Die Geliebte des Duce
Das Leben der Margherita Sarfatti und die Erfindung des Faschismus

Der holperig klingende Untertitel von Karin Wielands Studie 'Das Leben der Margherita Sarfatti und die Erfindung des Faschismus' offenbart ein Dilemma. Das Buch ist weder eine kritische Biographie noch eine historische Abhandlung über die Entstehung der italienischen Diktatur. Am ehesten ist es ein zeit- und ideengeschichtliches Panorama, entfaltet um den Werdegang einer spektakulären Frauengestalt, Margherita Sarfatti, der langjährigen Geliebten und Mentorin Mussolinis.
Die 1880 geborene Jüdin aus Venedig erhielt ihre Bildung von erlesenen Geistern ihrer Zeit, darunter Antonio Fradeletto, der Begründer der Biennale von Venedig. Schon 1898 legte sie in Paris mit dem Kauf von Lithographien und Plakaten von Henri de Toulouse Lautrec den Grundstein ihrer Sammlung postimpressionistischer Kunst. Von ihrer noch in der Generation des Vaters observant jüdischen Familie, die mit der aufkommenden venezianischen Tourismusindustrie ein Vermögen machte, grenzte sie sich durch ihre Mitgliedschaft in der Partito Socialista Italiano ab. In Mailand verkehrte sie im linksintellektuellen Salon der jüdischen Russin Anna Kuliscioff, die mit ihrem Kampf- und Lebensgefährten Filippo Turati die sozialistische Partei Italiens gegründet hatte. Am Beispiel der Kuliscioff, die aus ihrem Salon 'Italien kommandierte', lernte Sarfatti, wie sie als politisch rechtlose, aber ambitionierte Frau Macht ausüben konnte.
Im Jahr 1909, als der Pariser 'Figaro' Marinettis futuristisches Manifest abdruckte, eröffnete Sarfatti ihren eigenen Salon, in dem sich die künstlerische Avantgarde des Italiens traf. Sie befreundete sich mit dem Maler und Bildhauer Umberto Boccioni, einem Wortführer des Futurismus, und sah es als ihre Aufgabe, sich zum kunstkritischen Sprachrohr der Bewegung zu machen. Dabei störte es sie nicht, daß Marinetti die Linken verachtete. Die Sozialistin und Feministin Sarfatti begeisterte sich für die Idee der Wiederbelebung großer, nationaler Kultur und überhörte die kriegslüsternen und antifeministischen Untertöne der Avantgarde.
1912 begegnete sie dem Herausgeber des sozialistische Parteiorgans 'Avanti!', dem Volksschullehrer Benito Mussolini. Unzufrieden mit dem reformistischen Kurs der Partei gründete der Draufgänger aus der Provinz gleich ein neues, sich revolutionär verstehendes Blatt: 'Utopia'. Dabei stand ihm die publizistisch erfahrene und weitaus gebildetere Kollegin beratend zur Seite. Kurz darauf wurden die beiden ein Liebespaar und blieben es ' mit Unterbrechungen ' bis in die 30er Jahre.
Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs und Italiens erfolgreichem Libyenfeldzug änderte sich die Stimmung im Land. Mussolini trat von der Direktion des 'Avanti!' zurück und gründete das nationalistische Kampfblatt 'Il popolo d'Italia'. Die futuristischen Freunde lechzten nach Krieg und auch Sarfatti widerstand nicht lange der nationalen Euphorie. Im Dezember 1915 wurde sie von einer Gegnerin des Kriegs zu dessen Befürworterin. Die Sozialisten, die bei ihrem antiinterventionistischen Kurs blieben, reagierten mit Parteiausschluß. 1918 starb Roberto, Sarfattis 17-jähriger Sohn, an der österreichischen Front einen sinnlosen Heldentod. Seine Mutter, unter dem Faschismus für dieses 'Opfer' mehrfach dekoriert, verschrieb sich danach ganz der nationalen Revolution des Duce und ging 1924, nach dem Tod ihres Ehemanns, nach Rom. Dort eröffnete sie ihren Freitagssalon, der als Vorzimmer der Macht galt und von dem aus sie die faschistische Kulturpolitik beeinflußte. Sie rief die Biennale für Kunsthandwerk in Monza ins Leben, die Mailänder Triennale für angewandte Kunst und förderte die Künstlergruppe Novecento, deren ehemals futuristischen Mitglieder nun in enger Verflechtung mit den Werten des Faschismus eine traditionsbewußte Kunst von nationalem Gepräge anstrebten. Sarfatti bezeichnete sie enthusiastisch als die 'geistigen Führer' eines 'neuen Klassizismus'.
Das bewegte Leben der Margherita Sarfatti, die als Publizistin und (faschistische) Kulturmanagerin, als Sammlerin avantgardistischer Kunst und Kritikerin Furore machte, ist zweifellos denkwürdig. Als Frau der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts blieb ihr politischer Einfluß allerdings auf den einer Drahtzieherin, die Macht nur über die Manipulation eines mächtigen Mannes ausüben konnte, beschränkt. Dieser Aspekt ihrer Biographie, der sich zunehmend in den 30-er Jahren zeigte, als sie beim Duce in Ungnade fiel und schon lange vor ihrer Flucht vor den faschistischen Rassegesetzen von der öffentlichen Bildfläche Italiens verschwand, wird von Karin Wieland nicht ausreichend aufgezeigt und kritisch durchleuchtet. Ihre Darstellung bleibt zu sehr an der Oberfläche, stützt sich vor allem auf Sekundärliteratur und verzichtet auf eigene quellenkritische Recherche und Analyse. Erst diese hätte dazu beigetragen, apologetische Untertöne zu vermeiden und das ' sicher widersprüchliche ' Profil dieser interessanten Frauengestalt zu schärfen und zu vertiefen. Dessen ungeachtet bietet die Breite von Wielands Ausführungen viele Anregungen und erhellende Einblicke, bspw. in das Verhältnis von künstlerischer Avantgarde und Totalitarismus, von sozialistischem Veränderungsstreben und nationalistischem Irrationalismus oder auch in die aus deutscher Sicht besonders interessanten Bedingungen von Kunst und Kultur im italienischen Faschismus. Fragmentarisch bleibt Wielands Sarfatti-Biographie allerdings dadurch, daß sie die letzten 23 Lebensjahre ihrer Protagonistin, das heißt die Zeit des Exils in Argentinien und der Rückkehr nach Italien (1947), völlig ausblendet.