Luise Hirsch befasst sich mit der Rolle deutsch-jüdischer und russisch-jüdischer Frauen als Vorreiterinnen für das Frauenstudium in Deutschland und stellt die These auf, dass ohne ihr praktisches Durchsetzten ein 'Frauenstudium in Deutschland nicht möglich gewesen' (S.19) wäre. Die auffällige Mehrheit jüdischer Frauen (in Berlin waren zwischen 1896 und 1918 etwa ein Viertel der Studentinnen Jüdinnen), die ein Studium anstrebten, führt sie dabei auf eine 'spezifische symbolische Ordnung des rabbinischen Judentums' (S.16) zurück. Neben einer Erforschung der Gründe hierfür sollen die jüdischen Studentinnen aus der ersten Generation der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin biographisch porträtiert werden.
Ihr Material bezieht Hirsch zum einen aus dem Register der dortigen Gasthörerinnen von 1896 bis 1908 sowie nach 1908 aus dem Immatrikulationsregister. Überdies wertet Hirsch Quellen wie Memoiren und Biografien aus, um auf die biografischen Hintergründe schließen zu können. Dabei unterscheidet sie zwischen jüdischen Studentinnen aus Deutschland und Russland, da sich die Hintergründe beider Gruppen sehr unterschiedlich gestalten.
Zunächst widmet sie sich den Jüdinnen aus Russland an deutschen Universitäten. Nach einer Einführung in den historischen Kontext über die Studienbedingungen für Frauen und Juden in Russland, untersucht Hirsch kulturelle, soziale und ökonomische Bedingungen und Gründe, warum jüdische Frauen aus Osteuropa zu einem Studium nach Berlin kamen. In einem zweiten Kapitel werden weitere Gründe in der jüdischen Tradition gesucht. So spricht Hirsch vom 'Vorteil der Marginalität' und geht auf die Hochschätzung des Lesens sowie auf die Bedeutung der Frauen in der Textkultur des rabbinischen Judentums ein, innerhalb derer sie als Trägerinnen einer Lese- und Textkultur galten, sowie schließlich auf die Tradition von Frauenerwerbstätigkeit im aschkenasischen Judentum. So waren diese Frauen häufig im Handels- und Textilgewerbe tätig. Hirsch vertritt die These, dass es von dort nur noch ein kleiner Schritt zu einer akademischen Ausbildung war. Davon ausgehend, deutet sie die russisch-jüdischen Frauen als Akteurinnen eines kulturellen Austausches, als Kulturvermittlerinnen, die eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Erkämpfung des Frauenstudiums darstellten.
Anschließend wendet sich Hirsch den deutsch-jüdischen Studentinnen zu. Hier kann sie auf viele Memoiren zurückgreifen. Dies schlägt sich in Form einer detaillierten Nennung der sozialen, kulturellen und ökonomischen Hintergründe hinsichtlich der Herkunft deutsch-jüdischer Studentinnen nieder.
In einer allgemeinen Darstellung über die Öffnung der Universitäten gegenüber Frauen im europäischen Vergleich beschreibt Hirsch den Kampf um das Frauenstudium und die Lage jüdischer Studenten an deutschen Hochschulen. Schließlich geht sie auf die jüdischen Frauen und ihre Rolle als Pionierinnen des Frauenstudiums ein. So sind es bei den Gasthörerinnen zwischen 1896 und 1908 29 % jüdische Frauen, bis 1917 dann noch einmal etwa 21 % regulär immatrikulierte Studentinnen. Vor allem in den frühen Jahrgängen ist der Anteil russisch-jüdischer Frauen hoch. Im Anschluss untersucht Hirsch Hintergründe bezüglich der Herkunft jüdischer Studentinnen, um Rückschlüsse auf die Gründe, die zu der Entscheidung eines Studiums führen, zu ziehen.
Darauf aufbauend geht Hirsch auf Erfahrungen, Fächerwahl, Studienverlauf, Verhältnis zu den Kommilitonen sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und wirtschaftliche Verhältnisse der jüdischen Studentinnen ein und konstatiert, dass russisch-jüdische Studentinnen eher 'nützliche' Fächer, wie Medizin, wählten. Nicht-jüdische Studentinnen wählten dagegen eher philologische Fächer, da diese Studentinnen wohl den Lehrerinnenberuf anstrebten, der Jüdinnen verwehrt blieb. Am Schluss geht Hirsch vor allem auf die Lebensläufe der deutsch-jüdischen Studentinnen während der NS-Herrschaft ein und rundet ihre Arbeit mit etlichen Kurzbiographien ab.
Kritisch an der Analyse anzumerken ist die Kapiteleinteilung, die nicht immer schlüssig scheint. Zudem wird die Frage des Kulturtransfers zwar für die russisch-jüdischen Studentinnen diskutiert, jedoch nicht im gleichen Maße für die deutsch-jüdischen Studentinnen. Dadurch ergibt sich der Eindruck eines 'Ungleichgewichts', der aufgrund eines fehlenden Schlusswortes, das diese Elemente bündeln könnte, nicht aufgehoben werden kann.
Hirsch ist es zu verdanken, dass sie den Blick auf die Gruppe der bislang wenig beachteten jüdischer Studentinnen vor allem aus Osteuropa lenkt und ihre Bedeutung für das Frauenstudium herausarbeitet. Sie legt einen anschaulich verfassten und sehr lesenswerten Text vor, der aufgrund der zahlreich zitierten Memoiren ein facettenreiches Bild der verschiedenen Hintergründe der jüdischen Studentinnen liefert und die kulturellen und sozialen Bedingungen ihrer Lebenswelt anschaulich macht.