'Wie war es eigentlich, wenn ein Mensch in der Antike krank wurde? Welche Möglichkeiten der Heilung gab es für ihn? Was wussten die Ärzte in der Antike über Funktionen von Körperteilen und Organen?' (http://www2.onb.ac.at/siteseeing/magie/index.htm) ' diesen Fragen ging die 2007 im Papyrusmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek stattgefundene Ausstellung 'Zwischen Magie und Wissenschaft. Ärzte und Heilkunst in den Papyri aus Ägypten' nach, zu der begleitend die hier zu besprechende Publikation erschien.
Die für die Ausstellung und den Katalog ausgewählten Quellen zeichnen ein Bild über Kranksein und Heilen in Ägypten von hellenistischer (4.-1. Jh. v. Chr.) bis arabischer Zeit (ab 7. Jh. n. Chr.). Sowohl schriftliches Material (vorrangig koptische, griechische und arabische Papyri) als auch diverse archäologische Fundstücke (z. B. medizinische Geräte, Statuetten, etc.) berichten vom Leben der Ärzte und Patienten, geben Auskunft über Medikamente und deren Inhaltsstoffe sowie ihrer Applikation.
Die vorliegende Publikation untergliedert sich in einen theoretischen Part mit verschiedenen Beiträgen international renommierter Wissenschaftler und einem Katalog über die Ausstellungsstücke. Die Artikel wurden in englischer und deutscher Sprache verfasst. Den englischen Beiträgen folgt eine deutsche Zusammenfassung. Den Band schließen eine Auflistung von Ingredienzien medizinischer Heilmittel und deren Verwendung und Wirkung sowie sieben Farbtafeln ab.
Einem kurzen Vorwort (S. VII) folgt die Einleitung von Cornelia Römer (S. 1' 3), in der die Problematik 'Magie und Wissenschaft' diskutiert wird. Die moderne Trennung von rein Medizinischem und rein Magischem bestand für die Menschen in der Antike nicht. Vielmehr geht die Autorin davon aus, dass die Grenzen dieser beiden Aspekte in der damaligen Zeit fließend waren, denn '[d]er Arzt, der eine Rezeptur verschrieb, konnte wohl auch gleichzeitig ein Amulett anfertigen. Es war das Wissen, sei es um die richtige Mischung von Ingredienzien eines Rezeptes, sei es um die richtigen Zauberwörter, das einen Heiler ausmachte' (S. 1).
Vivian Nutton gibt in seinem Artikel über 'Greco-Roman Medicine and the Greek Papyri' (S. 5-12) eine Einführung in die Wissenschaftsgeschichte. Er unterstreicht den hohen Stellenwert der Papyri innerhalb der Medizingeschichte, deren Funde in den Abfallhaufen des griechisch-römischen Ägyptens das bis Ende des 19. Jahrhunderts vorherrschende Wissen über die antike Medizin grundlegend veränderte. Dem englischen Text folgt eine deutsche Übersetzung durch Cornelia Römer ('Die Medizin der Griechen und Römer und die griechischen Papyri' [S. 13-21]).
Einen vertiefenden Einblick in die medizinische Praxis bietet der Beitrag von Isabella Andorlini über 'Prescription and Practice in Greek Medical Papyri' (S. 23' 33). Die Papyri geben Auskunft über Ausbildungsdauer und Kosten, um den Arztberuf zu erlernen. Sie bezeugen das Miteinander und das gegenseitige Beeinflussen der ägyptischen und griechischen Kultur auf dem Gebiet der Medizin. Des Weiteren zeigen die Rezepte das hohe Niveau und profunde Wissen der Ärzte über die Ingredienzien und derer Wirkung.
David Leith beschreibt in seinem Artikel 'The Hippocratic Oath in Antiquity and on Papyrus' (S. 35' 42) ausführlich die Entstehung, Verbreitung und bisherige Interpretationen des bis heute gültigen hippokratischen Eides.
Einen Überblick über die 'Heilkunde im Alten Ägypten' erhält der Leser in dem Beitrag von Hans-Werner Fischer-Elfert (S. 43' 54). Es werden kurz die medizinischen Papyri des pharaonischen Ägyptens chronologisch vorgestellt, die Ursachen von Krankheiten diskutiert, die medizinischen Texte in ihrem Aufbau und auf ihre Ingredienzien untersucht. Eine besondere Problematik liegt in der Zuordnung der ägyptischen Bezeichnungen: zum einen konnten bislang nur ein geringer Prozentsatz der in den Rezepten genannten pflanzlichen Bestandteile botanisch eindeutig identifiziert werden, zum anderen wurden Deck- bzw. Tabunamen für die Benennung der Ingredienzien verwendet. Paläopathologische Untersuchungen an Mumien erweitern unsere Kenntnisse über Krankheiten im Alten Ägypten. Eine ausführliche Bibliografie rundet diesen Beitrag ab.
Fritz Mitthof untersucht, inwieweit es schon 'Forensische Medizin im römischen Ägypten' (S. 55' 63) gab. Überliefert sind bislang ca. 30 Urkunden, welche die Untersuchung verletzter oder kranker Personen im Auftrag von Verwaltung- bzw. Justizbehörden zum Inhalt haben. Die sogenannten 'Öffentlichen Ärzte' , vermutlich von der öffentlichen Hand besoldet, erstellten für Gerichtsverhandlungen Gutachten über Verletzungen, die zum Großteil auf körperliche Gewaltdelikte zurückzuführen waren.
Über Medizin in den arabischen Papyri ist bislang wenig bekannt, was ' so Lucian Reinfandt ' auch am Mangel an Bearbeitern dieses Themas liegen mag. Er betritt so mit seinem Artikel über 'Medizin und Alltag in den arabischen Papyri' (S. 65' 78) wissenschaftliches Neuland und gibt einen Überblick über die Medizin des islamischen Ägyptens vom ca. 9.' 14. Jahrhundert, welche auf altägyptischen Kenntnissen, griechischer Tradition und der 'Medizin Muhammads' , eine spezifisch islamisch intendierte Sammlung prophetischen Heilwissens (S. 66), beruhte.
Der Artikel von Michael Urban, der 'Das Röntgenbild der Mumie' (Kat. Nr. 46) (S. 79' 81) auswertet, bildet quasi den Übergang vom theoretischen Part des Ausstellungskataloges zur Präsentation der Fundstücke. In dem Beitrag werden exemplarisch Methoden der paläoanthropologischen Untersuchung vorgestellt, die dazu dienen, die verschiedenen Paläopathologien (Krankheiten, Verletzungen etc.) zu erkennen und am Fallbeispiel einer Mumie vorgestellt. Die computertomografische Untersuchung der Mumie ergab, dass es sich hierbei um eine Frau handelte, die bereits in jungen Jahren starb. Abgesehen von den postmortalen Blessuren konnte eine Fraktur des linken Oberarmknochens diagnostiziert werden.
Der anschließende Katalogteil ist in verschiedene Kategorien untergliedert (wissenschaftliche Medizin, Ärzte, Arzneimittel, Hygiene, Krankheiten und Verletzungen, magische Medizin, Tiermedizin), denen die Ausstellungsstücke zugeordnet werden. Es folgt eine Auflistung der Ingredienzien in den Rezepten, die auch bei dem Pharmakologen Dioskurides mit ihrer Verwendung und Wirkung erwähnt sind. Abgerundet wird der Ausstellungskatalog mit dreizehn Farbabbildungen.
Auf ca. 140 Seiten erhält der Leser einen informativen Überblick über den medizinischen Alltag in Ägypten, wobei der Schwerpunkt nicht ' wie sonst üblich ' auf der altägyptischen Heilkunst liegt. Die Publikation kann daher als wichtiger Beitrag gesehen werden, der zum einen die Brücke zwischen der Erforschung altägyptischer und griechisch-römischer Medizin schlägt, zum anderen den Fokus von der Medizin Griechenlands auf die griechische Medizin in Ägypten lenkt. Der Band schafft den Spagat zwischen Wissenschaft und Wissensvermittlung an eine breite Öffentlichkeit, in dem u. a. die englischsprachigen Beiträge übersetzt oder mit einer deutschen Zusammenfassung versehen werden. Um ein Publikum aus dem nicht deutschsprachigen Ausland stärker ansprechen zu können (vgl. S. VII), hätte man jedoch auch alle deutschsprachigen Beiträge mit einer englischen Zusammenfassung versehen sollen.
Eine kleine Anmerkung gilt einer reinen Formalität: Bei der Verwendung von altägyptischen und antiken Fachtermini wäre es sicher gut gewesen, einem einheitlichen System zu folgen (z. B. swnw vs. hekau). Bisweilen wäre es ratsam gewesen, vor allem in Anbetracht auf die anvisierte Leserschaft, den einen oder anderen Begriff kurz bzw. einleitend zu definieren/charakterisieren. Letztlich sind dies aber Marginalien, die den Wert des vorliegenden Buches in keinster Weise schmälern.