„Tränen der Götter“ wurde der Bernstein in der römischen Antike genannt. Den Römern war er ein kostbares Gut, das der Elite vorbehalten war. In seinem Abbaugebiet an der Ostsee dagegen war er auch der breiten Bevölkerung zugänglich. Doch wie ist der Bernstein von der Ostsee quer durch Europa bis ans Mittelmeer gelangt und welche Bedeutung hatte er? Auf diese Fragen gibt „Die Bernsteinstrasse“ Antworten.
„Die Bernsteinstrasse“ wurde im April 2014 als Sonderheft von Archäologie in Deutschland von Dieter Quast und Michael Erdrich herausgegeben. Es erklärt auf eine sehr anschauliche Weise die Bedeutung sowie die Nutzung von Bernstein und seine Verarbeitung von den Anfängen bis zum Ende der römischen Bernsteinindustrie um 1300 nach Christus.
Vor mehr als 55 Mio. Jahren begann die Entstehung von Bernstein. Er ist fossiles Harz, das von Bäumen herabgetropft ist, die dort wuchsen, wo sich heute die Ostsee befindet. In der Region wird er seit dem Neolithikum abgebaut und war schon sehr früh ein begehrter Rohstoff. Von dort aus breitete sich der Baltische Bernstein durch Handel allmählich aus. Da es jedoch keine Überlieferungen über die sogenannte Bernsteinstrasse gibt, ist die Forschung weitgehend nur über Bernsteinfunde in der Lage, Schlussfolgerungen über die verschiedenen Handelsbeziehungen zu allen Zeiten zu ziehen. Vor allem auch deshalb, weil es den Forschern gelungen ist, Baltischen Bernstein, den sogenannten Succinit, von anderen Bernsteinarten zu unterscheiden.
Anhand einiger dieser Funde hangelt sich das Buch durch die Geschichte mit dem Ziel, dem Leser die Bedeutung des Bernsteins und damit die dadurch möglichen Rückschlüsse auf Handelsrouten zu veranschaulichen.
Dieter Quast hat Ur- und Frühgeschichte, Anthropologie und Vorderasiatische Archäologie studiert, und ist am Römisch-Germanischen Zentralmuseum dem Forschungsinstitut für Archäologie in Mainz tätig. Michael Erdrich unterrichtet an der Universität in Lublin in dem Instytut Archeologii. Die anderen Autoren haben ebenfalls in diesen Bereichen studiert.
Die einzelnen Artikel bauen sinnvoll aufeinander auf. Durch das ganze Buch zieht sich ein chronologischer Faden, an dem die einzelnen Texte aufgereiht sind. Die meisten sind dabei in kleine Abschnitte unterteilt, die die Artikel zusätzlich thematisch gliedern. Dadurch wird dem Leser eine kleine Übersicht des Kommenden präsentiert und das Finden bestimmter Informationen erleichtert. Es tut dem Verständnis keinen Abbruch, wenn man die Artikel oder die Abschnitte der Artikel nicht der Reihe nach liest.
Im inhaltlichen Aufbau zieht sich neben dem chronologischen Faden auch ein schmaler örtlicher Faden. Es ist nach den Zentren für Bernsteinverarbeitung und seinen Handel in zeitlicher Abfolge gegliedert. Dabei wird ständig betont, dass es keine Bernsteinstrasse im eigentlichen Sinne gibt, denn es wird keine genaue Route erwähnt oder durchgängig benutzt, sodass nur Mutmaßungen aufgestellt werden können. So liegt der Fokus des Buches wirklich auf dem Bernstein und seiner Rolle in den verschiedenen Zeiten und Kulturen, wobei die Römerzeit besonders behandelt wird. Sonstige Informationen über die Kulturen oder Ereignisse werden in dem Buch nicht gegeben, es sei denn sie nehmen Einfluss auf den Handel mit Bernstein oder auf seine Bedeutung und Nutzungsweise. Allerdings werden auch solche Ereignisse nicht näher erklärt, sodass man für genauerer Informationen ein anderes Nachschlagewerk zu Rate ziehen muss. Trotzdem sind die Artikel alle verständlich geschrieben und über den Bernstein erfährt der Leser viel, auch wenn er sich nicht ausführlich mit der Geschichte Europas auskennt.
Dazu trägt auch der Schreibstil der Autoren maßgeblich bei. Er ist sachlich und verständlich, sodass es Spaß macht, das Sonderheft zu lesen. Nur manche Fachbegriffe werden nicht oder erst in einem späteren Artikel erklärt. Der überwiegende Leserkreis wird aus Archäologen, Forschern und anderen Interessierten bestehen, daher wird es wenig ins Gewicht fallen.
Die vielen farblichen Abbildungen und das Kartenmaterial tragen ebenfalls ihren Teil zum Verständnis und der Veranschaulichung bei. Die zahlreichen Fotos der verschiedenen Funde werden in den Texten erwähnt und mehr oder minder ausführlich beschrieben. Da sich die Bilder häufig auf derselben oder der nachfolgenden Seite befinden und eine treffende Bildunterschrift besitzen, gibt es kaum Schwierigkeiten, das passende Bild der Textstelle zuzuordnen. Dasselbe gilt für das Kartenmaterial. Es veranschaulicht und unterstützt den Text in sehr nützlicher Hinsicht. Als kleinen Kritikpunkt lässt sich anbringen, dass im Text ein Verweis auf das passende Bild gegeben werden könnte, da bei Weitem nicht alle erwähnten und beschriebenen Funde im Buch abgebildet worden sind. Manche Abbildungen und Karten werden so erst am Ende des Abschnitts oder Artikels gefunden. Ein weiterer kleiner Kritikpunkt ist, dass die Bildunterschriften bei mehreren Bildern auf einer Seite nicht immer klar einem Bild zuzuordnen sind. In den meisten Fällen geht es dennoch ganz gut, nur an ein oder zwei Stellen ist das Zuordnen durch die Ähnlichkeit schwierig.
Zu guter Letzt lässt sich über „Die Bernsteinstrasse“ nur Positives resümieren: Dem Leser erklärt es viel über Bernstein, seine Nutzung und Bedeutung, und er bekommt zahlreiche Informationen auf eine anschauliche und verständliche Weise geliefert.