Women at Deir el-Medina
A Study of the Status and Roles of the female inhabitants in the Workmen’s Community during the Ramesside Period

gender-studies – Detailreich, ohne sich zu verlieren

Sie sind in alle Winde verstreut: Die Hinterlassenschaften der kleinen Siedlung von Deir el-Medina und ihrer unmittelbar an sie angrenzenden Nekropole bereichern die Bestände der Museen von Kairo bis New York, von Turin bis Paris. Eine große Wanderausstellung vereint nun erstmals die auseinandergerissenen Funde, führt Grabensembles zusammen und gewährt Einblicke in den Alltag derjenigen Handwerker, die für den Bau der Pharaonengräber im Tal der Könige verantwortlich zeichneten.

Das Ausstellungsprojekt ist eine fast überfällige Reaktion auf eine einmalige Quellen- und Fundsituation, die uns für diese Siedlung zur Verfügung steht. Für kaum einen anderen Ort des alten Ägypten lassen sich über einen Zeitraum von ca. 200 Jahren die Lebens- und Arbeitsumstände seiner Bewohner über Generationen besser verfolgen. Von der wahrscheinlich auf Thutmosis I. (1504–1492 v.Chr.) zurückgehenden Gründung der Siedlung auf der Westseite Thebens bis hin zu ihrer Aufgabe in der Regierungszeit Ramses’ XI. reichen die archäologischen und epigraphischen Zeugnisse von Deir el-Medina. Der Vielfalt und dem Umfang der Funde trägt auch die Sekundärliteratur Rechnung, die jetzt um eine hervorragende Detailstudie bereichert wurde. Die Finnin Jaana Toivari-Viitala hat sich in ihrer Dissertation Women at Deir el-Medina dem weiblichen Bevölkerungsanteil der Siedlung angenommen. Von den etwa 4 500 nichtliterarischen Ostraka und ca. 500 Papyri aus dem Umfeld von Deir el-Medina stehen etwa 10% in Verbindung zu Frauen. Sie dienten der Autorin als Ausgangspunkt für ihre umfassenden soziokulturellen Untersuchungen. Die günstige Belegsituation in der 19. und 20. Dynastie gab den Behandlungszeitraum vor, doch wurden im Einzelfall auch ältere Quellen herangezogen. Das Ergebnis zeigt die unterschiedlichsten Facetten des Lebens von Frauen in dem kleinen Ort auf. Die Frau in der Ehe erfährt die gleiche Beachtung wie die Frau als Eigentümerin, als Dienerin und Sklavin, in ihrer Beziehung zu Sex und Erotik, als Mutter oder Tochter sowie im Alter.

Die Arbeit profitiert dabei von ihrem Detailreichtum, ohne sich in ihm zu verlieren. Dies gelingt der Autorin, indem sie die für Deir el-Medina gewonnenen Erkenntnisse stets in einen größeren Kontext setzt. So wird beispielsweise das Phänomen Kindheit in Deir el-Medina nicht wie in anderen Studien zum wiederholten Male neu „entdeckt“, sondern auf seine lokalen Besonderheiten hin untersucht. Feststehende Deutungen werden kritisch hinterfragt und auf ihre Anwendbarkeit auf die Situation in Deir el-Medina überprüft. Dies läßt sich u.a. am Beispiel der Auslegung des Terminus Hsmn festmachen, dessen ausschließliche Übersetzung mit „Menstruation“ auf der Grundlage der inschriftlichen Belege aus Deir el-Medina in Frage gestellt wird. Die Autorin diskutiert vielmehr die Möglichkeit einer Deutung des Begriffes als Beschneidung oder Einsetzens der ersten Monatsblutung. Beides einschneidende Ereignisse im Leben einer Frau, welche die in Verbindung mit Hsmn belegten Riten und ein mögliches Separieren der Betroffenen im Einzelfall besser erklären könnten. Vor diesem Hintergrund wird auch der Standort der sogenannten Wochenlaube als ein vom Wohnhaus räumlich entfernt gelegener Ort behandelt. Toivari-Viitala legt die Schwachpunkte der gängigen Interpretation offen, nach der sich die Frau zur Geburt und als Wöchnerin dorthin zurückzuziehen hätte und zeigt mögliche Alternativen auf.

Ohne die Gesamtleistung der Autorin schmälern zu wollen, muß letztlich auch auf ein Manko der Publikation hingewiesen werden. Gemeint ist die mäßige Lektoratsleistung, die speziell in der Bibliographie ins Auge fällt. Hier tummeln sich unzählige orthographische Fehler, um im Bereich der deutschsprachigen Literaturzitate ihren traurigen Höhepunkt zu erreichen. Nichtsdestotrotz ist der Autorin zu danken, daß sie den Spagat zwischen einer wissenschaftlich anspruchsvollen Arbeit und einem spannend zu lesenden Zeitporträt der Frauen von Deir el-Medina nicht nur gewagt, sondern auch eindrucksvoll bewältigt hat.