In ethnographischer Manier, mit ihren charakteristischen ‚Feldforschungen‘, sind es diesfalls die Kinderzimmer, wo der Autor sich bei den Kindern in deren Privatsphären umschaut und umhört. Und zwar im Zuge einer aus dem angloamerikanischen Raum stammenden Methode zum Zweck von Novellierungen im Basiswissen des Fachs Geschichtsdidaktik; noch wenig angewandt in deutschsprachigen Ländern. Beinahe notgeboren, könnte man meinen, denn „die Unterschiede […] zwischen den bildungspolitisch fixierten thematisch-epochalen Zielvorstellungen im Geschichtsunterricht und den als Lernvoraussetzungen zu klassifizierenden lebensweltlichen Begegnungen mit Geschichte im Kinderzimmer, die von den Kindern vor dem systematischen Geschichtsunterricht gemacht werden“ (S. 137), erweisen sich als zu eklatant.
Mit Bahnbereiter:innen, eigenen Vorstudien und überhaupt wissenschaftlichem Fundus geht Kühberger sehr behutsam zu Werk: er führt vor, wie seine Expertenrolle auf diesem ‚Feld‘ diszipliniert zu bemeistern, während den Kindern freier Lauf zu lassen ist. Geht es doch darum, bei Kindern die Bildung von Temporalität, einem Fühlen und Denken betreffs Vergangenheiten, zu ermitteln, genauer, welchen aktuellen soziokulturellen Strömungen sie ausgesetzt, welchen sie sich überlassen, welche sie selbst dabei erzeugen, bevor sie als ca. Elfjährige in den Geschichtsunterricht strömen.
Was mit Bedacht in einer möglichst entspannten, gelösten Atmosphäre, in ihren Rückzugsräumen (der „Hinterbühne des historischen Lernens“; S. 312), den Kindern ‚entlockt‘ werden soll, verbirgt keineswegs die starke Ambition einer Wissenschaftsdisziplin gerade durch die Weise der vorliegenden Darbietung. Die gehörigen Absichten schlagen sich im systematischen Aufbau, den vielen Kategorisierungen und Diagrammen (54 Abbildungen), Dialogwiedergaben nieder; sollen sie doch schließlich auf „eine Transgression hin zu einem wissenschaftlichen Denken“ hinauslaufen, das geprägt ist von „Distanznahme, Reflexion und methodisch geregelte Analysen“ (S. 284). Ermittlungen zur „domänenspezifische[n] Tiefenstruktur des Faches“ (S. 57) beginnen hier damit, dass der Autor die eigene Spielvergangenheit als Kind ins Spiel bringt, seiner Befassung mit Geschichtlichem auf der Spur bleibt.
Heute, bemerkt er, würde sich das Spielgeschehen im Kinderzimmer auch auf das Wohnzimmer erstrecken, und so „das Leben der Familienmitglieder noch stärker ineinander [verwebt]“ sein (S. 207). Deshalb ist soziales Taktgefühl tunlichst zu wahren, bei den Besuchen in familiärer Intimität, gleich einem ‚Schrein‘ der elterlichen Instanzen im Verein mit ihrem Nachwuchs. In ‚ihm‘ gilt das heuristische Prinzip: „als Einheimische […] und Besitzer_innen der Objekte“ (S. 112) haben betreffs dieser die Kinder die Expertise.
Die Unbekannte, im Erkenntnisinteresse ist der „Einfluss [der] Instanzen der öffentlichen Geschichtsvermittlung“ (S. 127). Allfällige Suggestionen werden „als Lernvoraussetzungen im Kinderzimmer“ genommen, und nun kombiniert mit der Frage, in welches verträgliche (trag- sowie vertretbar) Verhältnis diese publik kursierenden Versionen mit „den bildungspolitisch fixierten thematisch-epochalen Zielvorstellungen im Geschichtsunterricht“ (S. 137) gebracht werden können.
Als (mögliche) pädagogische Verbündete, mit deren Bildungshintergrund, leuchten die Eltern unmittelbar ein. Aber auch die Spielzeughersteller, mit ihren Angeboten diverser ‚Inspirationsquellen‘ (vgl. S. 185), werden hier weniger als Konkurrenten denn als Mitwerber angesehen. Auch wenn deren „geschichtskulturelle Settings“ (S. 186) als Fertigprodukte, ‚Konserven‘ angesehen werden können, gibt es trotz durchaus lenkender Spielanordnungen eine größere, geringere oder ziemlich andere Gefolgschaftsleistung (vgl. S. 248). Präzise macht Kühberger dies am Phänomen der ‚Affordanz‘ (vgl. S. 219, 239) deutlich.
Aus den Interviews wird kund, dass „in den Spielhandlungen Vergangenheitsvorstellungen tangiert, berücksichtigt oder aufgebaut“ (S. 195) werden, und zwar „nicht vorrangig distanziert, intellektuell-kognitiv“, sondern, im Kern, durch „akzentuierte Erlebnisintensität“: Kühberger nennt sie „eine an das Selbst gebundene emotional bzw. körperlich erlebte zweite Wirklichkeit“ (S. 217).
In dieser gleichsam genetischen ‚Küche‘ von Temporalbildungen, ist die Distanz zur Fiktion mitunter aufgehoben [sic!], in solchen „magic moments“ verwischen die Strukturen von Vergangenheit und Gegenwart, ja werden ‚plan‘; „man verliert sich“ (S. 217) und ist gleichzeitig ganz bei sich, im Zentrum des mit Dingen imaginierten Geschehens, ganz der hantierend-mitagierende Beweger, die Bewegerin. – Die gesamte hier proponierte Forschungsanlage trifft, das einander Entgegenkommen begünstigend, auf die Selbst-Majestätisierung der Kinder. Diese passt auch trefflich zu den Favoriten ihrer Spielobjekte, ihren Identifikationen und Projektionen: Prinzessinnen der Schlösser und Könige (Ritter) der Burgen sowie jene der Meere, Piraten. Schließlich ‚outen‘ sich die Kinder, auch in dieser Domäne, als „Bastler_innen“ (S. 268), mit Ingredienzien kultureller „Versatzstücke“, welche „wenig Ordnung, häufig keine Hierarchie, letztlich nur eine vage oder gar keine Zeitlichkeit kennen“ (S. 269).
Fachkundig, bestreitet Kühberger „große Erkenntnissprünge gemacht“ zu haben (S. 267) mithilfe ethnographischer Unterstützung. Dennoch bleibt zu wünschen, dass seine, sich im Übrigen auf empirisch salzburgisch-österreichische Verhältnisse beziehenden Ergebnisse, in die Propädeutik des Faches Eingang finden. Gerade deshalb, weil der Autor auf (s)einer emotionalen Nabelschnur besteht, die nie ganz abreißen sollte, wenn die Schülerschaft aus jeglichem Unterricht entlassen. Auf der Basis der Berücksichtigung der spezifisch kindgemäßen Entstehung des Befassens mit Historie, kann der erwachsene Bezug zur ‚Geschichte‘ auch weiterhin ein „‘Nährboden für Erlebnisse, für Erlebnissurrogate, für Emotionen und Lebensgenuß‘“ sein (S. 284).
Bei allem spielerisch Vergnüglichem, wird ein fachspezifischer Ernst gewahrt: indem man den Kindern das notwendige Vertrauen schenkt, wird ermittelt, was ihnen zuzutrauen ist. Das ist auch die eigentlich auf das Heute und Morgen ausgerichtete Seite des Fachs ‚Geschichte‘. Das Buch ist für eine Fachleserschaft konzipiert.