Das Werk erscheint in der Reihe 'Geschichte erzählt', die von Kai Brodersen u.a. herausgegeben wird ' und es ist gut erzählte Geschichte! Das Buch bietet fundierte Basisinformationen zum Thema Pilgerschaft im Allgemeinen und zur Geschichte der Pilgerreisen ins Heilige Land im Besonderen.
Unter dem Thema: 'Heil, das abfärbt: Von heiligen Orten und ihrer Wirkmächtigkeit' stellt die Verfasserin (Vf.) das konzeptionell Neue der christlichen Vorstellung von heiligen Orten vor: Heilig ist ein Ort nicht mehr per se sondern aufgrund dort stattgefundener Ereignisse sowie durch das Gedenken der Gläubigen an diesem Ort. 'Heilig sind solche Orte, an denen das Handeln Gottes in der Welt sichtbar wurde...' (S. 7). Nach dem Abklingen der Erwartung der unmittelbaren Wiederkunft des Auferstandenen, der sog. Naherwartung, richtete sich das Augenmerk der Gläubigen vermehrt auf die Orte, an denen Jesus selbst oder seine Nachfolger der ersten Stunde gelebt und gewirkt haben ' oder an denen sie gestorben oder begraben sind. Vom Besuch dieser Orte erwartete man, an der Heiligkeit der Orte, die durch die ehemals dort lebenden (oder dort begrabenen) Personen geheiligt wurden, zu partizipieren ' und suchte sie daher auf. Um sich dieses Heils dauerhaft zu versichern, trachtete man zunehmend danach, irgendwelche Stoffe oder Materialien von dort mit nach Hause zu nehmen, nicht als Souvenir zum vorzeigen, sondern eben zur dauerhaften Gegenwart des Heiligen für sich und die Angehörigen. Dies geschah in Form der Reliquien unterschiedlichster ' heute z.T. skurril anmutender Art.
Das zweite Kapitel informiert über die Anfänge der Wallfahrt ins Heilige Land: 'Palästinareisen und Legenden: Der Wallfahrtsgedanke entsteht'. Es wird dabei deutlich, dass keineswegs alle Fahrten dorthin, insbesondere in den Anfängen der Bewegung, als Akt der Frömmigkeit zu verstehen sind: 'Soweit sich dies erkennen lässt, stand Wissbegier in biblischen Fragen weit eher im Zentrum des Interesses als Gebet und Frömmigkeitsübungen an den heiligen Stätten' (S.19). Die in der späteren Literatur als Pilgerschaft stilisierte Reise der Kaiserinmutter Helena, in deren Verlauf sich die Auffindung des wahren Kreuzes ereignet, wird von der Autorin ' vermutlich zu Recht ' als mögliche Propagandamaßnahme des Kaiserhauses dargestellt.
Kritik am Wallfahrtwesen stellte sich schon früh ein: 'Sucht das himmlische Jerusalem: Wallfahrtskritik'. Insbesondere im Mittelalter wird vermehrt gegen pilgernde Mönche opponiert ' aber auch gegen fromme und unternehmungslustige Frauen auf der Pilgerschaft ' wie etwa die sich selbst als 'neugierig' bezeichnende Klosterfrau Egeria, der wir einen leider nur noch bruchstückhaft vorhandenen Reisebericht verdanken ('Zwischen Römischem Reich und muslimischer Expansion') . Möglicherweise käme man an dieser Stelle nicht über Spekulationen hinaus, aber vielleicht wäre in diesem Kontext doch auch die Frage zu stellen, in wie fern Pilgern zu dieser Zeit auch ein Stück Emanzipation bedeutete.
Das Kapitel 'Zu Lande oder zu Wasser? Pilgerwege ins Heilige Land' zeigt die Reisewege auf, die die Pilger nutzten. In einem späteren Kapitel (Pilgerreisen 'all inclusive': Die Zeit der Mamluken') wird noch einmal auf dieses Thema eingegangen: Im ausgehenden 14. und vor allem im 15. Jh. existiert offensichtlich ein regelrechter Pauschaltourismus, v.a. organisiert durch die venezianischen Handelshäuser.
In dem eben schon angesprochenen Kapitel 'Zwischen Römischem Reich und muslimischer Expansion' wird die beginnende Entwicklung der muslimischen Herrschaft in der nötigen Ausführlichkeit dargestellt. Zur besseren Orientierung wäre allerdings gerade für diesen Bereich eine tabellarische Übersicht der aufeinander folgenden Epochen und muslimischen Herrscherhäuser ' evtl. im Anhang ' sinnvoll gewesen. Wer nicht mit der Materie vertraut ist, verliert zwischen Arabern, Abbasiden, Seldschuken und Fatimiden, Mamluken und Osmanen leicht den Überblick. Auch ein Satz wie 'Auf der arabischen Halbinsel war in Mekka und Medina der Kaufmann Mohammed als Prophet aufgetreten - so die traditionelle Forschungsmeinung ' und hatte eine neue Religion begründet: den Islam' (S. 76) stiftete eher Verwirrung, zumal in der zugehörigen Fußnote ebenfalls keine Begründung für die in der Aussage implizierten Kritik an der geltenden Forschungsmeinung erfolgt. Hier wäre für jene, dies sich eingehender informieren wollen, zumindest der Verweis auf ein einschlägiges (neueres) Standartwerk wünschenswert. Trotz der klaren Unterscheidung des Mönchtums zwischen Eremiten und Koinobiten im Exkurs (S. 60) geht es in dem dazugehörigen Artikel dann doch wieder etwas ungeordnet zu, wenn von Asketen, Mönchen und Eremiten gesprochen wird.
In dem schon kurz erwähnten Abschnitt über die Zeit der Mamluken versucht die Vf. aus den drei überlieferten Pilgerberichten von Felix Fabri, Bernhard von Breydenbach und Konrad Grünemberg einen Ablauf einer spätmittelalterlichen Jerusalem Wallfahrt zu rekonstruieren ' es wird, besonders auch durch die eingebauten wörtlichen Zitate, ein spannender Einblick in die Welt des Pilgerns daraus.
Chronologisch fortgeführt wird dieser Abschnitt mit der Zeit der Kreuzzüge: Wallfahrt in Zeiten des Krieges: Die Epoche der Kreuzzüge. Der Begriff Kreuzzug ist laut Vf. relativ jung und geht auf Leibniz (17.Jh.) zurück. Der Grund für den ersten Kreuzzug ist zunächst einmal politischer Natur: Kaiser Alexios I Komnenos bat um 1095 im Westen um militärische Hilfe gegen die von Osten andrängenden Seldschuken. Dass aus diesem Hilferuf eine derartige Bewegung hervorgehen würde, war für Byzanz völlig unerwartet. (S 94)
Das Werk schließt mit dem kurzen Kapitel: Von der Wallfahrt zur Bildungsreise: Mittelalterliche Adelsreisen.
Die Aufmachung des Buches ist ausgesprochen lesefreundlich, die Kopfzeilen mit der Kapitelüberschrift auf jeder Seite dienen der schnellen Orientierung in den Anmerkungen. Die abgedruckten zeitgenössischen Illustrationen hätte man vielleicht noch etwas umfangreicher kommentieren können. Besonders positiv hervorzuheben sind die kleinen Exkurse, die sich mit Themen wie z.B. Ablass, etymologische Herleitung des Wortes 'Pilger', den verschiedenen Wurzeln des ägyptischen Mönchtums oder auch den Kreuzfahrern befassen.
Die Lesefreundlichkeit könnte freilich durch ein kleines Begriffslexikon im Anhang gesteigert werden, in dem auch auf diese Exkurse verwiesen würde. Ebenso wäre es wünschenswert, wenn die genannten Geldbeträge in irgendeiner Weise durch Äquivalente erläutert würden, da sie sonst weitgehend nichts sagend bleiben. Was kosteten ein Huhn, ein Schaf, ein Rind oder ein Sack Getreide zu dieser Zeit?
Trotz dieser kleinen Hinweise und Einschränkungen ist das Werk für Einsteiger in die Materie ausgesprochen lesenswert ' und gut verständlich geschrieben.