„Scheinbar haben wir den Traum (oder Albtraum) der KI endlich verwirklicht“ (S. 23), hebt die Autorin an; ermöglicht sie es doch, „an einer Kommunikation teilzunehmen, ohne mit einem menschlichen Wesen zu kommunizieren“, dabei „Informationen“ zu erhalten, an die „niemand […] bisher […] gedacht [hatte]“ (S. 88). In Espositos, hier aus einem Vortrag hervorgegangenen Theoriepräsentation wird der Begriff KI durch den der „‘Künstliche[n] Kommunikation‘“ (S. 31) ersetzt; wobei der Titel ihrer früheren Darstellung: „Artificial Communication: How Algorithms Produce Social Intelligence” (Cambridge 2022) verdeutlicht, worauf sie eigentlich hinauswill.
Esposito betont eigens, dass „Algorithmen nicht in der Lage [sind], zu denken“ (S. 13), dafür aber „wie ein kompetenter Kommunikationspartner im zwischenmenschlichen Gespräch“ (S. 8) fungieren können. Trotz dieses Mankos an Denkfähigkeit, ist das, „was wir tatsächlich von den intelligenten Maschinen brauchen, in erster Linie die Fähigkeit zu kommunizieren“ (S. 30). Was nun die von ihr so genannte ‚Künstliche Kommunikation‘ befördern könnte, davon will sie in diesem Band argumentativ überzeugen. In ihren ‚Schlussfolgerungen‘ bleibt zwar „die Perspektive der Menschen unverzichtbar“; falls sie aber „schließlich von immer geringerem Interesse werden [könnte]“ (S. 89), so scheint dies, folgt man ihrer Logik, die Autorin nicht zu befremden.
Ihre markant häufige Anführung von Fährnissen, der Kautelen im Umgang mit den jüngst entwickelten Maschinen (etwa ChatGPT) macht deutlich, dass sie bestehende Ängste ausräumen, Reserven vermindern will, um dafür umso mehr auf die Gewinnträchtigkeit von deren Wirkungsweisen hinzuweisen. Fast so, wie wenn sie bei Widerständen, Vorbehalten gegen solche maschinellen Anwendungen, sich auf sie dennoch einzulassen, als ‚paradoxe Intervention‘, empfiehlt. Programmierungen gewohnt, verläuft ihr Programm der Abfolgen von Aspekten zum Verhältnis ‚Mensch – Maschine‘ sehr dicht.
1. Zunächst trennt sie Mensch und Maschine, alsdann führt sie diese enger zusammen, verwischt schließlich die Unterschiede, ja ebnet sie tendenziell ein. Dabei argumentiert sie nicht mit restloser Schlüssigkeit: Dass Maschinen ‚intelligent‘ seien (siehe Zitat oben), entpuppt sich als bloße menschliche Zuschreibung, denn, so hier ausdrücklich, „sie versuchen [nicht], es zu sein“ (S. 23). Maschinen „[verwenden die] Vielzahl von Daten, Hinweisen und Strukturen, die von Menschen produziert worden sind, autonom und in nicht vorherbestimmter Weise.“ (S. 65) Die zentrale thematische These: Für „die menschliche Intelligenz [sind neuere Algorithmen] von Natur aus unverständlich“ (S. 56). Daraus ergibt sich für die Autorin, nachdem die „Maschinen gelernt haben in Kommunikation zu intervenieren“ (S. 21), dass die Menschen ihrerseits „mit [jen]en Prozessen so zu kommunizieren, dass [sie] die Ergebnisse kontrollieren und für [sich] nutzen können“ (S. 62). „Maschinen müssen in der Lage sein“, das heißt instandgesetzt werden, um „angemessene Erklärungen zu liefern“ (S. 57). Bedingung dafür ist, quasi als Tributleistung an die systemimmanente, autonome Wirkweise der Maschine, eine Konzession, dass nämlich „die Fähigkeit zu denken, die wir mit Intelligenz assoziieren, von der Fähigkeit, an der Kommunikation teilzunehmen, getrennt werden, [kann]“ (S. 34). Wie ungeläufig für ein genaues Verständnis dies ist, demonstriert die Autorin unabsichtlich selbst, mit der Feststellung: „Auch das Gedächtnis von Menschen wird auf der Grundlage neuer Erfahrungen überarbeitet, das von Algorithmen hingegen wird jedes Mal aufs Neue generiert.“ (S. 64) - Wie das, wenn Maschinen gar nicht denken (siehe oben), man überdies von ‚Datenverarbeitung‘ und von ‚Generierungen‘ kultureller Konstrukte spricht?
2. Intimisierung: der „Algorithmus als Vertrauensperson und Berater“ (S. 9). Weder sind Maschinen die einem gehorchenden, gefügigen Diener (vgl. S. 65), noch sind sie einfach zu bedienen. Sie müssen, letztlich zur Verwertbarkeit ihrer Outputs, dazu ‚justiert‘ werden: durch interpretatorische Eingaben (‚instruction tuning‘), die die „ethischen und normativen Prinzipien“, „den Kontext und die Absichten der Benutzer:innen“ (S. 44) ‚einspeisen‘. Erneut charakterisiert Esposito dies als „Partnerschaft‘, problemanfällig wie jedwede, meint sie (vgl. S. 55).
3. Der Gewinn schöpft aus Ersparnissen. „Die Zukunft der Algorithmen […] besteht darin, die Zukunft vorherzusagen.“ Die „Vorhersage“ rangiert dabei vor der „Erklärung“ (S. 60), was eine Gravität der Anwendung gegenüber explikativen Bedachtnahmen, Bedenken fixiert. - Die Vorteile dabei sind einem Orakel nicht unähnlich. Was Maschinen an Vergünstigungen und Ersparnissen noch gewähren, sind: fehlende „Konkurrenz“ (S. 55), die Kontrollierbarkeit, im Gegensatz zur menschlichen Unwägbarkeit (vgl. S. 28), man „keinen Zugang zu den Gehirnen oder Psychen [dieser] Kommunikationspartner brauch[t]“ (S. 58). Notfalls müssen mittels ‚Justierungen‘ die Maschinen zur „Vermeidung von zu intimen und persönlichen Themen“ (S. 67) ‚erzogen‘ werden. Besonders deutlich wird Esposito beim Vorteil der Aussparung von etwas offenbar Überflüssigem: „Wir erfahren nichts über die neorophysiologischen oder psychischen Vorgänge des anderen – die (glücklicherweise [sic!; P.R.K.]) im Dunkeln bleiben können. Um eine für den anderen funktionierende Erklärung zu geben, müssen wir nicht unsere Gedanken offenlegen […]“ (S. 57). Ohne Begründung hierfür, setzt sie offenbar voraus: „Zwischen Lüge, Irrtum und Fiktion gibt es große Unterschiede, mit denen wir alle souverän umzugehen wissen.“ (S. 78) Die hier behauptete Souveränität muss bei den fungibel gemachten Fingierungen mithilfe der spezifischen maschinellen Fingierungen in der Tat unter Beweis gestellt werden. So müssen zum Beispiel die Anweisungen, denen die Maschinen aufgrund ihres Unverständnisses „oft lediglich buchstäblich ‚folgen‘“ (S. 66), reformuliert werden. Die Nutzer:innen sind verwiesen darauf, überhaupt derartigen maschinellen naiv-puristischen (Be)Denk(en)losigkeiten durch interpretatorische und zensorische Modifikationen Einhalt zu gebieten. Dabei unterläuft tatsächlich den Menschen, unter hermeneutischer Betrachtung, dass „Verstehen selbst verstanden werden muss“; wo „zwar etwas zugänglich [wird], [es] aber zugänglich wird nur in ebendiesem Verstehen, unter seinen Bedingungen oder Voraussetzungen, auf seinem Weg.“ (Werner Hamacher: Entferntes Verstehen, S. 7, 1998)
Eine von Esposito behauptete und angestrebte Ausbildung zur ‚Sozialen Intelligenz‘ erscheint im Hinblick darauf schon schlüssiger. Was aber, zieht man die vom u.a. Kybernetiker Heinz v. Foerster (der von Esposito hier auch bemüht), aus Formeln abgeleitete „Metapher für die Interaktion zweier Subjekte“ heran, wo „deren Interaktion dann und nur dann kommunikativ [ist], wenn jeder der beiden sich durch die Augen des anderen sieht.“ (H.v. Foerster: Epistemologie der Kommunikation [1977]; in: Wissen und Gewissen, S. 280, 1993)? Bei Esposito scheinen die Maschinen ‚Augen‘ bekommen zu haben, zumindest: zu sollen. Überhaupt scheint es ihr um die Ersetzung durch etwas allmählich Ersetzbares zu gehen. – Sich absichernd, schickt sie voraus: Traum oder Albtraum!