Wenn die Editionen von Kosovels (1904-1926) schriftlichen Hinterlassenschaften sich als „windungsreich“, „noch immer nicht abgeschlossen“ (S. 173) erweisen, der Übersetzer in diesem Fall seine eigene Auswahl trifft, als seine besondere Komposition aufgrund der geistigen Intimkenntnis des Slowenen so vorzulegen wagt, darf er sich bei dieser eigens konstellierten, gefügten, zusammenfließenden Verwendung der Basistexte, der prinzipiellen Zustimmung ihres Urhebers sicher sein.
Eine solche Akkordanz gilt auch für die wohlbedachte Manier, Kosovels Einfälle, Aperçues, Notizen, Notate aus Briefen und Tagebüchern (allesamt in chronologischer Folge) in einen Verweisungszusammenhang mit dessen Lyrik zu bringen; es sind dies Zeilenblöcke in überwiegend freien Rhythmen bzw. Prosalyrik. Das Korrelationsverhältnis zeigt sich als stringent, fast ‚ehern‘, dabei auch lose, also trotzdem durchlässig. Jeder Anschein von Zusammenfassung, Geschlossenheit wird so hintertriebenen. Der dabei entstehende (Zwischen-)Raum des semantischen Gefüges bleibt volatil, bewirkt Variationen bei den Entzifferungsversuchen. Mit genannter Editionstechnik führt der Übersetzer die Hauptsachen bei Kosovel weitestgehend eng: dessen Denk- und Gefühlsebenen, mit den Flächen und Erhebungen des Karsts. Zusammen bilden sie keinen Container; sie leben von Offenheit und, im Grunde, Unsichtbarkeit. Dabei sind es die Verwandlungen und Veränderungen der Karstlandschaft mit ihren Korrosionen (Zersetzungen) und Erosionen (Absonderungen), insbesondere in ihren Untergründen, die Kosovels ‚Philosophie‘ geradezu kongenial entgegenkommen: so ergeht er sich ‚im‘, ‚den‘ Karst, er ‚verfällt auf den Karst‘, ja scheint ihm ‚verfallen‘ zu sein.
Traumwandlerisch („Träumender Narziß“; S. 93) und wach-hell aufmerkend, ist vorwiegend die Karstlandschaft der Auslöser für seine oft spröde, schroff wirkende, eigentlich ‚minimalistisch‘ zu nennende gedankliche Form. Zur Anreicherung seiner Sinne und Überlegungen ist ihm der Karst Refugium, Asyl. Zudem liegt er vor seiner Haustüre. In seiner tiefen Jugend verlief die mehrjährige, verbissen von Österreich-Ungarn und Italien umkämpfte Isonzofront knapp vor der Tür des Familienhauses. Dieses Erleben orientiert den beginnenden Erwachsenen Kosovel nachhaltig im Denken, Fühlen und Handeln.
Der „Karst – das Land der unterirdischen Flüsse, Höhlen, des Verschwindens und des Auftauchens, des Verwandelns“ (Lojze Wieser: Karst. 1997, S. 236), bedeutet, verschafft Kosovel Plateauerlebnisse. In dessen Tiefe, im Verborgenen vollziehen sich Veränderungen, auf die er programmatisch setzt („etwas Neues zu entwickeln aus dem Schatz des Unbewußten und Direkten“; S. 153). Er sucht - in (un)umwundener Form – „Das ungeschriebene, ungedachte/ das nie geahnte WORT“ (S. 89). Bei ansonsten umfassender Zeitkritik, glaubt er im Erleben dieser sehr belassenen Naturlandschaft an „Zukunftsdämmer am Horizont“ (S. 99): „Alles hat seinen Wert verloren./ Das weiße Meer der Frühlingnacht/ergießt sich über Felder, Gärten./Ahnung von Zukunft zieht an uns vorbei.“ (S. 89)
Kosovel nimmt einen (hin)ein, und Hartinger kann recht gegeben werden, wenn er meint: „sein Werk wirkt. Mehr denn je.“ (S. 175) Bietet Kosovel doch eine Eutopie, die anders als eine Utopie oder Dystopie ein Vertrauen in ein gesundes, synergetisch wirkendes Umfeld voraussetzt. Und früh scheint er beinahe zu Ende gereift in seiner Art von Selbst(trauma)therapie. Die aktuell so umworbenen Eigenschaften von Resistenz und Resilienz, sie werden in Kosovels Werk vorgelebt: akkurat als „Karstler“ (S. 52) möchte er „ins Lot kommen“ (S. 120). Was dabei besticht, ist, dass er auf Wirkmächte setzt, und dabei ohne jegliche Gewalt auskommt. Dazu zwei Vergleiche: 1. heißt es bei Kafka, dass ‚das Buch wie die Axt sein muss für das gefrorene Meer in uns‘, so bei Kosovel: „Das Gedicht muß wie Wasser sein: im Wald rauschend, geheimnisvoll, im Feld hellglänzend […] mächtig, wenn es Dämme bricht, wild, wenn es Sklavenflossen trägt …[…]“ (S. 137); 2. beschreibt die überwiegend Lyrikerin Sylvia Plath in ihrem Roman ‚Die Glasglocke‘ (1961) eine erstickende Existenz, formuliert Kosovel: „Der gläserne Himmel/ zerbrach/über uns weiche, dunkle Wolken./Seide.“ (S. 15)
Nicht die repressive „konfessionelle Weltanschauung“ führt ihn, sondern „die natürlich-menschliche Beziehung des Menschen zum All, d.h. des Menschen zum Menschen, zu den Tieren, der Natur und zu unbekannten Naturkräften, die sich unserer Kenntnis entziehen […]“ (S. 157). Auf Harmonie ist er dabei nicht aus, denn sein Credo ist: „Das Paradox weckt den Gedanken.“ (S. 137). Getrost vermag er sich an das Wasser als ‚die Eminenz‘ zu halten (gleichsam sein ‚Ghostwriter‘), die in den Adern des Karsts fließt und als jene Sensibilität wirkt, der er sich durch sie geleitet überlässt. Was landläufig als schroff und abweisend gesehen wird, ist ihm das vertrauteste und vertrauensbergende Mysterium. Der Übersetzer vermerkt in der biographischen Skizze die letzten „qualvollen Wochen“ (S. 169) des sterbenskranken, noch adoleszenten Autors. Völlig verflüchtigt scheinen in seinen Exerzitien selbst winzige Gedanken an jedwede staatliche Inhaberschaft dieses Landstrichs. - In optimistischer Weise gibt es für Kosovel aus ihm, eben wie für den Lauf des Wassers, kein Entrinnen.