So wenig es uns auch im Deutschen an Anweisungen zur Orthographie fehlet, so sehr hat es bisher doch noch an einem Buche dieser Art gemangelt, worin die Grundsätze, nach welchen wir uns im Schreiben richten auf eine systematische Art wären behandelt worden.' (Johann Christoph Adelung: Vollständige Anweisung zur deutschen Orthographie nebst einem kleinen Wörterbuche für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung. Leipzig 1812 [1788], o.S.) Spätestens seit dieser Feststellung Adelungs wird Orthographie immer wieder zum Thema von Publikationen, wobei sowohl der didaktische als auch der analytische Aspekt zum Untersuchungsanlass genommen wird.
Ralf Osterwinters Buch widmet sich dem Thema 'Rechtschreibreform' auf zwei Ebenen. Auf der ersten Ebene analysiert er zwei materiale Ausprägungen von Orthographie: In Kapitel zwei ist die sogenannte Hausorthographie der deutschsprachigen Presseagenturen sein Untersuchungsgegenstand und in Kapitel drei die Umsetzung dieser Hausorthographie durch die Redaktion der FAZ. Auf der zweiten Ebene, die durch den Untertitel ausgedrückt wird, bezieht er auf der Grundlage seiner Analyse-Ergebnisse Stellung innerhalb des Diskurses um die Rechtschreibreform.
Seine als ehemaliger Dudenredakteur ausgewiesene grammatische Fachkompetenz bildet vor allem für die Analyse der Hausorthographie eine treffliche Grundlage. Seiner Einschätzung nach 'scheint [es] offensichtlich, dass die beteiligten Journalisten mit der Ausarbeitung einer gemeinsamen Presseorthographie fachlich überfordert waren' (S. 165). Auch die Anwendbarkeit auf journalistisches Schreiben muss nach Osterwinter 'skeptisch bis ablehnend' (S. 162) ausfallen.
Die Anwendung der neuen Rechtschreibung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung analysiert Osterwinter anhand eines Korpus, das aus den Titelseiten der Donnerstagsausgaben der FAZ vom 5. August 1999 bis 27. Juli 2000 besteht. Insgesamt umfasst das Korpus 649 Artikel, 'die besonders im Blickpunkt des Leserinteresses stehen und auf deren formalsprachliche Korrektheit ' größtmögliche Sorgfalt verwendet wurde' (S. 189f.). Sein übergeordnetes Erkenntnisinteresse besteht darin, zu prüfen, ob 'die einjährigen Erfahrungen, die bei der FAZ mit der Anwendung der reformierten Rechtschreibung gemacht worden sind, den gravierenden Schritt einer Rückumstellung [rechtfertigen]' (S. 194).
Die Fragestellung führt hier zu mehr oder weniger belegbaren Spekulationen: Eine bestimmte Schreibung 'dürfte auf Unkenntnis zurückzuführen sein', andere Schreibweisen 'gehen mutmaßlich' auf ein psychologisches Phänomen zurück (vgl. S. 221). Die Analyse der FAZ-Artikel soll auch quantitativ erfolgen (S. 197). Allerdings zeigen Ergebnisdarstellungen wie die folgende einen korpuslinguistisch eher bedenklichen Umgang mit mengenbasierten Aussagen: 'Die relativ häufigen Belege für 'Klub' oder 'Kampagne' deuten auf den Wunsch hin, Assimilationsformen ' beizubehalten' (S. 220f.). Zu beiden Wörtern wird jedoch nur eine absolute Häufigkeit angegeben. Als Leser ist es also unmöglich zu beurteilen, ob diese Schreibweisen nun häufig oder selten anzutreffen sind, weshalb auch keinerlei Trend abgeleitet werden kann.
Auch in diesem Teil seiner Untersuchung kommt Osterwinter zu einem kritischen Urteil: 'In einer Einführungs- bzw. Übergangsphase wären deutlich mehr Interferenzen und Übergeneralisierungen zu erwarten gewesen '. Insgesamt scheint die Umsetzung der reformierten Orthographie im professionellen Gebrauchskontext erheblich weniger problematisch verlaufen zu sein, als es von der FAZ-Redaktion im Zuge ihres Rückkehrbeschlusses suggeriert wird.' (S. 326)
Als ehemaliges Duden-Mitglied scheint sich Osterwinter auf der zweiten Ebene seiner Untersuchung in der Pflicht zu sehen, die Reform zu verteidigen. Ob es einer solchen Verteidigung Jahre nach der Umstellung auf die reformierte Schreibung noch bedarf, mag bezweifelt werden. Die Analyse der Hausorthographie und ihre Umsetzung wäre bereits Untersuchungsanlass genug gewesen.