Gerechtigkeit für Tiere
Unsere kollektive Verantwortung

„Die Zukunft, das sind wir“ (S. 355), so die Ratio der Autorin bei ihrer Ambition, „eine philosophische Theorie vor[zulegen], die auf einer sachgemäßen Sichtweise des Lebens der Tiere beruht und dem Recht kompetente Empfehlungen gibt“. (S. 12) Ihr Zugang wie Ausgang sind ihre Emotionen, nämlich „Staunen, Mitgefühl und Empörung“ (S. 25), wobei letztere sie als „Übergangszorn“, weil „ohne Vergeltungswünsche“ (S. 40) einführt: vergleichbar einem elterlichen Zorn, der für die Kinder anlässlich ihres Fehlverhaltens Abhilfe zu schaffen sucht. Und während spürbar Sensibilität die gesamte Aufbereitung grundiert, bestimmen vorwiegend Appelle an die Vernunft das Gesamtwerk. Was allein schon eine Kunst, da sie viel mehr begütigend als aufgeregt, trotzdem emphatisch ihre dringlichen Anmahnungen vorbringt. Ihr Tonfall ist fernab von zürnend oder gar drohend; stilistisch wie inhaltlich bedient sie sich überwiegend der Diskussion, durchsetzt mit wissensbasierten Informationen, nur vereinzelt Aufzählungen in Punkten. Besonders empathisch wirken ihre Anwendungsbeispiele aus der Tiersphäre, samt ihren Veränderungsideen.

Die Überzeugungsabsicht Nussbaums lässt sich gut an der Abfolge der kapitelweisen Inhalte erkennen: Zunächst konturiert sie ihre theoretischen Standpunkte mithilfe der Besprechung der Pioniere auf gegenständlichem Gebiet, der Rechtsethik in Kombination mit Tierethik. Aus deren bemängelten wie übernahmetauglichen Ideen entwickelt sie den eigenen zentralen ‚Fähigkeitenansatz‘. Ihm zufolge sollte eine „annähernde gerechte“ Gesellschaft nicht nur „jedem einzelnen Bürger einen Mindestumfang zentraler Fähigkeiten garantier[en]“ (S. 107), sondern auch den Tieren, da beide „ein Band“ (S. 105) verknüpft. Eine „Rangordnung“ (S. 42) stellt sie dabei in Abrede, und da „es keine Stufenleiter der Natur [gibt]“ (S. 185), „[sollten] wir den Menschen keinen absoluten Vorrang einräumen“ (S. 227).

Nachdem aber nur die Menschen „das Monopol der Festlegung des Rechts in dieser Welt besitzen“ (S. 321), obliegt es ihnen, rechtlich dafür zu sorgen, „dass jedes Lebewesen eine angemessene Chance erhält, sich auf eigene Weise zu entfalten“. (186) So besehen, handelt es sich im Falle der Tiere um jene Rechtssubjekte, welche aufgrund ihrer Seinsweise eine Anwaltschaft erheischen. Mit einer derartig begründeten juristischen Ausrichtung auf die Tiere, verspricht sie sich auch eine Richtungsänderung größeren Stils bei den Menschen, weil dann die, die „allgegenwärtig“ „die Meere und sogar die Lüfte kontrollieren“, ihr „anmaßendes Verhalten korrigieren [müssen].“ (S. 186)

Somit visiert sie ebenfalls eine Wandlung der Menschen mithilfe von Anverwandlungen tierischen Verhaltens an, ohne jemals eine Differenz zwischen Tier und Mensch anzuzweifeln. Vom Unterschied erwartet sie sich sogar den entscheidenden Gewinn, mit Hinweis auf das tierische Spezifikum, namentlich „eine gefühlte Ausrichtung auf das, was sie als gut ansehen, und eine gefühlte Abneigung gegen das, was sie als schlecht ansehen“ (S. 149). Tiere sollen also pädagogisierend auf die Menschen wirken, als Orientierungsinstanzen für Lösungen bei menschlichen Fehlentwicklungen.

Nussbaums ‚Animalogie‘ widerspricht somit jedem wie auch immer gearteten Plädoyer für eine regressive Form, einer Animalisierung der Menschen, schon allein durch die nur dem Menschen mögliche rechtssetzende Rolle gegenüber den völlig schuldunfähigen Tieren, die überdies keinerlei Pflichten haben können. Statt Machbarkeitsstudien zu referieren, begnügt sie sich mit dem Hinweis darauf, dass u.a. in den USA in den letzten Jahren Tieren „eine beträchtliche Anzahl von Rechten zugestanden wurden“ (S. 325), und zählt dafür Beispiele auf.

Ihre Vorschläge zur Entwicklung moralischer Standards haben wohl bio- und physiozentrische Fundamente. Dennoch baut sie zuversichtlich auf die anthropozentrische Rollenfunktion, die humanen Kapazitäten zur ‚Formierung‘ von Existenz, gerade indem sie beklagt: „Wir deformieren die Existenz intelligenter und auf eine komplexe Weise empfindungsfähiger Lebenswesen.“ (S. 11). Die besonderen Zeitereignisse im Zuge ihres Lebens pfleg(t)en als Erfahrungen in Nussbaums wechselnde Forschungsschwerpunkte einzugehen, wo sie auf jeweils aktuell und akut werdende Entwicklungen des Risorgimento oder ein Risveglio (etwa des ethno-nationalen Selbstbewusstsein; Emanzipationsbewegungen) profund reagiert(e). „Wir leben in einer Zeit des großen Erwachens“ (S. 359), meint sie, und damit, dass Tieren mehr und mehr Rechte zu geben für sie eine bereits vor sich gehende Tatsache ist.

Man mag dies als Illusion oder Realitätstrübung ansehen; Nussbaum deshalb jedoch als anmaßend, würde einen dem Verdacht aussetzen, sie in ihrer Anmaßung noch zu übertreffen. Jedenfalls folgte man ihrer hier entwickelten Argumentationen. Nach dieser, plädiert sie, im großen Lebenszusammenhang, für eine Aufgabenteilung bei allen Lebewesen. Der Mensch kann ja durchaus weiter eine ‚Richterin der Tiere‘ bleiben, müsste deren konkrete´ Anwältin aber erst werden.