwas zu reklamieren, zu reservieren, so wie er auch stets Reservate für sich (vor)fand. Die Zustimmung, die ihm widerfuhr, weist ihn, zusammen mit allen gegenüber ihn anzubringenden Reserven, als eine Schlüsselpersönlichkeit im Rahmen einer mit ihm mitgewachsenen österreichischen Identität aus. Aufgrund dieser Neuauflage, nunmehr besser nachverfolgbar!