Religionsfreiheit zwischen individueller Selbstbestimmung, Minderheitenschutz und Staatskirchenrecht – Völker- und verfassungsrechtliche Perspektiven

Universales Konzept

In diesem Tagungsband sind die Referate abgedruckt, die bei einem wissenschaftlichen Symposion im April 2000 unter dem Titel „Religionsfreiheit und rechtliche Bindung“ aus Anlaß des 75jährigen Bestehens des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg gehalten wurden. Ziel des Symposions war es, das hochaktuelle, im staatskirchenrechtlichen Schrifttum sehr kontrovers diskutierte Thema um rechtsvergleichende und völkerrechtliche Perspektiven anzureichern.

Der erste Teil des Bandes wendet sich dem völkerrechtlichen Schutz religiöser Minderheiten zu und möchte unter der Überschrift „Religionsfreiheit als universales Konzept“ die spezifischen Schwierigkeiten aufzeigen, die mit der Verwirklichung der Religionsfreiheit an der Schnittstelle von Individual- und Minderheitenschutz in einem von starken religiösen Gegensätzen geprägten internationalen Umfeld verbunden sind.

Groth(S. 3-52) weist auf die Bedeutung eines vertraglichen Schutzes religionsbezogener Rechte hin. Insbesondere friedensvertragliche Regelung (Nordirland, Balkan) könnten bei der Überwindung ethnischer Konflikte eine zunehmend wichtige Rolle spielen, wobei sich die religiösen kaum von den nationalen, rassischen und sozialen Faktoren trennen ließen.

Wolfrum (S. 53-71) bedauert, daß das Völkerrecht dem Schutz von Minderheitsreligionen nur unvollkommen Rechnung trage. Es frage sich auch sehr, ob überhaupt ein Wertekonsens über die Tolerierung von Minderheitenreligionen bzw. neuen Religionen existiere. Die in diesem Zusammenhang bedeutungsvolle Funktion der nationalen und supra-nationalen Rechtsprechung, zum Schutz religiöser Minderheiten und zur optimalen Entfaltung des Toleranzprinzips in Einzelfällen eine praktische Konkordanz zu erzielen, unterstreicht Frowein (S. 73-88). Richter (S. 89-212) behandelt ausführlich die schädlichen religiösen Praktiken (Genitalverstümmelung, Tötungsaufruf bei Apostasie) mit der Konsequenz einer erheblichen Relativierung universeller Menschenrechte.

Unter dem Obertitel „Religiöse Selbstbestimmung und staatliche Rahmenordnung“ gehen die Referate im zweiten Teil der Frage nach, ob und inwieweit die üblichen grundrechtlichen und staatskirchlichen Lösungsmuster zur Überwindung der sich aus einem unterschiedlichen Selbstverständnis einzelner Religionsgemeinschaften ergebenden Konfliktsituationen geeignet seien. Dies hält Walter (S. 215-240), das Trennungs- und das Neutralitätsprinzip im Blick auch auf Frankreich und die USA abtastend, für recht zweifelhaft. Einige grundrechtliche Anknüpfungspunkte müßten in Europa noch zu einem einheitlichen rechtlichen Rahmen für die Zuordnung von öffentlicher Gewalt und Religionsgemeinschaften weiter entwickelt werden. Giegerich (S. 241-309) versteht die Religionsfreiheit vornehmlich als Anspruch auf Gleichheit. Von daher seien die Konflikte zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit in dem Sinne zu lösen, daß der Staat etwa die Symbole der Mehrheitsreligionen (Kruzifixe) nicht für seinen Bereich rezipieren dürfe. Die vielfältigen Probleme im Verhältnis zwischen religiöser Selbstbestimmung und staatlichem Bildungsauftrag analysiert Langenfeld (S. 311-359). Sie empfiehlt insbesondere, den Zusammenhang zwischen religiöser Selbstbestimmung und der Integration religiöser Minderheiten wie der Muslime deutlicher zu sehen. Das Kruzifix dürfe nicht mit dem Kopftuch auf eine Ebene gestellt werden. Dieses werde vom Staat als Symbol gesetzt, jenes aber von einer sich auf die Religionsfreiheit berufenden Privatperson beansprucht. Die Bedeutung religiöser Gebote (z. B. Kleidung, Eid, rituelle Schlachtungen) für die Anwendung staatlicher Normen in verschiedenen Ländern arbeitet Benedict (S. 361-382) heraus. Der intrikaten Problematik des Kirchenasyls widmet sich Bank (S. 381-409).

Thema der Beiträge im dritten Teil bilden die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte des karitativen Engagements der Religionsgemeinschaften. Marauhn konstatiert (S. 413-470), die Problemlösungskapazität staatskirchenrechtlicher Regelwerke erweise sich im Blick auf neuartige Religionsgemeinschaften als sehr begrenzt. Sowohl aus den völkerrechtlichen Menschenrechtsinstrumenten als auch aus einer Rechtsvergleichung versucht er, einige Elemente für einen europäischen Mindeststandard zu entwickeln. Die verschiedenen Anknüpfungspunkte für den Rechtsschutz in Kirchensachsen untersucht rechtsvergleichend Oellers-Frahm (S. 471-507) und spricht sich für eine Zuständigkeit staatlicher Gerichte aus, soweit es sich um den Schutz der Grund- und Menschenrechte handele. Hartwig (S. 509-545) geht der karitativen Betätigung der Kirchen im Kontext mit der planerischen Gestaltung des Sozialstaats und den europarechtlichen Geboten der Dienstleistungs-, Niederlassungs- und Wettbewerbsfreiheit nach. Den gebotenen Grundrechtsschutz bei wirtschaftlichen Betätigungen einer Religionsgemeinschaft analysiert Röben (S. 547-577). Einige Diskussionsbeiträge schließen den Band ab (S. 581-628).

Alles in allem: Die vielfältigen Erörterungen und Interpretationen bezeugen eindrucksvoll die große Aktualität des Religionsverfassungsrechts mit all seinen thematisch breit gestreuten Facetten. Der besondere wissenschaftliche Wert des Bandes liegt in seiner vom Völkerrecht und der Rechtsvergleichung her angelegten Argumentationsbasis. Die anstehenden Probleme lassen sich auch kaum mehr im nationalen Alleingang lösen. Bei einigen Ausführungen überwiegt allerdings eine stark individualistische Sichtweise, etwa im Verhältnis der negativen zur positiven Religionsfreiheit (Kruzifix, Kopftuch). Hier wäre eine abwägendere und vor allem das vorhandene staatskirchenrechtliche Schrifttum gründlicher einarbeitende Sichtweise eine diskussionswürdige Alternative gewesen.