Die Kelten in Mitteleuropa

Martin Kuckenburg hat die Kelten zurück nach Mitteleuropa geholt und ihnen das gegeben, was ihnen längst zusteht, aber vor allem in der populärwissenschaftlichen und esoterisch geprägten Literatur vorenthalten wurde: Einen Platz in der Geschichte, nicht nur in Mythen und liebgewonnenen Klischees, oft schwerpunktmäßig angesiedelt in den Randbereichen Europas, Stichwort 'Inselkelten'. Allerdings torpediert der Autor sich selbst etwas durch seine Widmung in irischer Sprache 'für die Kelten des dritten Jahrtausends' ' die Kelten sind schließlich nach seiner Definition Geschichte! Durch die Schriftlosigkeit der keltischen Kultur schienen die Völkerschaften, die man heute unter dem Begriff 'Kelten' zusammenfaßt, dazu verdammt, im Gedächtnis der Menschheit ein Dasein als naturverbundene, tief religiöse Gutmenschen zu fristen, stets geheimnisumwoben und schwer zu fassen. Dabei dominierte die keltische Kultur im ersten Jahrtausend vor Christus Mitteleuropa und ging dort um die Zeitenwende fast vollständig in der römischen und germanischen Welt auf. Und so gibt es im Kerngebiet der keltischen Besiedlung handfeste Zeugnisse keltischer Kultur, allerdings meist archäologischer Art, und so nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Kuckenburg stellt diese vor und führt seine Leser dabei von der frühkeltischen Hallstattkultur (ca. 800/750 ' 475/450 v. Chr.) aus, die sich in einen westlichen und einen östlichen Kreis trennen läßt, über die Latène-Kultur (ca. 475/450 v. Chr. bis zur Zeitenwende) zum Ende der eigentlichen keltischen Kultur und zu ihrem Aufgehen in der sogenannten gallo-römischen Kultur. Seine Themenbereiche sind dabei mit den Schlagworten Ursprünge der Kelten, Hallstattzeit, Fürstensitze, Fürstengräber, Situlenkunst, Latènekultur, Kunst, Wanderungen, Bewaffnung, Oppida, Kelten an der Schwelle zur Hochkultur, Religion, Viereckschanzen, und Gallischer Krieg abzustecken. Gut und notwendig ist die Ausweitung seines Forschungsgebietes über Deutschland hinaus; die Betrachtungen erstrecken sich von Tschechien und Österreich über Süddeutschland und die Schweiz bis nach Frankreich.
Dabei ist wichtig und innovativ, daß der Autor die vielfältigen Handelskontakte der Kelten aufzeigt, durch die sie schon an der Schwelle der Schriftkultur standen, als sie von der römischen Kultur vereinnahmt wurden; d.h. Wandel und Veränderungen in der keltischen Kultur werden anschaulich und fesselnd dargestellt. Bemerkenswert ist auch, daß der Autor die in anderen Publikationen oft gemachte Aussage, die Kelten hätten das Diesseits eng mit dem Jenseits verknüpft gesehen, völlig auf die Betrachtung materieller und nicht schwer beweisbarer, ideeller Zeugnisse gründet (vgl. S. 77).
Qualitätvolle Illustrationen tragen dazu bei, die nüchterne archäologische Forschung lebendig zu machen; es gibt Fotos von Funden, Rekonstruktionszeichnungen, Spezialkarten und Grabungszeichnungen. Allerdings ist anzumerken, daß das Layout im Vergleich zu anderen archäologischen Publikationen, meist aus dem angelsächsischen Raum, etwas nüchtern und trist ausgefallen ist. Natürlich ist es wichtig, den Text nicht zugunsten der Abbildungen zurücktreten zu lassen, aber ein wenig Lockerung, z.B. durch verschiedene Hintergrundfarben / Schrifttypen wäre sicher optisch ansprechender gewesen. Eine gute Idee sind hingegen die Zitate antiker Autoren zu den Kelten am Rand des Haupttextes, in brauner Schrift abgesetzt. Sie sind eine anschauliche Ergänzung zu den archäologischen Ergebnissen, die wiederum deren Wahrheitsgehalt beweisen.
Positiv zu werten ist auch, daß der Autor ältere Forschungen (z.B. René Joffroy, Mont Lassois; Wolfgang Kimmig, Heuneburg; Jörg Biel, Grab von Hochdorf) würdigt, obwohl diese heute in vielen Punkten überholt sind, z.B. der Themenkomplex der sogenannten Viereckschanzen, und daran neueste Forschungsergebnisse anknüpft.
Ein Manko ist die Knappheit der Literaturhinweise; auch die Anmerkungen sind ein wenig zu spärlich, wenn man für das Werk einen wissenschaftlichen Anspruch voraussetzt, den es ohne Zweifel hat.
Alles in allem eine wichtige, erhellende Publikation, bei der sich der Wissenschaftsjournalist Kuckenburg wieder einmal als kompetenter und auch packender Autor zeigt.