Marie Begas: Tagebücher zum Kirchenkampf 1933–1938
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Große Reihe, Bd. 19

Die Erforschung der Geschichte der Thüringer evangelischen Kirche während der Zeit des Nationalsozialismus ist vor allem auch deswegen von herausragender Bedeutung, da von Thüringen aus mit der „Kirchenbewegung Deutsche Christen“ (KDC) eine kirchenpolitische Organisation expandierte, die sich nach der Zersplitterung der deutschchristlichen Bewegung in Folge des „Sportpalastskandals“ im November 1933 reichsweit zu einem Sammelbecken radikaler deutschchristlicher Kräfte entwickelte. Diese Bewegung, auch Thüringer DC genannt, vergrößerte systematisch ihre Anhängerschaft im gesamten Deutschen Reich und nahm maßgeblich Einfluss auf die Kirchenpolitik innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche während der NS-Zeit. Die Ideologie der KDC war durch die Idee und das Ziel bestimmt, eine Synthese zwischen christlichen Traditionen und der nationalsozialistischen Weltanschauung herzustellen. Die Thüringer evangelische Kirche, die seit den Kirchenwahlen vom Juli 1933 gleichgeschaltet und deren Leitungsfunktionen mit Deutschen Christen besetzt waren, diente für dieses Vorhaben als Operationsbasis. Der Gründer und Leiter der KDC, Siegfried Leffler, nahm dabei eine Schlüsselposition ein: Leffler, der zuvor als Pfarrer in Niederwiera arbeitete, wurde 1933 durch maßgebliche Unterstützung der neuen politischen Machthaber zum Regierungsrat ins Thüringische Volksbildungsministerium berufen, wo er als Verbindungsmann zwischen Kirche und Staat gezielt Einfluss auf die Kirchenpolitik in Thüringen nahm. Er nutzte seine Position im Ministerium in der Folgezeit, um kirchenpolitische Maßnahmen im Sinne der Nationalsozialisten und der von ihm geführten KDC zu treffen. Die Thüringer evangelische Kirche wurde demgemäß personell und ideologisch gleichgeschaltet. Unterstützt wurde Leffler dabei von führenden Vertretern der Thüringer DC wie beispielsweise Martin Sasse, der ab 1934 bis zu seinem Tod im Jahr 1942 als Landesbischof der Thüringer evangelischen Kirche vorsaß, oder Pfarrer Julius Leutheuser, dem zweiten Gründer der KDC, der mit Leffler schon seit seiner Studienzeit freundschaftlich und politisch verbunden war und Leiter des Volksdienstes wurde, also der Abteilung für Volksbildung und -erziehung innerhalb der Thüringer evangelischen Kirche. Den Volksdienst strukturierte Leutheuser zu einem Propagandainstrument für die KDC um, mit dessen Hilfe die deutschchristliche Kirchenpolitik und die theologischen Positionen in der Bevölkerung und in den Gemeinden Verbreitung finden sollten, die in Reden und Veröffentlichungen, die vor allem aus dem Verlag Deutsche Christen in Weimar stammten, propagiert wurden. Widerstand gegen die strukturelle und ideologische Gleichschaltung der Thüringer evangelischen Kirche formierte sich in der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft (LBG) unter dem Vorsitz von Pfarrer Ernst Otto. Deren Flugblätter und Rundbriefe, die sich gegen die Vorgänge innerhalb der Thüringer evangelischen Kirche richteten und die theologischen Positionen der KDC angriffen, erfuhren den scharfen Widerspruch durch die Thüringer Landeskirchenleitung und wurden zum Teil sogar verboten. Pfarrer, die sich in der LBG engagierten, mussten berufliche Benachteiligungen bis hin zu Berufsverboten hinnehmen, sie wurden von der Leitung der Thüringer evangelischen Kirche als Staatsfeinde diffamiert, was staatlicherseits zu Verfolgungs- und Überwachungsmaßnahmen durch die Gestapo führte.

Umso bemerkenswerter ist es, dass mit Marie Begas eine Sekretärin im thüringischen Landeskirchenamt arbeitete, die mit Ernst Otto freundschaftlich verbunden war und selbst der LBG angehörte. Sie hinterließ umfangreiche Niederschriften in Form eines Tagebuches, das auf Anregung von Otto verfasst wurde, um diese später als Gedächtnisstütze für eine noch zu schreibende Geschichte des „Kirchenkampfes“ in Thüringen zu nutzen. Begas lieferte im Rahmen ihrer nicht ungefährlichen „Spionagetätigkeit“ im Landeskirchenamt aus der Innenperspektive heraus wichtige Hinweise über die Vorgänge innerhalb der deutschchristlich geführten Landeskirche. Da die Verfasserin bestens informiert war, können diese aber auch sehr gut in die kirchenpolitischen Vorgänge innerhalb der gesamten Deutschen evangelischen Kirche und in den zeithistorischen Kontext eingeordnet werden. Begas gab ihre Informationen an Otto weiter, so dass die LBG zum Teil sehr genau über die Handlungsweisen der Landeskirchenleitung und ihrer kirchenpolitischen Gegner im Bilde war. Trotz der subjektiven Färbung der Niederschriften von Begas, die die deutschchristlichen Aktivitäten und Protagonisten bewusst in ein negatives Licht rücken, sind die Aufzeichnungen eine außerordentlich wertvolle Quelle für die Analyse und Interpretation der thüringischen Kirchengeschichte zur Zeit des Nationalsozialismus.

Geboren wurde Anna Julie Marie Begas, geb. Trauvetter, am 6. April 1883 in Vacha vor der Rhön im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. Ihr Vater Paul Trautvetter, von Beruf Förster, wurde später Oberforstrat in Weimar. Ihre Mutter Helene Trautvetter gehörte dem alten thüringischen Adelsgeschlecht von Harstall an. Sie hatte zwei Brüder: Hans Georg fiel 1916 im Ersten Weltkrieg und Paul wurde Opernsänger am Theater in Weimar. Marie besuchte in Eisenach die höhere Töchterschule und strebte den Lehrerinnenberuf an. Nach der Übersiedlung der Familie studierte sie dann allerdings ab 1898 das Fach Musik in Weimar. 1903 brach sie das Studium ab, um den Kaufmann Otto Wagner zu heiraten. Sie siedelte mit ihm nach Mexiko-Stadt über, wo sie ihre Mehrsprachigkeit schulen und anwenden konnte. In Mexiko wurden ihre zwei Kinder Ruth und Sabina geboren, wobei Sabina bereits mit einem Jahr verstarb. Die Ehe mit Wagner war nicht glücklich, was wohl vor allem an der Untreue, Spielsucht und den Alkoholproblemen des Ehemannes lag. Auch eine Rückkehr nach Berlin konnte die Ehe nicht retten, die 1910 geschieden wurde. Im gleichen Jahr heiratete Marie den Maler Otto Begas. Mit ihm unternahm sie ausgiebige und lange Reisen in die Vereinigten Staaten und nach Italien, doch auch diese Ehe, die kinderlos blieb, scheiterte und wurde 1920 geschieden.

Bereits 1916 kehrte Marie Begas in ihr Elternhaus nach Weimar zurück. Da sie mittellos war, musste sie sich nach Arbeit umsehen, was aufgrund ihrer nicht abgeschlossenen Berufsausbildung kein leichtes Unterfangen war. Sie absolvierte einen Lehrgang an der Weimarer Handelsakademie und fand 1918 Anstellung als Hilfsarbeiterin im Sekretariat der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Weimar. Im Juli 1919 wechselte sie zum Landesamt für Jugendpflege und wurde dort Sekretärin, bevor sie am 16. März 1921 als Bürokraft in den Dienst der Thüringer evangelischen Kirche eintrat. Ab dem 1. Dezember 1921 arbeitete Begas vor allem im Bereich der Pressearbeit des Volksdienstes. Ihre Vorgesetzten waren mit ihrer Arbeit offensichtlich sehr zufrieden, 1923 wurde sie zur Beamtin innerhalb der Thüringer evangelischen Kirche ernannt und erhielt die Dienstbezeichnung: Kirchenassistentin. Ab Oktober 1924 wurde sie zur Kirchensekretärin, ab 1926 sogar zur Kirchenobersekretärin befördert. Besonders geschätzt wurde ihre Fähigkeit zur selbstständigen Arbeit. Ehrenamtlich engagierte sie sich darüber hinaus in der Thüringer Gefängnisgesellschaft. Später trat sie auch dem Hausfrauenverein, der Beamtenfachschaft und dem Geschichtsverein bei. Zu dem Bereich der Pressearbeit des Volksdienstes, mit der Begas beschäftigt war, gehörte auch die Herausgabe des thüringischen Kirchenblattes „Glaube und Heimat“, dessen Schriftleitung 1927 Otto übernahm. Der spätere Leiter der LBG, zu dem Begas eine lebenslange Freundschaft unterhielt, wurde 1929 auch Leiter des Volksdienstes.

Im Jahr 1933 erfuhren die Arbeitsbedingungen innerhalb des Volksdienstes allerdings starke Veränderungen, da Leutheuser die Leitungsfunktion übernahm und diesen im Sinne der KDC umbaute. Die Schriftleitung der Kirchenzeitung „Glaube und Heimat“ übernahm mit Studienrat Wilhelm Bauer ebenfalls ein Mitglied der Thüringer DC. Diese Umstände führten dazu, dass Begas aus dem Volksdienst ausschied und sich in eine andere Dienststelle versetzen ließ. Wegen ihrer Dolmetscherfähigkeiten verblieb die Pressearbeit aber im Aufgabenbereich von Begas, so dass sie weiterhin Zugang zu etwa 80 Tageszeitungen und 50 Zeitschriften hatte. Allerdings fühlte sie sich mit ihren neuen Aufgaben ab 1934 eher unterfordert. So blieb genügend Zeit, ihr Tagebuch während ihrer Dienstzeit zu schreiben. Offenbar empfand sie das Verfassen dieser Chronik auch als einen Dienst für ihre Kirche. Da Begas sehr wach die Vorgänge in ihrer Landeskirche beobachtete, kann sie als eine der bestinformiertesten Personen über die kirchenpolitischen Vorgänge in der Thüringer Landeskirche angesehen werden.

Der erste Eintrag im Tagebuch stammt vom 27. Mai 1933. Begas berichtet von der Ernennung Friedrich v. Bodelschwinghs d.J. zum Reichsbischof und die Frontstellung, die die Thüringer DC dagegen einnahmen. Am 25. Juni erfährt Begas von Bodelschwinghs Rücktritt. Die Jungreformatorische Bewegung, die in Thüringen von Otto gegründet worden war, wird wegen ihrer Unterstützung Bodelschwinghs von deutschchristlicher Seite stark angegriffen. Der thüringische Landesbischof Wilhelm Reichardt ist um Ausgleich der kirchenpolitisch divergierenden Gruppen bemüht. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Tagebucheintrag, aus dem deutlich wird, wie Reichardt die Arbeit Leutheusers einschätzte:

„Er lobt Leutheuser u. versucht, ihn mir menschlich näher zu bringen. […] schildert, wie ein Plan bestehe, gemeinsam vom Staat u. von der Kirche aus eine Volksmission ins Leben zu rufen.“ (S. 102)

Am 18. November 1933 berichtet Begas von der Suspendierung Martin Niemöllers. Otto zeigt sich mit Niemöller und den Forderungen des Pfarrernotbundes solidarisch. Allerdings leidet Otto darunter, dass sich der Konflikt um den „Arierparagraphen“ entzündet hat. Erläuternd schreibt Begas dazu:

„Ich halte den Arierparagraphen in d. Kirche auch für verkehrt, würde es aber gerade für ein Unglück halten, wenn der Kirchenkampf gerade daran zum offenen Ausbruch käme. Der Arierparagraph ist schließl. auch nur eine Einzelheit in dem ganzen Kampf um das Bekenntnis. Die Gegner hätten es jetzt leicht, die Dinge so darzustellen, als ob es sich um eine Stellungnahme für od. gegen Juden handelte. Die Gemeinden würden verständnislos bleiben u. das Ausharren könnte auf der jungreform. Front [JRB] nur mit zus. gebiss. Zähnen, ohne Begeisterung geschehen.“ (S. 104)

Deutlich wird an solchen Äußerungen, dass es für Begas beim „Kirchenkampf“ um die Auseinandersetzung um das Bekenntnis der Kirche ging, was nicht automatisch mit einem Widerstand gegen die unmenschlichen Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber Juden durch den nationalsozialistischen Staat gleichzusetzen ist, die bereits im Jahr der „Machtergreifung“ einsetzten. Begas beurteilt es als taktisch unklug, sich mit Juden solidarisch zu zeigen, da es der eigenen kirchenpolitischen Position schaden könnte. Die Einlassung, dass ein kirchlicher Einsatz für Juden wenig Verständnis in den Gemeinden hervorrufen würde, gibt zudem einen Eindruck in die Stimmungslage in vielen Gemeinden hinsichtlich der nationalsozialistischen Judenpolitik.

Einen breiten Raum nehmen bei den Novembereintragungen im Tagebuch des Jahres 1933 die Ereignisse rund um die „Sportpalastkundgebung“ der Deutschen Christen ein, die sowohl bei den Thüringer DC als auch bei ihren Gegnern für starke Turbulenzen sorgen und damit den „Kirchenkampf“ in Thüringen verstärken. An einer Äußerung Bauers wird deutlich, wie man gedachte, mit den kirchenpolitischen Widersachern umzugehen: „So muß mans mit solchen Kerlen machen – gleich SA ins Haus!“ (S. 111) Während die Thüringer DC also versuchen, ihre kirchenpolitischen Ziele notfalls mit Gewalt durchzusetzen, agiert Otto auf der Gegenseite eher zögerlich in der Hoffnung auf eine Verständigung mit den Thüringer DC:

„O. meint, es sei noch nicht Zeit, gänzlich mit Leff u. Leu [Leutheuser] zu brechen. Die Gemeinden seien noch zu ahnungslos. Man müsste erst ‚sammeln‘ und schulen. Vor allem aber beschäftigt ihn sehr die Religiosität von Leff u. Leu [Leutheuser] selbst. Er habe bisher nicht so gesehen, daß sie so stark innerlich bewegt seien. Es sei echte Frömmigkeit da, aber eben – heidnisch. Er denkt auch immer noch darüber nach, ob sich nicht doch aus der Bewgg. etwas Gutes entwickeln könnte. Er ist bestimmt nicht ‚eingewickelt‘, das würde nicht zu ihm passen. Trotzd. bekam ich ein bißchen Angst.“ (S. 115)

Solche Eintragungen verdeutlichen einerseits die besondere Beziehung zwischen Begas und Otto, die sich nicht nur kirchenpolitisch, sondern auch freundschaftlich und menschlich sehr nahe standen. Andererseits machte sich Begas trotzdem ihr eigenes Bild von den kirchenpolitischen Vorgängen, das von Ottos Position auch abweichen konnte. So sah sie die Kompromisslosigkeit beim Vorgehen der Thüringer DC deutlicher als der spätere Leiter der LBG, der zunächst sehr um den kirchlichen Frieden bemüht war. Zurückzuführen ist dies sicher darauf, dass der Kontakt von Begas zu den kirchlichen Entscheidungsträgern berufsbedingt intensiver war. Anfang des Jahres 1934 wird Sasse zum neuen Landesbischof gewählt, was ebenfalls nicht ohne einen Eklat im Landeskirchentag vonstatten ging: Als Friedrich von Eichel-Streiberg, der bis 1933 Präsident des Landeskirchentages gewesen war, behauptet, die Deutschen Christen seien nur mit Hilfe des nationalsozialistischen Staates an die Macht in der thüringischen Landeskirche gekommen, wird ihm entgegnet: „Ins Konzentrationslager mit dem Kerl! Wozu lassen wir den überhaupt noch reden!“ (S. 119) Das Tagebuch vermittelt somit einen Eindruck, mit welchen Mitteln und Sitten die kirchenpolitische Auseinandersetzung stattfand. In der Folgezeit berichtet Begas von Androhungen der Landeskirchenleitung, thüringische Pfarrer amtszuentheben, die eine Kanzelerklärung des Pfarrernotbundes verlesen hatten. Wenig später wird die angedrohte Amtsenthebung allerdings in einen bloßen Verweis abgemildert.

Die Kirchenpolitik des Jahres 1934 in der Thüringer evangelischen Kirche ist von einer befürchteten Eingliederung der Landeskirche in die Reichskirche bestimmt, die aufgrund der guten Verflechtungen der Leiter der KDC zu den politischen Entscheidungsträgern dann allerdings abgewendet werden kann. Im Juni 1934 kommt es zur offiziellen Gründung der LBG. Otto sucht weiterhin die Verständigung mit Leffler, was ihm aus den eigenen Reihen den Vorwurf einträgt, dass „er […] zu weich“ (S. 140) sei. Die Thüringer DC treiben indes die reichsweite Ausbreitung ihrer kirchenpolitischen Bewegung voran. Die Propagandaveranstaltungen werden zum größten Teil aus Kirchensteuermitteln bestritten. Ihr neues Alleinstellungsmerkmal, das sie von anderen deutschchristlichen Gruppierungen absetzt, ist nun ihre nationalkirchliche Ausrichtung.

Bemerkenswert sind auch die Ausführungen im Tagebuch vom August 1934: Hier geht es um den von der Nationalsynode geforderten Amtseid der Geistlichen auf den Führer. Begas stimmt Otto zu, dass ein Geistlicher einen solchen Eid „nicht leisten“ (S. 144) könne. Sie zeigt sich aber überaus erleichtert, dass der Leiter der LBG das für Kirchenbeamte nicht so sieht, da sie selbst betroffen ist. Begas sieht offenbar kein Problem darin, selbst einen Amtseid auf Hitler zu entrichten. Dies verdeutlicht, dass Begas durchaus konform mit dem Nationalsozialismus ging, also keineswegs in Opposition zu den neuen nationalsozialistischen Machthabern stand. Lediglich die Vereinnahmung des Nationalsozialismus als eigene Religion, die Attacken bestimmter Kreise, die von Anfang an die Vernichtung der Kirchen geplant hätten, hinter denen aber nicht der „Führer“ stehe (S. 680), und die Versuche der Deutschen Christen, die nationalsozialistische Ideologie auf die Kirche zu übertragen und diese gleichzuschalten, lehnte sie entschieden ab. Am 28. Dezember 1936 notiert sie in Anlehnung an Luthers Zwei-Regimenter-Lehre, dass es „Christenpflicht“ sei, „zu Hitler zu stehen“ (S. 582), und am 27. Juni 1937 heißt es im Tagebuch: „Für die augenblickliche Lage gibt es ja - das sind meine eigenen Überlegungen - sonst noch Anhaltspunkte: Das gegebene Wort des Führers. Das ist für mich das Bollwerk, das m.E. kein Nationalsozialist antasten dürfte.“ (S. 675)

Ende 1934 spitzt sich der kirchenpolitische Konflikt in der Thüringer Kirche forciert durch einen Artikel von Leffler weiter zu. Die Deutschen Christen bekommen „Oberwasser“ (S. 177), da Reichsinnenminister Frick hinter dem Kirchenkampf „‚staatsfeindliche, landesverräterische‘ Elemente“ (ebd.) vermutet. eher einen gemäßigten, auf Ausgleich mit den Thüringer DC orientierten Kurs. Radikalere Forderungen nach einem vollständigen Bruch mit den Deutschen Christen, wie sie vom radikalen Flügel der Bekennenden Kirche gefordert wurden, beurteilte er eher kritisch. Dennoch schreibt Otto einen Brief, in dem er gegenüber der Landeskirchenleitung verdeutlicht, dass die LBG künftig keine Weisungen der Landeskirchenregierung mehr entgegennehmen werde. An den Ausführungen von Begas wird deutlich, dass sie dadurch auch persönliche Nachteile befürchtet, da im Landeskirchenamt ihre Verbindungen zu Otto durchaus bekannt waren:

„Ich merke die Stimmung im Haus immer an der Art, wie ich gegrüßt werde. Der Landesbischof hat mich gestern in der Halle einfach nicht gegrüßt. Ich habe es O. nicht erzählt. Es würde ihm schwer sein, daß andere es um seinetwillen schwer haben. Im Haus werden die Leute danach beurteilt, ob sie zu mir Beziehungen haben oder nicht. Vor den Wirkungen von O.s Brief ist mir beinah Angst. Ich werde mich so wenig wie mögl. den Gewaltigen zeigen.“ (S. 178)

Begas war sich bewusst, dass sie durch ihre Verbindung zu Otto und auch durch ihre „Spitzeltätigkeit“ in der Gefahr stand, ihre Anstellung im Landeskirchenamt zu verlieren. Andererseits musste sie auch vorsichtig sein und darauf achten, wem sie was anvertraute, da im „Vatikan“, wie sie das Landeskirchenamt mehrfach im Tagebuch ironisch bezeichnete, ein Klima des Misstrauens herrschte und die Mitgliedschaft in der Bekenntnisgemeinschaft auch als staatspolitisch verdächtig galt. Dies hielt sie aber dennoch nicht davon ab, in ihren Aufzeichnungen eine klare theologische Position einzunehmen, wie beispielsweise auch an der ersten Tagebucheintragung des Jahres 1935 deutlich wird, in der sie zu der Neujahrsansprache des Landesbischofs Sasse Stellung bezieht:

„Der Labi hielt bei der Gratulat.cour in der groß. Halle eine unglaubl. Ansprache. Schrie mit aller Lungenkraft und bewegte sich heftig dabei, sodaß er schließl. einen ganz erschöpften Eindruck machte. Er hatte einen biblischen Text zu Grunde gelegt, es kam aber alles schließl. darauf hinaus: Hitler-Messias. Wir sollten uns, wie er es täte, täglich morgens, mittags und abends an Hitler ausrichten (dem Sinne nach). Nicht an Christus oder der Bibel. Das heißt doch wohl, zu Hitler zu beten.“ (S. 185)

In einer „Kampfschrift“: „Die deutsche Christusgemeinde und ihre Gegner“, die im Landeskirchenamt erstellt wird, macht Leutheuser ebenfalls offensiv Front gegen die LBG. Die Schrift wird sogar im Schaufenster der Geschäftsstelle der NSDAP in Eisenach „so wirkungsvoll wie möglich aufgemacht u. wirkte ganz unmittelbar hetzerisch“ (S. 199). Für Begas verstärkt sich der Eindruck, dass in Thüringen „einseitig die Bekenntnisgem. vom Staat bekämpft“ (S. 198) wird. Otto muss sich bei der Kriminalpolizei verantworten, da er ein Rundschreiben an die Thüringer Pfarrer verfasst hat, das sich gegen eine andere Schrift Leutheusers: „Der Weg zur deutschen Nationalkirche. Die Christusgemeinde der Deutschen“ richtet. Die Arbeit der LBG wird immer stärker polizeilich behindert, Flugblätter werden nicht genehmigt, da „Leffler als Führer der Dtsch. Chr. als Sachbearbeiter im Ministerium sitzt“ (S. 207). Hilfspfarrer, die der LBG nahestehen, werden zudem aus dem Dienst entlassen. Im April 1935 hört und liest Begas „von Verhaftungen u. Verschickungen von Pfarrern ins Konzentrationslager in Sachsen“ (S. 226). Im September folgt auch die Einweisung eines ersten thüringischen Pfarrers aus Kaltenwestheim in ein KZ.

Bemerkenswert sind die Eintragungen vom Mai 1935, da sich offensichtlich auch das bisher ungetrübte Verhältnis zwischen den Thüringer DC und den staatlichen Stellen veränderte: Anlässlich einer Kundgebung der KDC in der Weimarhalle, die sich gegen die Deutsche Glaubensbewegung richtet, kommt es zu Spannungen mit der thüringischen Regierung, da Gauleiter Sauckel die Veranstaltung offenbar verboten, Leffler aber dennoch eine Genehmigung aus Berlin eingeholt hat (S. 237). Als Reaktion darauf verlangt Sauckel „eine Senkung der Kirchensteuer“ und kündigt eine „Senkung der Staatszuschüsse an die Kirche an“ (S. 243). Schulungen und Jugendarbeit der DC sollen daraufhin ebenfalls verboten werden. Beim Landeskirchentag im September 1935 ist nach den Aufzeichnungen von Begas die Stimmung anders „als in den letzten 2 Jahren oder vorher. Keine braune Uniform. […] Staatsmn. Wächtler hätte ‚seinen Sitz zur Verfügung gestellt‘; der Brief ist unmittelbar vor der Sitzung gekommen.“ (S. 272). Dennoch wird in der „Judenfrage“ eine Resolution gefasst, wonach eine Kommission den Vorschlag beraten sollte, „judenchristliche Gemeinden zu bilden“ (S. 278). Die Einsetzung eines „Judenausschusses“ innerhalb der Thüringer Landeskirche sollte offenbar die Übernahme der staatlichen Bestimmungen der „Nürnberger Gesetze“ in den Raum der Kirche vorbereiten. Erschreckend ist auch der Eintrag vom Oktober 1935, in dem Begas über einen Umzug in Eisenach berichtet, an dem offenbar mit Kirchenrat Paul Lehmann auch ein Mitglied des neu eingesetzten kirchlichen „Judenausschusses“ teilnahm:

„Der Umzug gegen die Juden, der in Eis. vor einigen Wochen veranstaltet wurde, hat sehr geschadet. Es waren viele Ausländer hier, die haben photographiert. Im Umzug wurde ein Wagen mitgeführt auf dem ein Galgen errichtet war. Daran hing eine ausgestopfte Puppe als gehängter Jude. In diesem Zug soll übrigens auch K.Rat Lehmann in seinem kleinen tschechischen Wagen mitgefahren sein.“ (S. 281)

Problematischer als die antisemitische Hetze schien für Begas an diesem Vorkommnis eher das schlechte Ansehen zu sein, das über Deutschland im Vorfeld der Olympischen Spiele im Ausland durch einen solchen Aufmarsch Verbreitung fand.

Innerhalb der LBG, der in Thüringen etwa 100 Pfarrer angehören, setzt man im Jahr 1934 zunächst große Hoffnungen auf die Einsetzung eines Finanzausschusses, der dem Finanzgebaren der Thüringer DC Einhalt gebieten soll. Im Jahr 1935 konzentrieren sich die Erwartungen auf die Einsetzung der Kirchenausschüsse, die vom neu eingesetzten Reichskirchenminister Hanns Kerrl vorangetrieben werden. Diese stoßen allerdings auf Ablehnung sowohl beim Reichsbruderrat als auch bei den radikaleren DC. Die durch die Landeskirchenausschüsse entmachteten deutschchristlichen Gruppierungen im Reich sammeln sich vermehrt unter dem Dach der Thüringer, die sächsischen DC gliedern sich sogar Anfang 1936 vollständig in die KDC ein. Offenbar entspannt sich Anfang 1936 auch wieder das Verhältnis zwischen der deutschchristlichen Kirchenleitung und Sauckel, was dazu beiträgt, dass die Einsetzung eines Kirchenausschusses in Thüringen verhindert werden kann. Paul Althaus, Professor für Systematische Theologie und Neues Testament in Erlangen, verfasst auf Betreiben Ottos eine Veröffentlichung „Politisches Christentum“, die sich gegen die Theologie der Thüringer DC richtet, und nimmt im Februar 1936 sogar an einem Theologengespräch teil, bei dem sich führende Köpfe der KDC und der sächsischen DC mit Vertretern der kirchenpolitischen Mitte und des gemäßigten Flügels der Bekennenden Kirche in Dresden treffen. Derartige Verständigungsbemühungen sind allerdings obsolet, als es im Juli 1936 zu einem „Irrlehregutachten“ des Reichskirchenausschusses zu den von der KDC vertretenen ideologischen Vorstellungen kommt. Den Thüringer DC wird darin von hochrangigen Theologieprofessoren bescheinigt, dass die von ihnen vertretenen theologischen Ansichten nicht auf dem Boden der auf Bibel und Bekenntnis begründeten Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche stünden (S. 483f.). Daraufhin kommt es zum Bruch zwischen Reichskirchenministerium und Reichskirchenausschuss, dem es nicht gelingt, zu einer Befriedung der Situation innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche beizutragen. Vielmehr trägt die Ausschusspolitik dazu bei, dass sich die kirchenpolitischen Gräben vertiefen. Die Folge ist der Rücktritt des Reichskirchenausschusses im Februar 1937, was Begas am 12. Februar 1937 mit den Worten kommentiert: „Wir stehen ganz gewiß am Rande eines Abgrundes.“ (S. 608) Die Kirchenausschusspolitik verstärkt zudem den Zusammenschluss der deutschchristlich geführten Landeskirchen, die sich künftig im „Bund für deutsches Christentum“ unter der Führung der Thüringer DC zusammenschließen. Am 12. Januar 1937 notiert dazu Begas: „Dem ‚Bund f.d. Chr.tum‘ haben sich die Kirchenregierungen von Thür., Mecklenbg., Bremen, Lübeck und Anhalt angeschlossen.“ (S. 590) In Folge des Reichskirchenausschussrücktrittes erlässt Hitler einen Kirchenwahlerlass. Otto kommentiert diese Entscheidung als „ein Wunder, für das wir von Herzen dankbar sind“ (S. 614). Die Thüringer DC indes betrachten den Erlass mit Argwohn, da er erneut die staatliche Anerkennung der bestehenden deutschchristlichen Landeskirchenleitung gefährdet. Dennoch trifft die KDC entsprechende Vorbereitungen, wobei die Thüringer evangelische Kirche ausreichend Gelder für den Wahlkampf der Thüringer DC zur Verfügung stellt. Offenbar sind, wenn man Begas Glauben schenkt, die Wahlversammlungen der LBG aber trotzdem besser besucht. Die Durchführung der Wahl wird staatlicherseits indes immer weiter hinausgeschoben. Im Sommer 1937 geht die Verhaftung Niemöllers durch die Presse, auch in Thüringen kommt es zu Inhaftierungen von Geistlichen. Während die Bekennende Kirche durch diese Maßnahmen immer weiter geschwächt wird, kommt es auf deutschchristlicher Seite zu einer weiteren Bündelung der Kräfte. Unter der Führung der Thüringer DC verbinden sich eine ganze Reihe deutschchristlicher Gruppierungen innerhalb der „Nationalkirchlichen Bewegung DC“, deren Leiter Leffler wird. Im Oktober 1937 findet eine Reichstagung der neuen Bewegung in Eisenach statt, an der nach Schätzung von „Bekenntnisleuten“ etwa 15.000 Interessierte teilnehmen (S. 723). Sowohl die ständigen Attacken kirchenfeindlicher Kräfte in Staat und NS-Partei sowie von deutschchristlicher Seite als auch die zermürbende Verschleppung der Kirchenwahlen zeigen im Tagebuch entsprechende Wirkungstreffer. Am 18. Oktober 1937 notiert Begas:

„Ich habe gestern mal wieder diese Aufzeichnungen durchgeblättert bis Mitte Febr. d.Js. zurück zum ‚Wahlerlaß‘. Es hat mich ein klein bißchen beruhigt – obwohl ich nicht weiß, warum. Warum ist es beruhigend, daß wir schon seit Juni d.Js. die Pläne zur Vernichtg. voraussahen? Daß wir schon damals u. seit Jahren überall die Beschimpfungen, den Vorwurf von ‚Landesverrat‘ u. die Unmöglichkeit, sich zu verteidigen, so entsetzlich gelitten haben? Warum ist es ein kein bißchen beruhigend, daß es schon damals fast unerträglich war? – In dieser Woche habe ich manchmal d. Gefühl gehabt, daß man über diese Ehrabschneidungen u. öffentl. Beschimpfungen den Verstand verlieren könnte – besonders wenn im Privatleben kein Ruhepunkt vorhanden ist.“ (S. 725)

Am 5. November 1937 hat Begas „seit vielen Wochen“ wieder einmal die Möglichkeit, bei ihrer Presseschau einen „Times“-Artikel zu lesen. Berichtet wird, dass es seit dem Kirchenwahlerlass Hitlers vom Februar zu insgesamt 500 Verhaftungen gekommen ist. Auf Anordnung der Gerichte seien fast alle wieder entlassen, nur „Niemöller und einige andere“ säßen weiterhin in Haft (S. 742). Die Thüringer Landeskirchenleitung nimmt die Verhaftungen dennoch zum Anlass, die Pfarrer amtszuentheben. Sie hätten „die Gemeinde ‚beunruhigt‘“ und mit Hilfe von Leffler im Ministerium hätte man sich „der Unbequeme[n]“ leicht entledigen können (S. 759). Ende 1937 ist auch klar, dass es nicht mehr zu Kirchenwahlen kommen wird. Die im Amt befindlichen Kirchenleitungen sind damit vonseiten des Reichskirchenministers anerkannt. Am 3. Februar 1938 wird Otto in den Wartestand versetzt. Begas kommentiert dies in ihrem Tagebuch wie folgt: „Ich möchte heulen u. werde es auch heute noch tun. (Habe es nicht getan!)“ (S. 797). Am 10. März notiert sie:

„Ich hörte am Sonnabend, daß d. Rundfunk mitgeteilt hätte, Niemöller sei im Konzentrationslager. Ich war ganz elend von dieser Nachricht, die ja unsere absolute Rechtlosigkeit u. den rasenden Haß der anderen beweist. Es war keine Bestätigg. zu erlangen. O. hatte erfahren ‚Konzentrationslager‘. Die ausländischen Zeitungen sprechen von ‚Schutzhaft‘.“ (S. 819)

In der Einschätzung der Niemöllerpolitik wird im Tagebuch ein Dissens der ansonsten stark übereinstimmenden Auffassungen von Otto und Begas deutlich. Während Otto dem radikalen kirchenpolitischen Kurs Niemöllers eher ablehnend gegenüber steht, schreibt Begas am 4. Januar 1936: „Und Niemöller ist der, dem es zu verdanken ist, wenn der Widerstand innerhalb der Kirche Erfolg gehabt hat! Ich kann es nicht anders sehen.“ (S. 386) Beim Eintrag vom 2. Juli 1937, in dem über die Verhaftung Niemöllers berichtet wird, schränkt sie selbst ihre eigene Position aber auch wieder ein: „Wenn man sich doch mit ganzem Herzen hinter Niemöller stellen könnte!“ (S. 681)

Auch die Thüringer DC sind Anfang 1938 von antikirchlichen Maßnahmen des Staates betroffen, die allerdings weit weniger gravierend sind und auf eine „Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens“ abzielen. „Im ‚Deutsch. Christentum‘ u. in d. ‚Nationalkirche‘ [Zeitungen der Nationalkirchlichen Bewegung DC, O.A.] wird bekannt gemacht, daß der Reichskirchenminister der ‚Bewegg.‘ der D.C. verboten hat, sich ‚Bewegung‘ zu nennen. Auch die Bezeichnungen ‚Gau‘ u. ‚Kreis‘-Gemeinde werden geändert.“ (S. 819f.) Am 18. März 1938 notiert Begas, dass der Treueeid der Pfarrer auf den Führer jetzt doch noch kommen soll. Die nationale Hochstimmung anlässlich der Annexion Österreichs wurde auch von der thüringischen Landeskirchenleitung zum willkommenen Anlass genommen, nun auch die Bekenntnispfarrer auf Hitler zu verpflichten, was bis auf vier Pfarrer auch gelingt. Im September 1938 vergleicht Otto die Lage der Bekennenden Kirche mit einer belagerten Festung, „um die sich der Ring immer fester schließt“ (S. 867). Auch persönlich muss sich Begas wieder zunehmend Sorgen bezüglich ihrer eigenen Zukunft im Landeskirchenamt machen. Am 5. April und am 18. Mai 1938 schreibt sie in ihr Tagebuch:

„Ich muß doch den schönen Satz festhalten, der in Bezug auf mich gefallen ist: ‚Leute, die Ernst Otto hörig sind, können wir nicht brauchen.‘ Auf so etwas kann man wirklich nur mit Ohrfeigen antworten – eigentlich. Aber als Frau ist man da eben hilflos u. kann nur verachten.“ (S. 831)
„Und was wird aus mir? Wenn ich doch alleine stünde! Aber der Gedanke, dass die ahnungslose alte Frau neben mir, meine Mutter, erleben sollte, daß unsere Einnahmen sich derartig verringern – alles wäre leichter, wenn ich es allein durchkämpfen könnte oder wenn ein Mensch neben mir wäre, der diesen Kampf versteht.“ (S. 842)

Am 19. Juli 1938 vermerkt Begas im Zuge der Sudentenkrise, dass sie „mehr als je“ den „Eindruck“ habe, dass die „Kriegsgefahr“ wachse (S. 860). Ihre politische Einstellung in der Sudetenfrage wird an einem Eintrag vom Oktober 1938 deutlich, in dem sie die fehlende Kriegsbereitschaft von jungen Soldaten bemängelt:

„Ich möchte noch einen Eindruck festhalten, den ich in den Tagen der Krise mit vielen Menschen, die den Weltkrieg erlebt haben, gemeinsam hatte. Es ist die so ganz andere Einstellung der heutigen Jugend zum Krieg! Es war für uns bestürzend, wie das Mitansehen einer Revolution. Ich brauchte Tage, bis ich mich in dieser Sachlage zurechtfand. Diese Jugend, die den Krieg garnicht kennt, von der wir geglaubt hatten, sie brenne vor Tatendurst, war froh, als sie zu Hause bleiben konnte! Es handelt sich hier nicht um Einzelerlebnisse, sondern auch um Berichte aus Hitlerjugendlagern und die Erzählungen der entlassenen Reservisten. Die Jugend von 1914 hatte noch nach Monaten, während ihrer Ausbildung, Angst, zum Krieg nicht mehr rechtzeitig ins Feld zu kommen. Denen hätte man zumuten sollen, wieder umzukehren! – Hat die Kriegsliteratur so gewirkt?“ (S. 899)

Die wenig pazifistische Einstellung verdeutlicht, dass Begas durchaus politisch zuverlässig hinter „der deutschen Sache“ und Außenpolitik sowie im Allgemeinen auch hinter dem Nationalsozialismus als Weltanschauung und Staatsform stand. Im November 1937 stellte sie sogar einen Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP (S. 748). Bereits im Ersten Weltkrieg hatte sie Kriegstagebücher geschrieben, in denen sie in die deutsche Kriegspropaganda einstimmte und den Krieg nationalistisch überhöhend rechtfertigte (S. 24f.). Nicht annähernd so persönlich betroffen wie über die kriegsunwillige Jugend war Begas offenbar von den Ereignissen rund um das Novemberpogrom 1938. Am 10. November 1938 notiert sie in ihr Tagebuch:

„Die Synagoge, deren Fenster gestern früh eingeschlagen waren, ist in d. Nacht angesteckt worden. Es sollen nur noch Mauern stehen. Die Thora sei im Garten ausgebreitet worden, ein großes Buch ins Wasser geworfen, Kronleuchter u. Stühle zerschlagen, die Hüte der Juden – sie brauchten hohe Hüte für ihren Gottesdienst – schwämmen im Wasser oder lägen herum. Bei einzelnen Juden sei auch geplündert worden, die Polizei hole das Gestohlene wieder zusammen. Vor den zerschlag. Schaufensterscheiben steht Arb.dienst u. H.J. Wache. […] nachmittags. Heute Mittag sah ich mir die zerstörten Judengeschäfte an, auch die Synagoge. Es war eine Völkerwanderg. u. ein Vergnügen für die Schuljugend.“ (S. 906)

Immerhin findet sich am 14. November folgender Eintrag: „Leute, die mit Juden wohnen, machen entsetzliche Beschreibungen von dem Schreien der Kinder und Frauen.“ (S. 912) Doch schon zwei Tage später am Buß- und Bettag kommt sie inspiriert durch einen historischen Vortrag bei einer Beamtenversammlung zu dem folgenden nüchternen Urteil:

„Während des ganzen christlichen Mittelalters saßen die Juden im Ghetto. Befreit wurden sie durch die Ideen der französ. Revolution, die die Religion bekämpfte. Wenn man wirklich die Gefahr für das Abendland im Judentum sieht, dann hat das Christentum überhaupt das Abendland u. damit die germanische Welt gerettet, denn allein diese Religion enthielt den Gedanken der Abwehr des Judentums: Die Juden hatten Christus gekreuzigt. Was hätte das Germanentum ihnen entgegenzusetzen gehabt außer der instinktiven Abwehr, die wahrscheinl. damals ebensowenig genützt hätte, wie sie offenbar heute genügen würde? Von dem Mißverstehen der christlichen Gedanken, so vor allem der Feindesliebe, garnicht zu reden.“ (S. 913)

Hier schwingt eher die Befürchtung mit, dass den Christen im nationalsozialistischen Deutschland ein ähnliches Schicksal wie den Juden blühen könnte. Gegenüber der konkreten Verfolgung von jüdischen Menschen erscheint Begas indes seltsam teilnahmslos, bemüht sogar gängige antisemitische Stereotype. In der sogenannten „Judenfrage“ scheint sie demnach durchaus mit der gängigen rasseideologischen Sicht des Nationalsozialismus übereinzustimmen. Dies belegt auch ein Eintrag vom März 1935 nahe, in dem sie die Heirat einer Deutschen mit einem Juden ablehnt (S. 206).

Am 18. November ist eine Stellungnahme des thüringischen Landesbischofs zur Reichspogromnacht Thema in Begas Tagebuch. Sasse verteidigt darin die Pogromnacht und rechtfertigt die Ausschreitungen mit scharfen antisemitischen Parolen. Auf Anordnung des Landeskirchenrates sollte diese Erklärung am Bußtag von allen thüringischen Kanzeln verlesen werden. Auch die drei BK-Pfarrer Johannes Brakhage, Erich Hertzsch und Moritz Mitzenheim wären, nachdem sie sich zunächst geweigert hätten, der Aufforderung mit der Begründung nachgekommen, dass sie „es um ihrer Gemeinde willen getan“ hätten, „die nicht noch mehr Pfarrer verlieren sollte.“ Otto bedauert, wie aus dem Tagebuch hervorgeht, diesen Schritt der Pfarrer, da er ihn „für die Zukunft der BK in Thüringen“ als „entscheidend“ ansieht. Er wolle aber nicht über die Pfarrer „richten“, zumal er sich im Wartestand nur noch „theoretisch“ äußern könne und nicht mehr „im konkreten Fall“ gefordert sei (S. 915).

Demgegenüber machte sich Begas weniger theologische, sondern stärker Sorgen über den außenpolitischen Schaden, den das Pogrom bewirkt haben könnte, obwohl sie darüber unterrichtet war, dass jüdische Männer ins Konzentrationslager verschleppt worden waren (S. 920). Sie findet es problematisch, dass jeder, der gegen die Ereignisse sei, von der Presse als „prosemitisch“ hingestellt werde, was aber „nicht der Fall“ sei (ebd.). Am 17. Dezember 1938 zitiert sie dann aber doch ausführlich in ihrem Tagebuch aus der Bußtagspredigt des Pfarrers Julius von Jan aus Oberlenningen in Württemberg. Von Jan, der sich in seiner Predigt mit den verfolgten Juden solidarisierte, wurde im Anschluss von einem Schlägertrupp überfallen und zusammengeschlagen sowie anschließend inhaftiert. Eine öffentliche Rückendeckung blieb ebenso aus wie die Fürsprache der Kirchenleitung. Auch wenn Begas an zwei Stellen ihres Tagebuchs vermerkt, dass sie anderer Auffassung als von Jan sei, was sie allerdings nicht weiter ausführt, kommt sie dennoch abschließend zu folgender Beurteilung: nämlich, dass „in der Bußtagspredigt v. Jans […] in großer Ruhe u. Sachlichkeit, aber in Gottes Kraft u. in d. Vollmacht des Heil. Geistes ein klares, biblisches Zeugnis auch gegen die Ausschreitungen, wie sie am 10. Nov. gegen die Juden und ihr Eigentum geschehen“ (S. 933) sei, abgelegt worden sei.

Die vorliegende Veröffentlichung des Tagebuches endet mit den Eintragungen, die Begas am Heiligabend 1938 aufgeschrieben hat. Allerdings führte sie ihr Tagebuch auch im Jahr 1939 bis zum 30. Juli 1945 weiter. Sie verblieb bis zum Kriegsende im Landeskirchenamt und wurde sogar im April 1942 noch zur Kirchenverwaltungsoberinspektorin befördert. Otto indes konnte sein Vorhaben, das Tagebuch für eine Geschichte des thüringischen „Kirchenkampfes“ zu benutzen, nicht mehr verwirklichen, da er im Jahr 1941 verstarb. Dennoch fühlte sich Begas offenbar verpflichtet, das Tagebuch im Sinne Ottos auch nach dessen Tod bis zum Ende der nationalsozialistischen Zeit weiterzuführen.

Nachdem der Volksdienst Ende Juni 1945 aufgelöst wurde, arbeitete Begas ab August 1945 zunächst in der Bibliothek des Landeskirchenrates weiter. Sie erhielt den Auftrag, diese „von nazistischer Literatur“ (S. 43) zu bereinigen. Die normalen Bürotätigkeiten, die ihr im Anschluss zugeteilt wurden, empfand sie allerdings ihrem Selbstverständnis und ihren Fähigkeiten entsprechend als nicht angemessen. Die Herausgeber*innen der Edition vermuten, dass Begas offenbar aus ihrer landeskirchlichen Stelle herausgedrängt werden sollte. Im Landeskirchenamt war bekannt, dass Begas in der NS-Zeit die Vorgänge tagebuchmäßig festgehalten hatte, und einige Personen, insbesondere in kirchenleitenden Funktionen, befürchteten offenbar, dass „belastendes Material“ (S. 44) zutage treten könnte. Zu Beginn des Jahres 1950 wurde Begas in den Ruhestand versetzt. Ihre Tagebuchaufzeichnungen hatte sie inzwischen nachträglich um ein Drittel bereinigt, vermutlich handelte es sich bei den Stellen sowohl um abwertende Beschreibungen von Personen als auch um ihre eigene pronationalsozialistische Haltung. Am 24. August 1961 siedelte Begas in die Bundesrepublik über. Für die Überlassung ihres Tagebuches erhielt sie eine Entschädigung von 500 DM aus dem „Dispositionsfond“ des neuen Landesbischofs Moritz Mitzenheim. Begas musste versichern, dass sie sämtliche Tagebuchnotizen und Abschriften abgegeben hatte. Nach der Aussiedlung aus der DDR stand ihr somit keinerlei Material mehr zur Verfügung, mit dem sie andere Personen hätte belasten können. Dass sie es dennoch tat, verdeutlicht, dass sie wollte, dass ihre Tagebücher erhalten und gelesen werden. Begas verstarb am 10. Juni 1969 in einem Altersheim in Lübeck.

An den wenigen angeführten Ausführungen, die nur einen Bruchteil der im Tagebuch verzeichneten Inhalte versuchen nachzuzeichnen, wird deutlich, welch wertvoller Schatz für die Aufarbeitung der Geschichte der Thüringer evangelischen Landeskirche während der Zeit des Nationalsozialismus darin enthalten ist. Für die Herausgabe des Tagebuchs gilt daher ein besonderer Dank an Hannelore Schneider, Heinz-Werner Koch und Folkert Rickers. Die leider bereits verstorbenen Heinz-Werner Koch und Folkert Rickers haben sich schon in die 1990er Jahren in einer Gemeinschaftsarbeit dieser wichtigen historischen Quelle angenommen, diese kommentiert und mit den Biogrammen im Anhang angereichert. Diese ist nicht nur für die Erforschung der Geschichte der LBG in Thüringen, sondern vor allem auch für die der Thüringer DC unverzichtbar. Es verwundert ein wenig, dass die Herausgeber*innen zwar zwei wichtige „Spezialarbeiten“ (S. 73) zur LBG und zur KDC in der Einleitung anführen und darauf verweisen, wie lohnend es wäre diese mit den Tagebuchaufzeichnungen zusammenzuführen, andere wichtige Studien, speziell zu den Thüringer DC, allerdings unerwähnt lassen.

Die Fokussierung des Tagebuchs auf den „Kirchenkampf“ innerhalb der Thüringer evangelischen Kirche ist Stärke und Schwäche zugleich: Man erfährt sehr detailreich Insiderwissen zur thüringischen Kirchenpolitik aus erster Hand, darunter auch so manche Nebensächlichkeit. So erhält die Leserschaft nicht nur ein umfangreiches und facettenreiches Bild zur Alltagsgeschichte des „Kirchenkampfes“ in Thüringen, sondern auch einen Eindruck von den persönlichen Empfindungen Verfasserin. Allerdings sind die Ausführungen von Begas auch stark subjektiv gefärbt und untermauern ihren eigenen (kirchen-)politischen Standpunkt. Um diese entsprechend einordnen zu können, sind gute zeitgeschichtliche Kenntnisse nötig.

Während die Wirkmächtigkeit der kirchlichen Auseinandersetzung im Alltag und in den Gemeinden durch das Tagebuch spürbar wird, erfährt man häufig nur am Rande etwas über die politischen Vorgänge der Zeit. An den Stellen des Tagebuchs, in denen Begas dennoch auf diese eingeht, wie zum Beispiel bei der Reichspogromnacht, nimmt sie häufig nicht explizit persönlich Stellung zum Geschehen, sondern verbleibt in der Rolle einer Chronistin. Ihre eigene Haltung zu den Vorgängen muss daher eher zwischen den Zeilen herausgelesen werden. Deutlich wird aber dennoch, dass Begas überzeugte Nationalsozialistin war und auch antisemitische Positionen vertrat. Zurecht betonen die Herausgeber*innen in der Einleitung, dass die „Einstellungen zum Nationalsozialismus“ bei den divergierenden kirchenpolitischen Gruppierungen kaum strittig waren, die politische Haltung von Begas damit stellvertretend für „die von vielen, wenn nicht den meisten Bekenntnischristen“ stehen könne. (S. 63) Gleiches gilt sicher auch für den von Begas vertretenen Antisemitismus. Gerade diese Ambivalenz – einerseits die klare Abgrenzung gegenüber den häretischen Vorstellungen der Deutschen Christen und deren vollständige Unterwerfung unter den Nationalsozialismus, das mutige Eintreten für die richtige Sache, das auch persönliche Nachteile billigend in Kauf nahm, anderseits die eigene Überzeugung von der Richtigkeit der nationalsozialistischen Ideologie – macht die Lektüre besonders lesenswert.

Interessant sind auch die in der Einleitung erwähnten Vorkommnisse in der Zeit nach 1945. Der Vermutung, dass die „Kaltstellung“ von Begas im Landeskirchenamt darauf zurückzuführen sei, dass sie einfach zu viel wusste, sollte unbedingt weiter wissenschaftlich nachgegangen werden. Sie erhält dadurch noch eine besondere Brisanz, dass insbesondere führende Vertreter der Deutschen Christen, wie etwa Walter Grundmann, Herbert von Hintzenstern oder Heinz-Erich Eisenhuth, schon sehr bald wieder nach Kriegsende leitende Positionen innerhalb der Thüringer evangelischen Kirche einnahmen. Auch die Rolle des neuen Landesbischofs Mitzenheim ist dabei kritisch zu beleuchten.

Auch aus diesem Grund ist die Beschränkung der Herausgabe der Tagebücher auf die Jahrgänge 1933–1938 bedauerlich. Die von den Herausgeber*innen in der Einleitung angeführte Begründung, dass der „eigentliche Kirchenkampf in Thüringen in diesen Jahren stattgefunden“ habe und ab 1939 „das Kirchenpolitische immer stärker zurück“ gehe, kann nur wenig überzeugen. Sie wird auch Begas nicht gerecht, die ihr Tagebuch ja im Sinne Ottos bis 1945 weiterführte. Das Tagebuch ist nicht nur für die Geschichte der LBG von besonderem Interesse, sondern auch für die der Thüringer DC. Deren Geschichte erlebte mit der Gründung des „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses“ am 6. Mai 1939 auf der Wartburg einen weiteren, wenn auch gänzlich unrühmlichen Höhepunkt. Für die zeitgeschichtliche Forschung sowohl für die Zeit des Nationalsozialismus als auch für deren Wirkungsgeschichte nach 1945 wäre daher die Herausgabe der vollständigen Dokumentensammlung des Tagebuches von Marie Begas fachwissenschaftlich von besonderem Interesse.