"Ausschaltung der Juden und des jüdischen Geistes"
Nationalsozialistische Kulturpolitik 1920-1945

Mit Jörg Osterlohs „‚Ausschaltung der Juden und des jüdischen Geistes‘ Nationalsozialistische Kulturpolitik 1920-1945“ ist eine der umfangreichsten Studien zur Kulturpolitik antisemitischer Parteien und insbesondere der NSDAP erschienen. Osterloh promovierte 2004 über die Judenverfolgung im Reichsgau Sudetenland und ist seit 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fritz Bauer Instituts in Frankfurt a.M. Das Forschungsfeld, dem er sich hier widmet, ist nicht neu, doch gibt es wenige so breite Untersuchungen wie die hier rezensierte. Das Augenmerk liegt auf den propagandistischen Auseinandersetzungen und den kulturpolitischen Forderungen deutschnationaler Parteien und der NSDAP während der Weimarer Republik sowie auf den konkreten Maßnahmen und Institutionen der NSDAP während der NS-Diktatur. Dennoch beschränkt sich Osterloh nicht allein auf diese Zeit, sondern beleuchtet auch den deutschnationalen Antisemitismus innerhalb des Kaiserreichs als Vorbedingung der Zustände der Weimarer Republik. Dies geschieht so umfassend, dass das Buch nicht nur eine Überblicksstudie zum nationalsozialistischen Antisemitismus im Kulturleben ist, sondern zugleich als Überblick der antisemitischen Kulturpolitik Deutschlands bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts funktioniert. Er schließt damit eine Lücke zwischen Einzelstudien zu Vertretern des Regimes, den Verfolgten sowie Entrechteten und den institutionshistorischen Untersuchungen, welche den Blick auf Entstehung und Durchsetzung des Systems der Entrechtung haben. Vor dem Hintergrund einer umfangreichen Recherchearbeit gelingt es Osterloh eindringlich, das Schicksal der Verfolgten anhand der Quellen nachzuzeichnen. Zugleich wird das Thema geografisch so eingegrenzt, dass zum einen die für die Nationalsozialisten wichtigen deutschen Staaten wie Bayern, Thüringen und Preußen eine besondere Rolle spielen und zum anderen, dass der Fokus häufig auf den Theatern als „zentralen Elementen bildungsbürgerlicher Identität“ liegt (S. 17). Politikgeschichte ist ihrer Natur nach auch Organisationsgeschichte, so stehen vor allem die Täter bzw. die Institutionen im Mittelpunkt. Osterloh stellt dem immer wieder die Perspektive der Betroffenen gegenüber, schafft dies jedoch nicht in allen Fällen gleichberechtigt. Ausgezeichnet lässt sich durch den Wechsel zwischen einer Mikroperspektive, welche auf Ereignisse bei bspw. Theateraufführungen eingeht und einer Makroperspektive, welche strukturelles Handeln der Institutionen oder der Politik im Blick hat, erkennen, wie aus vereinzelten Ausschreitungen organisierte und systematische Ausgrenzung und Unterdrückung wurde. Deutlich wird etwa, wie wirkmächtig bereits auf kommunaler Ebene, hier am Beispiel Coburgs 1929, auf Kulturschaffende eingewirkt werden konnte (S. 200). Diese große Stärke ist zugleich auch eine Schwäche der Studie. Der Wechsel zwischen den Perspektiven versperrt immer wieder den Blick auf einzelne Motive sowie auf die konkreten Anlässe von Auseinandersetzungen zur Zeit der Weimarer Republik. Dadurch zeigt Osterloh, dass es sehr lange kein einheitliches Konzept im Umgang mit jüdischen Künstlern oder als jüdisch verfemten Kulturakteuren gab bzw. dieses nicht konsequent durchgesetzt wurde. Zugleich wirkt dadurch die Auswahl der Beispiele bisweilen kursorisch. Die Untersuchung der Institutionalisierung der nationalsozialistischen Kulturpolitik nach der Regierungsübernahme, durch die Erfassung und Kategorisierung der Kulturschaffenden, ist deutlich dichter gezeichnet. Das schnelle, harte Eingreifen und der umfassende ‚Erfolg‘ der Maßnahmen wird in seinem starken Kontrast zu weiterhin behaupteten Verschuldung der ‚Entartung‘ durch die jüdischen Akteure veranschaulicht.

Die Leistung Osterlohs liegt nicht darin, das Thema neu aufzurollen, sondern vielmehr darin, die verschiedenen Prozesse miteinander zu verschränken und sie durch eine umfangreiche Recherchearbeit vor dem Hintergrund von Periodika, Archiv-, Normativquellen und der aktuellen Literatur zu beleuchten.