Deutsch im 17. Jahrhundert
Studien zu Sprachkontakt, Sprachvariation und Sprachwandel. Gedenkschrift für Jürgen Macha

Aus sprachhistorischer Sicht ist die frühneuhochdeutsche Periode ein sowohl inner- als auch außersprachlich bedeutungsvoller Zeitraum, der sich unter anderem durch eine Zunahme der Schriftlichkeit sowie eine Erweiterung des Textsortenspektrums auszeichnet. Das 17. Jahrhundert markiert in den Sprachgeschichten das Ende der frühneuhochdeutschen Periode und wird zugleich als Übergang zum Neuhochdeutschen hin betrachtet. In diesem Zusammenhang werden in der Forschung bestimmte Textsorten, wie Grammatiken und Wörterbücher thematisiert, sowie ausgewählte Faktoren, wie barocke Sprachgesellschaften, Druckerzentren und Kanzleien, hervorgehoben, die den Verlauf hin zur Konsolidierung und Kodifizierung einer neuhochdeutschen Schreibsprache belegen.

Doch die Einflüsse auf Sprachwandelprozesse sind mannigfaltig und bisweilen sogar gegenläufig und lassen sich folglich nicht auf einzelne, wenngleich zentrale, Aspekte reduzieren. So verlief die Entwicklung des Deutschen zu einer Einheitssprache hin weder streng teleologisch noch homogen, was die historische Sprachforschung vor die Herausforderung stellt, die Sprachwandelprozesse in ihrer Tiefe und Breite zu erfassen und unter Berücksichtigung soziokultureller Veränderungen zu deuten.

Einen Beitrag zu einer solchen differenzierten Sicht auf die Sprache im 17. Jahrhundert liefert der von Markus Denkler, Stephan Elspaß, Dagmar Hüpper und Elvira Topalović herausgegebene Sammelband „Deutsch im 17. Jahrhundert. Studien zu Sprachkontakt, Sprachvariation und Sprachwandel“. Der als Gedenkschrift für Jürgen Macha erschienene Sammelband knüpft thematisch an ausgewählte Forschungsschwerpunkte des Germanisten an, der von 1996 bis 2014 Professor für Deutsche Philologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster war.

Der Inhalt des Sammelbandes ist in vier Teilbereiche gegliedert: Der erste Teil zu „Sprache und Konfession“ zeigt auf, auf welche Weise sich unterschiedliche konfessionelle Einflüsse in der Sprache niederschlagen können. Die Beiträge des zweiten Abschnitts „Sprache und Hexenverfolgung“ beschäftigen sich mit Hexenverhörprotokollen und anderen Texten aus diesem Themenbereich. Der dritte und zugleich umfangreichste Teil zu „Sprachvariation, Sprachkontakt und Sprachwandel“ knüpft an den Untertitel des Bandes an und bildet ein breiteres thematisches Spektrum ab, das sich mit regionalen Varianten und Kontakträumen befasst. Den Abschluss bildet ein Beitrag zu historischen Sprachen und Musik, der unter „Coda“ aufgeführt wird.

Die Autoren beschäftigen sich mit historischen Textquellen wie Bürgerbüchern, Flugblättern, Nachlassinventaren, Tagebüchern sowie Totengedächtnisschriften und „verwenden einen empirischen Zugriff, wie er in der modernen variationslinguistisch orientierten Sprachforschung Standard ist.“ (S. 14).

Der Artikel von Anna-Maria Balbach „Cuius regio, eius religio, eius lingua? Beobachtungen zum Zusammenhang von Region, Religion und Sprache in Totengedächtnisschriften des 17. Jahrhunderts“, bildet den Auftakt. Hier werden Sprachgebrauchsdifferenzen zwischen Protestanten und Katholiken thematisiert, die sich in der untersuchten Textsorte auf verschiedenen Ebenen der Sprache wie Lexik, Textstruktur, Graphie sowie Sprachenwahl niederschlagen.

Neben den weniger prominenten, finden sich auch Abhandlungen zu bekannteren Textsorten, wie den Hexenverhörprotokollen. Robert Möller widmet sich „Appellativen und Namen in Hexenverhörprotokollen des 16./17. Jahrhunderts“. Der Autor geht der Movierung von Berufsbezeichnungen sowie Familiennamen nach und stellt deren regionale Variation heraus.

Der Beitrag von Arend Mihm mit dem Titel „Sprachwandel in der frühen Neuzeit. Augsburg und Köln im Vergleich“ unterstreicht die Annahme, dass die Entwicklungen der Sprachgeschichte eben nicht „einförmig auf ein imaginäres Ziel der ‚Einheitssprache‘ hin“ verliefen (S. 12). Hier wird auf überzeugende Weise die Vielschichtigkeit der Sprachwandelprozesse am Beispiel der Stadtsprachenforschung präsentiert, indem auch Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Sprachentwicklung beider Städte herausgearbeitet werden.

Der Aufbau des Bandes lässt punktuelle Schwerpunktsetzung einerseits und Diversität andererseits erkennen. Festzuhalten ist, dass das Themenspektrum der Beiträge den Sammelband auf den ersten Blick heterogen erscheinen lässt. Vermutlich ist eine Konzentration auf einen ausgewählten Untersuchungsgegenstand in diesem Fall nicht umsetzbar und nicht sinnvoll gewesen, zumal dies einer differenzierten wissenschaftlichen Betrachtung der Sprache des 17. Jahrhunderts nicht gerecht geworden wäre. Die thematische Gliederung des Bandes erscheint zudem deshalb etwas unausgewogen, weil die ersten beiden Teile einem klaren Schwerpunkt zugeordnet sind, während der Mittelteil eher offen gestaltet ist und der letzte Teil aus einem Einzelbeitrag besteht. Dies schmälert jedoch keineswegs die Qualität der einzelnen Beiträge.

Positiv hervorzuheben ist auch, dass einige Autoren Schnittstellen zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen aufzeigen, wie etwa der Beitrag „Intertextualität. Hexenhammer – Hexenverhörprotokolle – Hexen im Simplicissimus“ von Claudia Wich-Reif, der eine Brücke zwischen Sprachwissenschaft und Literaturwissenschaft schlägt.

Alisa Blachut und Elvira Topalović beschäftigen sich aus didaktischer Perspektive mit der Frage, ob und inwiefern Hexenverfolgungen im integrativen Unterricht eingebunden werden können und liefern „Ansätze für die Sekundarstufe in den Fächern Deutsch und Geschichte (7./8. Klasse)“.

Der abschließende Beitrag „Historische Sprachen und Musik. Anmerkungen zu ihrem Verhältnis seit dem 17. Jahrhundert“ von Elmar Neuß zeigt Strukturparallelen von Sprache und Musik auf verschiedenen Ebenen auf. Dieser Aufsatz verbindet auf eindrucksvolle Weise die Sprach- und Musikwissenschaft miteinander und scheint zugleich thematisch aus der Reihe zu tanzen. Ohne Vorkenntnisse aus dem Bereich der Musikwissenschaft ist dieser Beitrag nicht ohne Weiteres zugänglich, doch passt er wiederum sehr gut unter das Dach der wissenschaftlichen Interessen von Jürgen Macha.

Die Autoren der einzelnen Beiträge konnten überzeugend aufzeigen, dass das 17. Jahrhundert eine Fülle an interessanten Untersuchungsgegenständen bietet. Der Band zeigt Forschungsperspektiven auf und regt zu einer Beschäftigung mit bisher wenig beachteten Themen und Texten an, die keineswegs nur Randphänomene der Sprachgeschichte sind. Somit ist den Herausgebern ein äußerst lesenswerter Sammelband gelungen, der die Rolle der regionalen Varietäten beleuchtet, die Diversität der Textsorten des 17. Jahrhunderts berücksichtigt und die komplexe Entwicklung der deutschen Sprache unter Berücksichtigung außersprachlicher Faktoren präsentiert.