Schlesien als Schnittpunkt verschiedener Kulturen

Die schlesische Kulturgeschichte kann mit zahlreichen Gründen als regionales Produkt dreier Reichs- und Nationalgeschichten, nämlich chronologisch als Ergebnis der polnischen und der böhmischen Krone sowie des Alten Reiches bzw. Deutschen Reiches und nach 1945 polnischer und tschechischer Staatlichkeiten betrachtet werden. Diese wechselnden verfassungsrechtlichen, sprachlichen und kulturellen Einflüsse können methodisch als kulturelle Austauschprozesse erfasst werden, der vorliegende Band beschreibt Schlesien in acht Beiträgen als Musterregion für Kulturtransfer- und Übersetzungsprozesse.
Joachim Bahlcke (Stuttgart) zeichnet mit den böhmisch-schlesischen politischen Beziehungen des 16. und 17. Jahrhunderts (S. 3-26) Austauschprozesse in einer Epoche nach, die in der deutschen kulturellen Erinnerung weitgehend vergessen sind: Als verfassungsrechtlicher Teil der Krone Böhmen besaß Schlesien ungewöhnlich dichte Beziehungen nach Böhmen, die aus der deutschen Perspektive oft nicht angemessen berücksichtigt werden. Einem ähnlich großen Thema, nämlich einer Religionsgeschichte Schlesiens widmet sich ein Beitrag von Joachim Köhler und Rainer Bendel (S. 27-48), beide ausgewiesene Kenner der schlesischen Kirchengeschichte. Beide Beiträge eignen sich gut als Einführungen in komplexe Themen der Regional- wie Kulturtransfergeschichte.
Erheblich kleinräumigeren Gegenständen widmen sich die weiteren Beiträge: Libu¨e Spáčilová beschreibt die Olmützer Gerichtsordnung Heinrich Polans als Rechtstext (S. 49-62), Siegfried Ulbricht zeichnet die Kulturgeschichte des Jauerniger Ländchens nach, einer Grenzregion, die durch kulturgeographische Gegebenheiten ein kleinregionales Eigenleben und eine Distanz zur böhmischen wie zur schlesischen Geschichte besaß (S. 63-100). Einer schlesischen Adelsfamilie, den Lichnofskys, ist die Studie von Iveta Rucková gewidmet (S. 101-116). Daniela Pelka beschreibt das Untersuchungsdesign einer kontakt- und korpuslinguistischen Studie zu Oberschlesien, einer Region, die durch tschechische, deutsche und polnische Einflüsse gleichermaßen geprägt war (S. 125-146). Am Ende des Bandes steht eine Studie zur deutschen Sprachinsel Kostenthal in Oberschlesien, die die Sprachkontakte beispielhaft exemplifiziert (S. 147-156). Abgerundet wird der Band durch Rezensionen von deutschen, polnischen und vor allem tschechischen Neuerscheinungen zur schlesischen Geschichte.
Insgesamt exponiert der Band mit den böhmisch-schlesischen Kulturkontakten eine Austauschrichtung, die durch den 'deutschen Blick' auf Schlesien oft vergessen wird, aber kulturhistorisch von großer Bedeutung ist und die deshalb unbedingt stärker zur Kenntnis genommen werden sollte.