Gerade für Personen, die dem religiösen Nonkonformismus zuzurechnen sind, die sich bewusst außerhalb der Normen und Grenzen der verfassen Kirche verorteten und diese hinterfragten, kam der Vernetzung eine besondere Bedeutung zu, um in Situationen, wie Guido Naschert, der Herausgeber des Bandes schreibt, „von Verhören, Amtsenthebung, Gefangennahmen bis hin zur Verurteilung zum Tode […] in besonderer Weise auf die Hilfe anderer“ (S. 253) zurückgreifen zu können. Dieses Bedürfnis schien Friedrich Breckling (1629–1711) mit seinen Auflistungen, die dem Wahrheitszeugenkontext zuzuordnen sind und von denen im vorliegenden Band zwei erstmals ediert vorliegen, zeitgenössisch bedienen zu wollen, und bietet der nachzeitigen wissenschaftlichen Auswertung damit zugleich einen Einblick in Zustandekommen, Ausdehnung und Aufrechterhaltung eines europaweiten Netzwerks religiös dissidenter oder nonkonformistischer Strömungen am Ende des 17. Jahrhunderts. Bei sogenannten Wahrheitszeugen handelt es sich um Personen, die als Tradierende einer religiösen Wahrheit angesehen werden, deren Inanspruchnahme zumeist der Selbstvergewisserung und Legitimierung einer mehrheitlich als deviant erachteten religiösen Überzeugung und der Konstruktion einer verlässlichen Traditionslinie einer ebensolchen Lehrmeinung dienen sollte.
Der Band gliedert sich in drei Teile: Den ersten Teil bildet die Edition eines topographischen Katalogs Brecklings aus den 1690er Jahren, der alphabetisch nach Ortsnamen geordnet mehr als 1000 Personen mit Angaben wie etwa zu Biographie oder Berufsstand verzeichnet. Das Konzept der Wahrheitszeugen und die Erstellung solcher Kataloge stehen dabei in einer langen Tradition, die insbesondere zur Zeit der Reformation und der Notwendigkeit, die eigene Lehrtradition zu legitimieren, populär wurde, und an die sich auch Breckling hier anschließt, wenngleich er signifikant über dieses Anliegen hinausgeht. Nicht mehr die historische Vergewisserung steht in seiner Auflistung im Vordergrund, sondern insbesondere die Bereitstellung gegenwärtigen Orientierungswissens, das er aus langjähriger praktischer Netzwerkarbeit und nicht allein aus Literaturrecherche gewann. Im Unterschied zu weiteren solcher Listen in Brecklings Nachlass war ebendiese Herangehensweise ausschlaggebend für die Auswahl des hier edierten topographischen Katalogs, der sowohl als Faksimile und Transkription (S. 9–79) als auch in einem editorischen Namenslexikon der von Breckling angeführten Personen (S. 80–169) geboten wird. Das editorische Namenslexikon versucht die genannten Personen extern zu identifizieren, die von Breckling gemachten Angaben systematisch zu erfassen sowie gegebenenfalls, wo dies möglich ist, mit zusätzlichen Informationen zu erweitern.
Der zweite Teil besteht aus der Edition von Brecklings Bibliotheca Bibliothekarum (S. 171–230), einer Sammlung von etwa 2000 Werktiteln, ebenfalls aus den 1690er Jahren, die in alphabetischer Reihenfolge empfehlenswerte, aber zumeist vernachlässigte Schriften der von Breckling als Wahrheitszeugen identifizierten Personen auflistet. Hier wird nur eine einzelne Seite beispielhaft als Faksimile geboten, während die übrige Edition aus der Transkription des Textes besteht.
Der dritte Teil (S. 231–273) setzt sich unter den Leitworten Netzwerker und Topograph des protestantischen Nonkonformismus mit Leben, Werk und Wirken Brecklings auseinander, kontextualisiert die edierten Quellen und macht insbesondere in Hinblick auf die Analyse seiner Netzwerke deutlich, dass seine Auflistungen, auch die hier edierten Kataloge, stets nur Momentaufnahmen der jeweiligen Abfassungszeit seien, zum Gewinn eines umfassenden Bildes seiner Netzwerke aber stets weitere Quellen wie Korrespondenzen, Berichte über Besuche bei Breckling oder der Versand seiner Schriften Berücksichtigung finden müssten.
Dem im Titel formulierten Anspruch, ein Handbuch zum religiösen Nonkonformismus zu sein, wird der Band insofern gerecht, als er mit Brecklings Wahrheitszeugen Quellen ins Zentrum stellt, die einen guten Einblick in den europaweiten Kreis von Personen und ihren sowie anderer Publikationen geben, welche die große Vielfalt dissidenter Strömungen und das Neben- und Miteinander großer religiöser Diversität um 1700 eindrucksvoll illustrieren, vor allem aber durch die editorische Aufbereitung für weitere Forschung gut zugänglich machen. Dazu zählt nicht nur die sorgfältige, jedes optische Detail des topographischen Katalogs abbildende Transkription, deren praktische Umsetzung in das alphabetische und sehr nützlich erweiterte Namenslexikon, die Rechenschaft über das editorische Vorgehen durch die Editorische[n] Hinweise und Abkürzungen (S. 288–290), sondern vor allem auch der einordnende und vorausweisende dritte Teil des Bandes. Darin werden reflektiert und sehr nachvollziehbar die epistemischen Chancen und Grenzen der edierten Quellen benannt, weiterer Forschungsbedarf konstatiert und Breckling in den weiten „Kultur- und Denkraum“ der „‚zweiten Welle’ des ‚Pietismus’“ (S. 273) eingeordnet. All diese Vorzüge lassen über kleinere Flüchtigkeitsfehler wie etwa das falsche Geburtsjahr Brecklings in der biographischen Übersicht (dort: 1729) oder das Fehlen eines Biogramms zu Urban Hierne (= Urban Hjärne [1641–1724]) leicht hinwegsehen. Ergänzt wird der Band durch sehr übersichtliches Kartenmaterial zu Brecklings Netzwerken, einer biographischen Zeittafel sowie ein Nachlass-, Quellen- und Literaturverzeichnis.