Die Frau im Alten Griechenland
Religion, Kultur, Gesellschaft

Dieses Buch ist ein Ärgernis. Als Rezensent sieht man sich nicht oft verpflichtet, dies so deutlich sagen zu müssen.Verspricht der Titel Einblicke in die Rolle der Frau in Religion, Kultur und Gesellschaft im alten Griechenland, so erweist sich der Inhalt des Buchs als oftmals faktisch falsch, die Argumentation als hanebüchen und die Methodik als naiv. Da das Buch obendrein im renommierten Verlag Artemis & Winkler erscheint, ist zu befürchten, daß es sowohl von einem breiteren Publikum als auch von den Studierenden der Altertumswissenschaften rezipiert wird.

Grundsätzlich ist die Wahl des Themas zu begrüßen: Geschlechterfragen sind bezüglich der griechischen Religion bei weitem noch nicht häufig genug gestellt worden. Beim vorliegenden Band bleibt allerdings unklar, worum es eigentlich gehen soll: um das religiöse Leben der Frauen in Griechenland (wie es der Titel suggeriert) oder nur im klassischen Athen? Oder um die Bilder, die griechische Dichtung zu den verschiedensten Zeiten etwa von Göttinnen entwirft? Gerade in der leichtfertigen Projektion des Frauenbilds in der mythologischen Erzählung auf die Lebenswelt der Frau in der griechischen Antike zeigt sich die methodische Schwäche des vorliegenden Buchs. Die fehlende terminologische Reflexion zeigt sich in unverständlichen Aussagen wie auf Seite 136: „Während die Religion der klassischen Zeit Frauengestalten zeigte, die sich auflehnten, beschränkte der Hellenismus Weiblichkeit auf Mütterlichkeit.“ Man möchte zwischenrufen: Welche Frauen denn nun? Mythische? Reale? Mittels welcher Quellen? Inwiefern kann griechische „Religion“ überhaupt Frauen zeigen, und inwiefern hätten sich diese stärker aufgelehnt als später im Hellenismus?

Darüber hinaus fällt Iwersens erschreckende methodische Naivität im Umgang mit den mythologischen Quellen und den Zeugnissen der ägäischen, minoischen und mykenischen Frühzeit auf. Mythische Figuren, Göttergestalten, aber auch religiöse Vorstellungen sind ihrer Meinung nach offenbar problemlos von der ägäischen Frühzeit bis in die klassische Zeit tradiert worden – einziges Problem dabei: mitunter wurden sie vom griechischen Patriarchat unterdrückt. Schon für die mittelmykenische Epoche sei eine gemeinhellenische Vorstellung von der mächtigen Herrin Athen als Kriegsgöttin belegt (S. 86). In den „nach einhelliger Meinung uralten demetrischen Riten“ habe sich vermutlich die „minoische Symbolik der Vulva im Zusammenhang mit dem Sonnenlauf“ erhalten (S. 168); die Mysterien von Eleusis seien „von den mykenischen Königen“ gegründet worden (S. 172). Der mythische König Minos ist für Iwersen „wahrscheinlich eine historische Persönlichkeit“, die „um 1500 v.Chr. die kretische Seemacht repräsentierte“. Überhaupt: Kreta. Woher Iwersen im Fall der für uns so gut wie schriftlosen kretischen Kultur die Erkenntnis zieht, „die minoische Frau habe sich mit einer oder mehreren Göttinnen identifizieren und rituell ihre Rolle einnehmen können“ (S. 20), wäre interessant. Die Zustände im dorischen Kreta zeigten außerdem, daß „das Ansehen der Frau [...] im vorindoeuropäischen Griechenland völlig anders“ war „als in klassischer Zeit“. Das mag sein, man kann nur nicht aus der Inschrift von Gortyn darauf schließen. Überrascht erfährt man, für das 6. Jahrhundert v.Chr. könne es als sicher gelten „dass die Sibyllen eine vor allem im Zeichen des Apoll stehende Reorganisation des Kultlebens in Griechenland regelten“ (S. 32). Später (S. 65) heißt es dann gar, daß „die weibliche Mantik [...] für die politische Neuordnung Griechenlands während des 7. und 6. Jhs. v.Chr. eine entscheidende Rolle spielte“. Sie sei jedoch ein noch weitgehend ungelöstes Rätsel. Da kann man der Autorin nur zustimmen.

Der von Iwersen verwendete Begriff „Frauenmysterien“ (S. 62) ist irreführend. Bei den beschriebenen Begehungen handelt es sich um geschlechtlich segregierte Kulte. Ebenso gab es Kulte, an denen nur Männer teilnahmen. Niemand würde deshalb darauf verfallen, diese Kulte Männermysterien zu nennen. Häufig verliert sich die Autorin in vagen Andeutungen: „Vieles“ deute darauf hin, daß im Eleusis der frühesten Zeiten eine Hohepriesterin im Vollzug der Mysterienhandlung die höchste Funktion erfüllte (S. 78). Auch warum die Eleusinischen Mysterien „gesellschaftsauflösende Tendenzen“ zeigen (S. 96), hätte man gern gewußt.

„Lediglich in der Religion“ – so verrät uns der Klappentext – „speziell in den Mysterienkulten, gestand man den Frauen Freiheiten zu. In dieser geheimnisumwitterten Sphäre waren sie Hüterinnen vorpatriarchalischer Riten, die den Zyklen der Natur und der Biologie entsprachen.“ Ansonsten habe man die jungen Mädchen Athens systematisch ihren Müttern entfremdet (S. 80), sie mit wildfremden älteren Männern verheiratet, die ihre Frauen dann in den Häusern eingesperrt hätten (S. 175). Wir könnten annehmen, so Iwersen, daß dabei Erinnerungen an vorindoeuropäische, matrilineare Strukturen eine Rolle gespielt hätten (S. 80). Der klassische Athener sperrt also die Frauen seiner Familie ein, weil er die Rückkehr vorindoeuropäischer Zustände fürchtet. Ein Blick in neuere Publikationen hätte vor derartigen Irrtümern bewahrt. Der Vorstellung von der eingesperrten Athenerin ist in den letzten Jahren zu Recht und massiv widersprochen worden.

Insgesamt wimmelt es im Text nicht nur von Druckfehlern sondern auch von sachlichen Unrichtigkeiten, die zeigen, daß dieses Buch nur höchst oberflächlich kompiliert worden ist. Hier nur einige Beispiele: Kronos ist natürlich der Sohn des Uranos, nicht des Okeanos (so S. 34). Die Bezeichnung „Herr der Aigis“, die Homer dem Zeus zulegt, hat überhaupt nichts mit der Ägäis zu tun, über die Poseidon herrscht (so S. 37). Die Aigis ist vielmehr eine Art Ziegenfell, das den Feind in Schrecken setzt. Thetis ist auf Seite 37 „Nereide“ (Tochter des Nereus und der Doris), eine Seite später ohne Erklärung Tochter von Okeanos und Tethys (letztere Variante nur bei Myth. Lat. 1. 204, 32 aus römischer Zeit). Ares ist Geliebter, nicht Ehemann der Aphrodite (so S. 83), und Theseus läßt seinen Sohn Hippolytos nicht erhängen (so S. 83), sondern Hippolytos wird von einem wilden Stier zu Tode geschleift. Neoptolemos hat Priamos am Zeusaltar nicht geopfert (so S. 139), sondern als Schutzflehenden ermordet – das ist ein fundamentaler Unterschied. Die Liste sachlicher Ungenauigkeiten und Fehler ließe sich beliebig erweitern.

Gerade Bücher mit ansprechenden Titeln, guter Aufmachung und entsprechend breiter Rezeption, jedoch mangelhafter Methodik und spekulativen Vermutungen wie das vorliegende desavouieren die Geschlechterforschung. Autoren und Verlage sind aufgerufen, gerade im Bereich der gender-studies, die oft als Modeerscheinung abgetan werden, hohe Maßstäbe anzulegen.