Die Freimaurerei ist ein Phänomen, das selbst nach intensiver Auseinandersetzung offenbar nur schwer zu erklären ist. Um einen Einblick in die Freimaurerei zu bekommen, führt Christian Braun in seiner Dissertation 'Zur Sprache der Freimaurerei' folgendes Zitat an:
'' Wie immer man die alte und stets neue Frage: Was ist Freimaurerei? beantwortet ' wichtig ist, den Freimaurerbund als Idee, Gemeinschaft und symbolischen Ausdruck zu begreifen. Diese Vielgestaltigkeit des Bundes erlaubt den menschlichen Neigungen unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten. So mag der eine mehr von lebendiger geistiger Auseinandersetzung angezogen werden, der andere in der menschlichen Gemeinschaft der Loge das Wesentliche sehen, und der dritte schließlich in Symbol und Brauchtum das Zentrum des Bundes erleben' (Lock, Karl-Heinz / Holtdorf, Jürgen: Stichwort Freimaurer. München 1993. S. 10).
Als Einführung in die Freimaurerei stellt Braun seinen Analysen einen umfassenden historischen Überblick voran. Angesichts des Umfangs dieses Abschnitts (ca. 80 Seiten) gewinnt man zwar zunächst den Eindruck, eine historische und nicht eine sprachwissenschaftliche Arbeit zu lesen, wie sich jedoch im anschließenden Kapitel zum Corpus zeigt, dienen die ausführlichen historischen Grundlagen auch als Grundlage für die Textauswahl und ermöglichen ein Erfassen der für die Textsortenklassifikation notwendigen externen Faktoren. Die für die Analyse ausgewählten Rituale und Katechismen repräsentieren verschiedene Zeitstufen (18.-20. Jahrhundert) und verschiedene freimaurerische Strömungen, wodurch umfassende Aussagen zur Freimaurersprache möglich sind.
Die sprachwissenschaftliche Analyse der Rituale und Katechismen gliedert sich in eine textsortenspezifische Untersuchung mit dem Ziel, die Textsorten 'Freimaurer-Ritual' und 'Freimaurer-Katechismus' definieren zu können, sowie eine lexikalisch-semantische Analyse ausgewählter Lexeme, die ebenfalls zur Bestimmung der Textsortenmerkmale beiträgt.
Bei der textsortenspezifischen Analyse von Freimaurer-Ritualen und Freimaurer-Katechismen berücksichtigt Braun verschiedene externe und interne Faktoren wie Verfasser, Leser, Ort, Zeit, Verfasserintention, sprachwissenschaftlich relevante Merkmale des Initialbereichs (v.a. Syntax und Semantik der Überschriften) und des Zentralbereichs (v.a. Makrostruktur), Schlüsselwörter aus verschiedenen semantischen Bereichen und die kommunikative Textfunktion. Mit diesen Analysekriterien erfüllt er gleichzeitig die für die Textsortenbestimmung notwendige Beachtung sowohl strukturalistischer als auch kommunikativ-funktionaler Aspekte. Als Ergebnis seiner Untersuchungen weist er die Existenz der Textsorten 'Freimaurer-Ritual' und 'Freimaurer-Katechismus' nach, er zeigt die hohe Beständigkeit unter diachronen Gesichtspunkten auf und ermöglicht mit Hilfe der Schlüsselwortanalyse Rückschlüsse auf eine werkmaurerische Herkunft der Freimaurerei.
Im zweiten Teil der sprachwissenschaftlichen Analyse untersucht der Verfasser die Lexeme bzw. festen Wendungen 'Bibel'/'Buch des Heiligen Gesetzes', 'Freimaurer'/'Maurer', 'Freimaurerei'/'Maurerei', 'Licht', 'Loge', 'Säule'/'Pfeiler', 'Stein', 'Tempel', 'Winkel'/'Winkelmaß', 'Zirkel' unter lexikalisch-semantischen Aspekten. Sie werden in Symbol-, Metaphern-, Analogie- und Allegoriephänomene eingebettet. Festzustellen ist z.B. eine häufige Sememerweiterung mit systemspezifischer Zusatzbedeutung bei verschiedenen Lexemen, wodurch sich eine Klassifikation der Freimaurersprache als Gruppen- oder Sondersprache rechtfertigen läßt.
Braun liefert sowohl mit der textsortenspezifischen Analyse als auch mit der lexikalisch-semantischen Analyse einen wertvollen Beitrag zur bislang sprachwissenschaftlich kaum berücksichtigten Freimaurersprache. Unabhängig von der Freimaurerei bereichert er durch die Zusammenstellung der Untersuchungskriterien ' externe und interne Faktoren unter strukturalistischen und kommunikativ-funktionalen Aspekten mit zusätzlich eingehender Betrachtung des lexikalisch-semantischen Bereichs ' außerdem die gesamte Textsortenlinguistik.