Bild-Buchstaben und symbolische Zeichen
Die HerausBILDung der Schrift in der hohen Kultur Altägyptens

Wie ist Schrift entstanden? Woher kommt sie? Wer hat sie erfunden? Ist Schrift überhaupt erfunden worden? Welche Vorformen von Schrift gibt es, wie sahen die aus, und wie haben sich die Schriftzeichen entwickelt? Diesen und weiteren Fragen geht Ludwig D. Morenz in seiner Schrift Bild-Buchstaben und symbolische Zeichen exemplarisch nach.

Sein umfassendes Werk setzt sich mit der Schriftentstehung im Alten Ägypten auseinander, wobei immer wieder Kulturkontakte berücksichtigt und hilfreiche Parallelen zu benachbarten und anderen Kulturen (Sumerer, Azteken und Mixteken, Kopten) gezogen werden. Die Situation im Niltal im 5./4. Jt.v.Chr. mit ihren verschiedenen Sprachtraditionen wird ebenfalls mit in die Überlegungen der Schriftenstehung eingebracht. Es wird deutlich, daß zwar Anregungen aus dem nicht-ägyptischen Bereich in die ägyptische Schrift eingeflossen sind, daß aber die ägyptische Schrift eine in ihrem eigenen Horizont entwickelte Kulturform ist. 'Es wurde kein Schriftsystem unmittelbar übernommen, sondern ein eigenes geschaffen.' (S. 234).

Dieses Schaffen und Kreieren der Schrift fand im Rahmen einer hohen Elite statt, die sich um den König in stadtähnlichen Strukturen formierte. Um Schrift entstehen zu lassen, ist ein großes Potential an Kreativität, Symbolbildungswillen, Abstraktionsvermögen, Systematisierungswillen und Kombinationsfähigkeit grundlegend. Vor allem die Berufgruppen der Administration und der Sakralwelt sind an dem Prozeß der Schriftentwicklung als Denkkollektiv beteiligt. Es ist anzunehmen, daß nur ein geringer Prozentsatz der Ägypter literat war und zwar zu allen Zeiten der ägyptischen Geschichte.

Bei der Entwicklung der Schrift und der lautlichen Umsetzung von Sprache kommen dem Rebusprinzip und der Schreibung von Eigennamen/Fremdnamen in der zweiten Hälfte des 4. Jt.v.Chr. eine besonders tragende Rolle zu. Sie stellen die ersten Möglichkeiten dar, rein lautlich und nicht mehr gegenständliche Sachverhalte/Personen schriftlich festzuhalten. Die bildhaften Zeichen sind dabei völlig desemantisiert. Die frühesten Belegen, in denen die Lautzeichen-Gewinnung nach dem Rebusprinzip greifbar werden, ist in der Zeit Negade IId zu erkennen, also noch im ausgehenden 4. Jt.v.Chr. In dieser Zeit ist ein Nebeneinander von protoschriftlicher Notation bei gelegentlicher Nutzung des Rebusprinzips auf den Siegelabrollungen und teilweise phonetikorientierter Schrift auf den Etiketten erkennbar und zeigt, daß es zeitgleich verschiedene graphische Kodes gegeben hat, aus der sich die spätere ägyptische Schrift entwickelt hat. Sie weist schließlich auch nach der Phase der Schriftentwicklung immer noch ein Miteinander von phonetischer und semographischer Schreibung auf.

Der weite Weg und der langfristige Prozeß der Schriftentwicklung in Ägypten beginnt mit der Proto-Schrift, in der Darstellungen von Objekten abbildlich oder symbolisch verwendet wurden. Darauf folgt eine Phase der Bilder-Laut-Schrift um 3300/3200 v.Chr., die noch ohne Verben, Präpositionen und Partikeln etc. auskommt. Hier ist immer ein Kontextwissen gefragt, um den niedergeschriebenen Text zu verstehen. In dieser Zeit entwickeln sich die Texttypen Litanei und Liste, die sich aber auch im wesentlichen auf das Festhalten von Namen und Titeln beschränken. In dieser Frühschrift wurden Verben/Tätigkeiten immer in Darstellungen bildlich und nicht schriftlich festgehalten, vor allem im Rahmen der Herrscherpräsentation, so z.B. auf den Prunk-Objekten. Dabei ist auffällig, daß die großen Bilder auf den Objekten die Verben darstellen und die kleinen Bilder Schriftzeichen sind, die in einer Art Beischrift Namen und Titel zum Handelnden hinzufügen. Diese Herrscheraktionen besser verständlich zu machen war ein Motor, um die Entwicklung der Schrift weiter voranzutreiben. Von der frühdynastischen Zeit zum Alten Reich ist eine weitere Verfeinerung der Schrift zu beobachten, die es bereits möglich macht, komplexere Aussagen schriftlich zu fixieren. Der erste geschriebene Verbalsatz stammt von einem Siegel aus der Zeit des Peribsen, der späten 2. Dynastie. Die Schrift entwickelt sich in der Zeit von 2800/2700 v.Chr. weiter zu einer Laut-Bilder-Schrift, in der dann auch bereits grammatikalische Elemente greifbar werden. Letztere machen die Fixierung narrativer Texte möglich. Der erste vollständige Text stammt aus der Zeit der frühen 3. Dynastie, der Zeit des Djoser. Dieser Text weist über 60 Wörter auf mit Substantiv, Verb, Adjektiv, Adverb, Demonstrativpronomen, Personalpronomen, Präposition und Partikel. Erst jetzt ist die Phase der Bildung der ägyptischen Schrift als Notationssystem der ägyptischen Sprache abgeschlossen entwickelt (S. 280).

Ein wichtiger Motor der Schriftentstehung waren zum einen die wachsenden Aufgaben der entstehenden Verwaltung So konnte mit dem Repertoire des prä- und protodynastischen Notationssystem Empfänger, Geber und Institutionen festgehalten werden, zum anderen sakrale und ideologische Interessen, besonders die Herrscherpräsentation, wie sich deutlich an den Prunkobjekten zeigen läßt.

Auch wenn kein konkreter Ursprungsort/Erfindungsort der Schrift festgemacht werden kann, was auch nicht unbedingt zwingend ist, so kommt doch, aus der Beleglage heraus den Städten Abydos und Hierakonpolis eine größere Bedeutung innerhalb der Entwicklung der Schrift zu.

An Material untersucht und bewertet L. Morenz in extenso die Schriftzeugnisse (II. Kapitel) aus dem archaischen Friedhof von Abydos, insbesondere aus dem Friedhof U. Außerdem befaßt sich der Autor mit dem frühen Belegmaterial aus Hierakonpolis, Koptos und Buto sowie den sekundären Verwendungen von Schrift auf den Prunkobjekten der proto- und frühdynastischen Zeit.

Die Interpretation der Etiketten aus Abydos mit der Darstellung von Tieren als weitere Herrscherbezeichnungen, erweitert das Verständnis nicht nur dieser Täfelchen, sondern auch der Geschichte dieser Zeit. Die von Morenz nachgezeichnete Abfolge der Herrscherbezeichnungen von der protodynastischen bis zur dynastischen Zeit zeigt deutlich eine Institutionalisierung des ägyptischen Königtums und eine Bereicherung durch eine sakrale Aura. Das Verständnis dieser Epoche wird durch die Interpretation und die Gesamtschau der Täfelchen durch Morenz vergrößert.

Bei der Besprechung der proto-dynastischen Prunkobjekten ist besonders die Lesung und Interpretation des Messergriffes aus Hierakonpolis (Kap. II.3.1.4, Fig. 49) und die ausführliche Besprechung der Inschriften auf den (Proto-)Min-Kolossen (Kap. II.3.2, Fig. 59) hervorzuheben. Beiden werden in ihrer Ikonographie und ihrer Notationen erfaßt sowie kulturpolitisch eingeordnet. Bei den Kolossen ist dabei hervorzuheben, daß die Inschriften eindeutig keinen administrativen Bezug haben, sondern eine sakrale und kommemorative Funktion aufweisen. Letzteres zeigt, daß die monokausalen Erklärungen von Schriftentstehung allein durch ökonomisch-administrative Bedürfnisse zu kurz greifen, da die (Proto-)Min-Kolosse eindeutig mit in die früheste Phase der Schriftentstehung gehören.

Die Besprechung und Interpretation der Städtepalette bzw. Buto-Palette zeigt, daß diesem Prunkobjekt eine bedeutende historische und kulturelle Aussage inne wohnt. Die Vorderseite wird dabei verstanden als eine Art von Beute-Liste (Beute-Bild-Liste) und die Rückseite (Gründungs-Bild-Litanei) als eine Darstellung/Inschrift von sakralen Bezirksgründungen in Buto. Obwohl viele der (Bild-)Zeichen in Verbindung mit Buto gebracht werden können und die Schlußfolgerung und Interpretation der Palette von Morenz einleuchtend sind, bleiben doch die Unklarheiten besonders bezüglich der Eule und dem Ringerpaar meiner Meinung nach schwerwiegender als der Autor es erscheinen läßt.

Bei der Interpretation der Skorpion (II.)-Keule, die über das hinausgeht, was bisher in der Forschung bekannt ist, kommt Morenz zu dem Schluß, daß 'die Bildkomposition ausgesprochen lesbar konstruiert' (S. 154) ist. Diese für ihn offensichtlich erstaunliche Feststellung ist nicht so frappierend wegen der Lesbarkeit der Darstellung an sich, sondern wegen der Datierung der Keule. Letztendlich ist an der Darstellung auf der Keule abzulesen, daß bereits in der frühesten ägyptischen Geschichte Darstellung lesbar konzipiert wurde, wie dies aus der restlichen ägyptischen Geschichte bereits bekannt ist. Darstellungen können Textersatz sein und sind wie Texte konzipiert und gestaltet. Die Lesbarkeit der Darstellungen war ein oberstes Prinzip (dazu P. Vomberg, Das Erscheinungsfenster innerhalb der amarnazeitlichen Palastarchitektur. Herkunft-Entwicklung-Fortleben, in: Philippika 4, Wiesbaden 2004, S. Kap. 3.2.). Die Prunkkeule weist demnach in Bezug auf ihre Bildkomposition schon weitgehend die späteren festgeschrieben Darstellungsregeln in der ägyptischen Kunst auf.

Die Bewertung der Prunkobjekte als ein Ensemble, das inhaltlich eng gefaßt war und kommemorative und sakrale Bedeutung hatte, zeigt wie historisch und kulturell sicher diese Objekte verankert waren. Sie stellen wichtige herrschaftliche Handlungen und Akte dar, die mittels des Prunkobjektes dann auch rituelle Verwendung fanden. Sie belegen eine Art von Herrscherpräsentation als Sieger und Triumphator, die sowohl in bildlicher wie in schriftlicher Form notiert wurde. Bei den Handhabungen dieser Objekte könnte auch an ein Tragen innerhalb einer Prozession gedacht werden, womit auch das Problem mit der Zweiseitigkeit der Paletten, das L. Morenz anspricht, möglicherweise gelöst wäre.

Die drei Figuren auf einem monumentalen Keulenkopf aus Hierakonpolis (Kap. II.4.2.3, Fig. 70) aus dem 4. Jt.v.Chr. werden wegen der spezifischen Körperhaltung und wegen der Herz-Hieroglyphe, die der mittlere auf der Hand trägt, als Tänzer interpretiert. Diese Darstellung ist nicht nur lesbar, sondern auch, wie Morenz es ausdrückt, visuelle Poesie. Die Tänzer sind Schriftzeichen und vor allem auch Bildelement. Der Kern der ägyptischen Darstellungsweise und der Schrift ist damit erfaßt. Diese Art der visuell-poetischen Kodierung kommt auch bei Dzj-r' (3. Dynastie) vor und zeigt 'einen bewusst schöpferischen Umgang mit den Möglichkeiten der bildhaften Schrift.' (S. 205).

Eine wichtige Erklärung liefert Morenz für die auf den Kopf gestellten Zeichen der Beischrift für den Aufwärter des Königs auf der Nar(-meher)-Palette. Dort stehen ein kleiner umgekehrter Krug für wdpw 'Aufwärter' unter einer Rosette für wn 'König'. Die Drehung der Beischrift um 180° ist als eine Transposition aus Ehrfurcht vor dem König anzusehen. Dabei ist die Drehung nur bei dem Krug offensichtlich. Sinn dieser Drehung ist es, das Wort für König an die obere Stelle im Bild zu setzen. Bis jetzt war dieses Detail noch ungeklärt, darf aber jetzt mit der von L. Morenz vorgeschlagenen Lesung als gelöst gelten. Die auf den Kopf gestellten Zeichen haben sich in der ägyptischen Schrift nicht weiter fortgesetzt, was auch nicht weiter verwunderlich ist. Nicht alle Ansätze aus der frühen Schriftentwicklung wurden standardisiert und wahrscheinlich galt diese Positionierung der Zeichen nicht als ästhetisch.

Im Rahmen der sekundären Anwendung von Schrift erläutert und beschreibt Morenz die Verwendung von Schriftzeichen auf Objekten der Herrscherpräsentation unbekannter Herkunft sowie Annalen- und Elfenbeintäfelchen. Darüber hinaus werden Objekte besprochen, die in eine sakrale Sphäre, den Tempelbereich, gehören und solche, die einen rein privaten Hintergrund haben und dem Bereich der hohen Amtsträger zuzurechnen sind. Zum Abschluß dieses II. Kapitels wird auch der Palermostein vom Autor untersucht, vor allem die Reiher der bjtj-Könige. Die Namen dieser Könige sind im Rahmen der ägyptischen Sprache erklärbar und bewegen sich inhaltlich in drei semantischen Feldern (Gründen, Herrschen, Bezug zur Sakralwelt), die die Darstellung des ägyptischen Königtums charakterisieren. Die Formgebeung der Namen ist bereits mit bekannten Königsnamen vergleichbar. Morenz sieht hierin eine invention of tradition der frühen 3. Dynastie, in der Tradition und Gegenwart, Erinnern und Erfinden sich vermischen und eine Urgeschichte erstellt haben.

Bei der Beschreibung und Interpretation des Material berücksichtigt Morenz immer den stets lückenhaften Stand der Überlieferung und den Zufallsfund der Ausgrabungen ohne sich auf Überlieferungslücken zu stützen oder diese interpretatorisch überzubewerten.

Im III. Kapitel bespricht der Autor die einzelnen hieroglyphischen Zeichen, ihre Funktion, ihr Bild, ihre graphische sowie ihre lautliche Entwicklung und die daraus zu gewinnenden Interpretationen bezüglich der Schriftentwicklung.
Manchmal wäre es bei der Interpretation des Materials wünschenswert gewesen, wenn der Autor seiner Phantasie im begrenzteren Maße Ausdruck verleihen hätte. Manchmal sind auch Erklärungen des kulturhistorischen Kontextes eher kurz geraten, bei dem sich der Leser doch einen weiteren Rahmen gewünscht hätte.

Das ausführliche Inhaltsverzeichnis gibt jedem Benutzer die Möglichkeit, das Buch auch nach dem Steinbruchprinzip zu verwenden und nur Teile gezielt zu lesen. Dies ist sehr benutzerfreundlich gestaltet.

Zu bemängeln an diesem Buch sind die handschriftlich eingetragenen Hieroglyphen. Bei den heutzutage zahlreich zur Verfügung stehenden Computerhieroglyphen und Bearbeitungsprogrammen für Hieroglyphen wäre es für die Optik der Seiten wünschenswert gewesen, wenn diese zur Verwendung gekommen wären.

Auch hätte es dem Buch gut getan, wenn das gesamte beschriebene Material abgebildet gewesen wäre, damit auch dem, der diese Epoche nicht als Spezialgebiet hat, das Material unkompliziert zugänglich gewesen wäre. Es ist bekannt, daß diese Forderung im Bereich des Abschlusses der Arbeit und der Drucklegung einen weiterer Mehraufwand gewesen wäre, der nicht zu unterschätzen ist, aber meiner Ansicht nach doch lohnenswert gewesen wäre.

Die gesamte Arbeit bietet einen guten und detaillierten Überblick über die Schriftentwicklung in der prä-, proto- und frühdynastischen Zeit, der in alle Richtungen die Belege auslotet und verschiedene Bezüge herstellt. Das theoretische Hintergrundwissen wird ebenso dargestellt, wie die einzelnen Notationen/Inschriften selbst erläutert werden. Dem Leser wird diese frühe Epoche der ägyptischen Geschichte zugänglicher, und der Schleier der dunklen Urzeit wird gehoben. Dieses Buch ist ein Gewinnbringender Beitrag zur Erforschung der Frühzeit.