Die Geschichte der Zukunft
Sozialverhalten heute und der Wohlstand von morgen

Im 19. Jahrhundert forderten die Bürger Rationalisierung und Planbarkeit (im Sinn von Rechtssicherheit) gegenüber ihren jeweiligen Landesfürsten, um der Wirtschaft im modernen Sinn den Weg zu ebnen, Widerstände auszuräumen bzw. die freie Wirtschaft generell zu ermöglichen. Händelers Motivation stößt in die gleiche Richtung: Er möchte die Probleme, die sich der heutigen Wirtschaft stellen, enttarnen und einen universellen Lösungsweg aufzeigen. Sein Interesse gilt der sozioökonomischen Entwicklung; dabei legt er die These Nikolai Kondratieffs als Maßstab an.
Im ersten Kapitel stellt Händeler Kondratieffs Theorie der langen Wellen vor. Diese besagt, daß die Wirtschaft in zyklischen Auf- und Abschwüngen stattfindet, die jeweils eine Zeitdauer von bis zu 60 Jahren beanspruchen können. Der Grund für einen Aufschwung liegt dabei in einem neuen Herstellungsverfahren, z.B. der Erfindung der Dampfmaschine (Basisinnovation) und der darauf abgestimmten gesellschaftlichen Infrastruktur (kulturelle Leistung), die zusammen zu einer Steigerung der Produktivität führen. Der Aufschwung kippt erst dann in den folgenden Abschwung um, wenn einer der Faktoren, die die erhöhte Produktivität ausmachen, nicht mehr gleichmäßig mit den anderen mitwachsen kann. Dieser Faktor bewirkt einerseits die folgende Stagnation, andererseits markiert er aber auch das Feld des kommenden Aufschwungs: Können beispielsweise die Waren aufgrund des mangelhaften Transportwesens nicht mehr in genügender Masse als auch in angemessener Zeit verfrachtet werden, ist dies zwar ein Bremsfaktor der Wirtschaft (Abschwung), zugleich aber auch das Feld einer neuen Produktivität: Die der Eisenbahn (neuer Aufschwung).  
Dieses Erklärungsmuster nimmt Händeler, ohne es zu hinterfragen, als gegeben hin und erhebt es zu etwas universal gültigem, einer Art Metaschablone. Er benutzt sie, um die Geschichte insgesamt zu deuten, d.h. daß alles und jedes im Sinn Kondratieffs interpretiert, bzw. auf dieses System hingeordnet wird. Im zweiten Kapitel behandelt er die wirtschaftlichen Auf- und Abschwünge der letzten 200 Jahre abwechselnd in ihrer chronologischen Reihenfolge. Seine Verfahrensweise ist dabei jeweils dreigliedrig: Eingangs erinnert er kurz an die Theorie Kondratieffs, dann subsumiert er die großen Linien der Geschichte, d.h. die geschichtlichen Ereignisse, unter diese Theorie, um anschließend diese geschichtlichen Leitlinien mit Details, Anekdoten, etc. zu unterfüttern. Daß die große Weltliteratur herangezogen wird, um als Indiz für das Geschriebene zu dienen, bzw. die Auswirkungen zu verdeutlichen, ist etwas das gesamte Buch Durchziehendes. So wird z.B. die Reise des Phileas Fogg In 80 Tagen um die Welt herangezogen, um die technischen Innovationen und der sich daraufhin ändernden Gesellschaft, hier bezüglich der Eisenbahn, zu veranschaulichen. Diese äußerst geschickten Einflechtungen lockern durch den Wiedererkennungseffekt diese fremdartige Geschichtsdarstellung im Sinn Kondratieffs auf und erzielen als Resultat, daß sie gut verständlich und damit angängig ist.
Der Vorteil eines solchen systematischen Vorgehens einer Geschichtsinterpretation ist, daß man zu einer geschlossenen und kompakten Analyse kommt: Alles paßt nahtlos zusammen, die Geschichte wird als Einheit begriffen, d.h. daß sie etwas in sich logisch Ganzes darstellt. Dieses geschlossene Denken, unterstützt von dem klaren strukturellen Vorgehen, führt zu einer gut verständlichen Geschichtsdarstellung, die klare Schwerpunkte setzt. Es ist daher schwierig, einen einzelnen Punkt herauszugreifen und isoliert zu betrachten. Das beruht auf der einem System immanenten Einheit, da das Einzelne durch das ganze hinter ihm stehende System gestützt wird. Es kann hier daher nur das ordnungsstiftende Element, d.h. die Theorie, wonach geordnet wird, die langen Wellen Kondratieffs, oder aber die Vorgehensweise, gemäß eines Systems zu ordnen, betrachtet werden.
Daß Händeler Kondratieffs lange Wellen als alleinigen und unbedingten Maßstab versteht, wird aus zwei Punkten deutlich: Zum einen ist die sozioökonomische Entwicklung gemäß den langen Wellen das Element schlechthin, wodurch sich seiner Auffassung nach Geschichte erklären läßt. Zwar verleiht diese durchgehaltene Konsequenz Kondratieffs These und der nach ihr geordneten Geschichte Gewicht i.S.v. Überzeugungskraft. Dagegen ruft die strikte Ablehnung anderer Deutungsansätze von Geschichte notwendigerweise Ablehnung hervor und macht damit den Effekt der eingestreuten Weltliteratur wieder zunichte: Das in jedem an der Historie Interessiertem schon vorhandene Geschichtsbild und -bewußtsein wird sich aufgrund der Rigorosität der Umkrempelung konservativ verhalten. Hinzu kommt ' zum anderen ' die an einigen Stellen von Händeler verwendete Wortwahl und Formulierung, die Widerstand gegen die Übernahme seines Geschichtsverständnisses hervorruft: Kombattanten von Duellen, die sie im 19. Jahrhundert bis zu ihrem Tod austrugen, 'lächerlichen Anlaß' zu unterstellen, zeigt, daß der Verfasser keine Rücksicht auf andere Ansichten nimmt, weder auf die der Zeitgenossen noch auf die von heutigen Historikern. Mit der Scherung der Geschichte über den Kamm der langen Wellen kommt es zu einer Auffassung, die verdeutlicht, daß das Gefolge von Einheit die Einseitigkeit ist.
Bei einer strikten Ordnung von Geschichte nach einer Theorie kommt es jedoch zu einem Dualismus zwischen der postulierten Theorie und der Geschichte. Denn wenn die Geschichte ausschließlich, d.h. absolut, gemäß des postulierten Systems verstanden wird, ist diese der Geschichte übergeordnet im Sinn einer übergeschichtlichen Wirklichkeit. Die eigentliche Geschichte ist nachgeordnet und dient nur noch der Illustration, quasi als Beweis, der Theorie. Es herrscht damit ein instrumentelles Verhältnis, derart, daß die Theorie die Geschichte benutzt, um ihre Ziele zu verwirklichen. Geschichte wird dann nicht mehr um ihrer selbst willen betrieben, sondern wird als bloßes Mittel der Überzeugung gebraucht: Es soll die Richtigkeit der Theorie bewiesen werden.
Durch die vehemente Subordination der Geschichte unter Kondratieffs Theorie gelingt ihm eine anschauliche Lösungsstrategie. Nach der Vorstellung der langen Wellen dekliniert er die Historie in ihrem Sinn kategorisch durch. In den folgenden Kapiteln wird dementsprechend mit der Gegenwart verfahren. Da seine Hauptaussage letztendlich von dem Beleg der Richtigkeit der Theorie abhängt, ist es nicht verwunderlich, daß das Geschichtskapitel fast die Hälfte des gesamten Buchs ausmacht. Durch den erbrachten Beweis der universellen Gültigkeit der langen Wellen anhand der Vergangenheit, sie sind immerhin an fast 200 Jahren überprüft worden, gelten sie aufgrund ihrer Absolutheit auch für die Gegenwart und Zukunft. Händeler sieht damit die Existenz eines Königwegs aller wirtschaftlichen Lösungen: Kondratieffs lange Wellen. Mit der Betrachtung der Gegenwart durch den Focus dieser Theorie kommt er zu dem Schluß, daß der momentan hemmende Faktor der Wirtschaft die menschliche Informationsverarbeitung ist. Aber dabei bleibt er nicht stehen: Mit der Projektion der Theorie Kondratieffs auf die Zukunft kann er Prognosen der künftigen Entwicklung erstellen. Doch spätestens hier verläßt er den Hafen der Empirie und begibt sich in die Gewässer der Fiktion. Händeler betreibt damit keine Geschichte, sondern er instrumentalisiert sie, um seine Meinung zu untermauern, nämlich die Richtigkeit und Anwendbarkeit der langen Wellen zu demonstrieren. Da das ganze Buch hindurch Überzeugungsarbeit leistet, muß dieses Buch in den politischen Bereich eingeordnet werden.
Händelers Bestreben geht aber darüber hinaus und gilt der Intensivierung von Planbarkeit menschlichen Lebens insgesamt: Forderte der dritte Stand im 19. Jahrhundert gegenüber seinen Fürsten Gesetze, welche die Rechtssicherheit um des Wirtschaftens willen herzustellen haben, soll nun das Verhalten des Markts selbst einem universalen Gesetz unterworfen werden. Forderte man früher die Planbarkeit gegenüber und von realen Menschen, manifestiert sich in Händelers Buch die gesteigerte heutige Forderung, daß auch im immateriellen und abstrakten menschlichen Lebensbereich Gesetze existieren, die es zu entdecken und nutzen gilt.