Bowling for more than Columbine
Subjektivität und Wahrhaftigkeit in den Filmen von Michael Moore

In ihrer veröffentlichten Magisterarbeit beschäftigt sich Alexandra Hissen mit Formen und Funktionen der Inszenierung von Subjektivität und Glaubwürdigkeit in den Dokumentarfilmen des amerikanischen Autors und Filmemachers Michael Moore ' zwei Aspekte, die insbesondere im Rahmen einer Untersuchung der oft als Polemiken bezeichneten Filme des ausgesprochenen Bush-Gegners besondere Aufmerksamkeit verdienen und deren Analyse Spannendes erwarten läßt. Ins Zentrum ihrer Studie stellt Hissen die Filme 'Bowling for Columbine', 'Roger & Me' und 'The Big One', verweist jedoch zur Kontextualisierung ihrer Analysen sinnvoller Weise auch auf andere Produktionen Moores.
Als Einstieg wählt die Verfasserin ein Kapitel über die Person Michael Moore, in dem sie ' äußerst konzise und problemorientiert ' seine Biographie, seine Arbeiten als Journalist, seinen ideologischen Standpunkt und seine Rolle sowohl in der amerikanischen Medienlandschaft als auch als 'ernstzunehmender Faktor' (S. 23) im politischen Diskurs skizziert.
Darüber hinaus beschäftigt sich Hissen in diesem Kapitel auch mit der wichtigen Frage der (potentiellen) Zuschauerschaft Moores, deren Beantwortung ' auch wenn sie letztendlich im Bereich des Spekulativen bleiben muß ' für die weitere Argumentation der Arbeit, insbesondere für die Herausarbeitung des Wirkungspotentials der von Moore eingesetzten Mittel zur Inszenierung seines subjektiven Standpunkts und der Glaubwürdigkeit seiner Dokumentationen, von enormer Bedeutung ist. Gerade vor dem Hintergrund der gesamten Studie, in der die Verfasserin überzeugend darlegt, wie wichtig die Person Moore nicht nur in seinen Filmen, sondern auch für den Erfolg derselben ist, erweist sich dieses Kapitel als äußerst sinnvoll, denn es dient nicht nur als Einführung in Moores Person und Oeuvre, sondern als wichtige Folie, auf die im Laufe der Arbeit immer wieder argumentativ Bezug genommen wird.
Im zweiten Kapitel widmet sich Hissen dann zunächst den Formen und Funktionen der Inszenierung von Subjektivität in Moores Filmen. Es erfolgt eine kurze Übersicht über die Debatte um Objektivität und Subjektivität im Dokumentarfilm, deren Entwicklung sie präzise zusammenfaßt und dem Leser so die notwendigen Informationen zur Verortung von Moores Arbeiten innerhalb der Dokumentarfilmtradition liefert. Ausgehend von einem Dokumentarfilmkonzept, das der/m Filmemacher/in eine prinzipielle Freiheit zur Integration ihrer/seiner subjektiven Sichtweise eingesteht, weist Hissen am Beispiel 'Bowling for Columbine' ein breites Spektrum an Mitteln der Darstellung von Moores subjektiven Standpunkt nach, das von der ständigen Präsenz Moores vor der Kamera bis hin zur versteckten Inszenierung der Subjektivität durch ‚Voice over’-Kommentare, gesteuerte Interviews oder Schnittechniken und Hintergrundmusik reicht. Dabei werden Hissens Beobachtungen von einer Reihe detaillierter Beispielanalysen begleitet, die für den Leser aufgrund der mitgelieferten Transkriptionen von Filmsequenzen unterschiedlicher Länge sehr gut verständlich und nachvollziehbar sind.
Im dritten Teil der Arbeit untersucht Hissen den Anspruch auf Glaubwürdigkeit in Moores 'Bowling for Columbine'. Auch hier beginnt sie mit einem knappen, aber dennoch hilfreichen Abriß über die Tradition und den Stand der Theoriediskussion zu diesem Thema und zeigt dann in einer ebenso überzeugenden wie differenzierenden Argumentation, wie Moore bei der Erzeugung von Glaubwürdigkeit vorgeht. Eine Schlüsselrolle komme dabei, so Hissen, seiner Selbststilisierung als Durchschnittsamerikaner zu; die Tatsache, daß die Verfasserin jedoch keinesfalls bei diesem Befund stehen bleibt, sondern in ihrer Analyse auch die immer größer werdende Popularität Moores und seine Wandlung vom unbekannten Journalisten zum medienwirksamen Sozialkritiker berücksichtigt ' eine Wandlung, die von Moore nicht geleugnet, sondern ganz bewußt in seine Filme integriert wird ' zeugt einmal mehr vom durchgängig hohe Reflexionsniveau ihrer Studie.
Hervorzuheben sei an dieser Stelle auch die Leistung der Verfasserin, die verschiedenen Formen der Inszenierung von Glaubwürdigkeit stets vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Film- und Fernsehtradition(en) und der Mediensozialisierung der (potentiellen) Zuschauer auf ihr Wirkungspotential hin zu prüfen. So macht sie z.B. deutlich, daß Moore seine Dokumentationen bewußt in Anlehnung an (in den USA) gängige TV-Formate in Szene setzt, um seine Zuschauer von der Glaubwürdigkeit seiner Arbeiten zu überzeugen.
Schließlich setzt sich Hissen im vierten Kapitel ihrer Studie mit den Fälschungsvorwürfen gegen Moores Filme und den Kritiken an seiner Arbeitsweise sowie seiner Person auseinander. Dabei geht es ihr nicht darum zu zeigen, daß Moores Filme ideologisch einseitig argumentieren, sondern zu untersuchen, ob und inwieweit die Vorwürfe gegen ihn und seine Produktionen gerechtfertigt sind. Die bereits hervorgehobene differenzierte und differenzierende Darstellungsweise kommt bei dieser abwägenden Begutachtung der einzelnen Kritikpunkte, die sie ' auch auf der Basis der im zweiten und dritten Kapitel gewonnenen Erkenntnisse - entweder entkräftet oder für (teilweise) haltbar befindet, besonders zum Ausdruck.
In ihrem Resümee faßt Hissen ihre Argumentation zusammen und kommt zu dem Ergebnis, daß Moore ' trotz all seiner Bekenntnisse zur (offensichtlichen) Subjektivität in seinen Filmen, die ihn scheinbar unangreifbar machen ' nicht selten auf Techniken der Zuschauermanipulation zurückgreift, die nur schwer mit denen eines ‚echten’ Dokumentarfilms vereinbar sind. Darüber hinaus betont sie, daß die Glaubwürdigkeit und somit der Erfolg von Moores Arbeiten bisher im Wesentlichen von der Überzeugungskraft seiner filmischen Selbstinszenierung als Durchschnittsamerikaner abhing und auch in Zukunft abhängen wird. Auch in diesem abschließenden Kapitel bewahrt Hissen souverän kritische Distanz, obwohl, wie sie selber feststellt, 'Moores Filme und seine Person polarisieren' und 'keine neutrale Betrachtung [zulassen]' (S. 135). Ihre Arbeit, so möchte man dem entgegensetzen, zeigt durchweg, daß eine solche neutrale, reflektierte und ausgewogene Betrachtung der Filme des mittlerweile zum Medienstar avancierten Moore sehr wohl möglich ist.