Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert
Ein neues Medium und seine Folgen für das Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit

Die Bedeutung periodischer Medien für die Entwicklung von Gesellschaft und Politik, von Kultur und Sprache, von Wissens- und Weltordnungen scheint gegenwärtig unbestritten. Nicht selten wird die Presse heute als „vierte Träger[in] der öffentlichen Gewalt“ (Löffler 1963: 348) dargestellt, die politische Meinungs- wie Willensbildungsprozesse formt und so Realitäten konstruiert, da wir das, „was wir über die Gesellschaft, ja: über die Welt, in der wir leben, wissen, […] durch die Massenmedien [wissen]“ (Luhmann 42009: 9). Wahrgenommen wurde diese öffentlichkeitswirksame Macht der Presse bereits, als sie nur einem Bruchteil der Bevölkerung zugänglich war und sich der Begriff der Öffentlichkeit erst zu formieren begann. Bereits 1695, nur wenige Jahrzehnte nach dem Erscheinen des ersten periodischen Mediums, der Zeitung, stellte Kaspar von Stieler fest, „wie nützlich und ergetzlich das Zeitungs-Werk [ist]/ sondern auch/ daß dessen Lesung beinahe unentbärlich in einer rechtschaffenen politischen Welt und wolgeordnetem Lande sey“ (Stieler 1695: 166f.). Vergleicht man solch historische Äußerungen mit jenen zeitgenössischen über die mediale Macht und Wirkung, so lässt dies erahnen, dass die Presse bereits seit ihrem ersten Erscheinen in Form der Zeitung prägenden Einfluss auf die Entstehung und Entwicklung unserer heute gültigen (politischen) Wissens- und Weltordnung gehabt haben muss. Wie aber vollzog sich die Entwicklung des Pressewesens in den ersten Jahrzehnten, und in welchem Verhältnis steht diese zu anderen medialen, politischen oder kulturellen Prozessen dieser Zeit? Wie veränderte die Zeitung das bislang gültige Medien- und Kommunikationssystem und somit die Wissens- und Herrschaftsordnung der Frühen Neuzeit, und inwiefern wurden in ihr erste Grundlagen für unser heutiges Medien- und Kommunikationssystem, für unsere gegenwärtige Wissens- und Weltordnung gelegt? 

Diesen und weiteren Fragen zur „Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert“ und den „[…] Folgen für das Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit“ widmet sich der 2011 von Volker Bauer und Holger Böning herausgegebene Sammelband, der die Ergebnisse der Tagung „Zeitungsöffentlichkeit im 17. Jahrhundert – ein neues Medium und seine Folgen“ aus dem Jahre 2009 zusammenfasst. Logisch gegliedert in fünf Teile sucht der Band durch vielfältige Beiträge ein zusammenhängendes Bild von der Mediengeschichte des 17. Jahrhunderts zu zeichnen, die „gewöhnlich ganz im Schatten des folgenden Säkulums liegt“ (x), obwohl hier jene „Prozesse ihre Wurzeln [haben], die schließlich zur modernen Gesellschaft und zu den umfassenden Kommunikationsmöglichkeiten führen, die noch unsere Gegenwart bestimmen“ (ebd.).

Im ersten Teil des Bandes wird in sechs Beiträgen das Verhältnis der ersten Zeitungen zu ihren Vorgängermedien – wie den geschriebenen Zeitungen, den Flugdrucken, den Neuen Zeitungen, den Schreibkalendern oder den Meßrelationen – betrachtet. Dieser erste Teil verdeutlicht nicht allein, wie die gedruckten Zeitungen die „alten“ Medien allmählich aufgrund ihrer größeren Aktualität, ihrer Exklusivität und ihres niedrigeren Preises verdrängen, sondern auch, wie sie – wenigstens zunächst – in ihrer Informationsbeschaffung und -weitergabe voneinander profitierten. Holger Böning zeigt in seinem Vergleich von handgeschriebenen und gedruckten Zeitungen beispielsweise, dass die geschriebene Zeitung der gedruckten gegenüber keineswegs defizitär sein musste, sondern lange Zeit neben ihr koexistierte.

Stellt Holger Böning in seiner Betrachtung das Verhältnis von handgeschriebener und gedruckter Zeitung bereits in einen größeren Zusammenhang, indem er auch die Umstände der Zeitungsproduktion und -rezeption in seine Untersuchung einbezieht, so werden derartige – im ersten Teil nur angeschnittene – Fragen bezüglich der Nachrichtenbeschaffung und der Nachrichtenzentren in den beiden Beiträgen des zweiten Teils vertieft. Während Martin Welke am Beispiel des Wolfenbütteler Aviso nicht allein das „Elend der pressehistorischen Forschung in Deutschland“, sondern auch die Bedeutung der Post- und Botenkurse hervorhebt, widmet sich Susanne Friedrich der Frage nach dem wechselseitig beobachtenden „Verhältnis von gedruckter Zeitung und Immerwährenden Reichstag“.

Lässt sich hier bereits eine gewisse öffentliche Kontrollfunktion der Zeitung erahnen, so finden sich im dritten Teil des Bandes weitere fünf Beiträge, die aufzeigen, dass „die Geburt der wöchentlich erscheinenden Zeitungen […] einen wesentlichen Schritt zu einem Informations- und Kommunikationssystem [bedeutet], ohne das die Wandlungen am Ende der Frühen Neuzeit und die Moderne nicht vorstellbar sind“ (x). Im Mittelpunkt dieser Texte steht die Frage danach, welchen Beitrag die Zeitung zur „Entstehung eines neuen Mediensystems“ im 17. Jahrhundert leistete. Zeigte sich bereits im ersten Teil des Bandes vor allem an Klaus-Dieter Herbsts Beitrag, dass die Zeitung Einfluss auf die inhaltliche Entwicklung von bereits vorhandenen Medien nahm, so wird in diesem dritten Teil nicht zuletzt herausgearbeitet, wie neue Mediengattungen wie Zeitungsextrakte (Esther-Beate Körber) entstanden oder sich serielle Chroniken (Sonja Schultheiß-Heinz) wandelten. Hervorgehoben wird hier, dass sich das mediale Angebot nicht zuletzt deshalb deutlich erweiterte, weil sich durch die Entstehung und Entwicklung des Zeitungswesens die Ansprüche der Leser an Information und Kommunikation veränderten.

Das steigende Bedürfnis nach Bildung und Information in Abhängigkeit von der Zeitung findet auch Anklang in den Beiträgen des vierten Teils, die sich in unterschiedlichster Weise mit „Zeitung und Wissensordnung“ auseinandersetzen. So beschäftigt sich beispielsweise Astrid Blome mit der Bildungsfunktion der Zeitung und ihrem Einsatz in Schule und Universität. Flemming Schock hingegen widmet sich dem Thema der Wissensvermittlung durch die Zeitung, indem er „die Entstehung und Entwicklung der frühen populärwissenschaftlichen Zeitungen [skizziert]“ (xiv). Interessant ist auch der Beitrag Christian Meierhofers, der anhand zeitgenössischer Äußerungen nicht allein ihre Bildungsfunktion, sondern ihren Einfluss auf eine sich verändernde Vermittlung der Wissensinhalte betrachtet.

In einem letzten Teil des Bandes wird die „Kontrolle und Instrumentalisierung der Zeitung“ durch Obrigkeiten am Beispiel von Wien (Wolfgang Duchkowitsch) und Frankreich (Anuschka Tischer) thematisiert.

In dieser perspektivischen und methodologischen Vielfalt der Beiträge bietet der Sammelband einen umfangreichen Überblick über die Entwicklung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert und ihre Verflechtung mit den zeitgenössischen medialen, kommunikativen, politischen und kulturellen Prozessen. Ein abschließender Beitrag, der die ersten Zeitungen in einen größeren Zusammenhang stellt, indem er beispielsweise an ihrem Beispiel Parallelen zu den heutigen Massenmedien zieht und Strukturen herausarbeitet, wie „neue“ Medien bislang gültige Wissens- und Weltordnungen verändern, fehlt leider. Stellen die Herausgeber einleitend zudem fest, dass „der Beitrag der Zeitungsschreiber zur Entwicklung der deutschen Sprache […] noch kaum gewürdigt und schwer zu überschätzen ist [...]“ (x), so wäre es – vor allem für sprachwissenschaftlich Interessierte – sicherlich erfreulich gewesen, einen Beitrag zur Sprache der ersten Zeitungen zu finden. Auch wäre ein gesondertes Literaturverzeichnis hilfreich, die in den Fußnoten dargebotene Breite an Forschungsliteratur und Quellen besser überblicken zu können.

Diese Punkte sollten jedoch weniger als Kritik denn als Anregung zur weiteren Forschung zu verstehen sein, denn der Sammelband bietet ohnedies einen bemerkenswerten Beitrag zur Medien- und Kommunikationsgeschichte, wobei auch andere wissenschaftliche Disziplinen von den Forschungsergebnissen – vor allem im Hinblick auf das Wechselverhältnis von Zeitung und Politik – profitieren können.

Literatur:

Bauer, Volker/ Böning, Holger (Hg.): Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert. Ein neues Medium und seine Folgen für das Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit. Bremen 2011.

Löffler, Martin (1963): Der Verfassungsauftrag der Presse. Modellfall Spiegel. In: Jürgen Wilke (Hg.): Pressefreiheit. Darmstadt 1984, 343-356.

Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien. Wiesbaden 42009.

Stieler, Kaspar: Zeitungs Lust und Nutz. Hamburg: Benjamin Schiller, Buchhändler im Dohm 1695.