Controlling in der Kirche
Aufgaben, Instrumente und Organisation ...

 'In ihrem 'Kerngeschäft' bewegt sie (erg. die Kirche) sich auf dem Markt verschiedenster Anbieter bezüglich des Produkts 'Heilsvermittlung'' (S. 91). In dieser Art  Kirche empfiehlt der Autor Martin Mertes, die aus der Betriebswirtschaft entlehnte Konzeption des 'Controlling' zum zentralen Ansatz kirchlichen Managements zu machen. Anlaß dazu ist die so beschriebene gegenwärtige Situation: 'Die Nachfrager bleiben aus, die Einnahmen schrumpfen, die personellen Ressourcen schwinden, und die Aufgabenfelder der Kirche wandeln sich freiwillig oder gezwungenermaßen' (S.15). Entsprechend löst sich für ihn die Frage der Legitimität dieses Vorgehens so: 'Die Frage, ob die katholische Kirche als Organisation in das Anwendungsfeld der Betriebswirtschaftslehre fällt, wird hier grundsätzlich bejaht. Im Sinne von Chmielewicz kann aufgrund einer bestehenden Güterknappheit in der Kirche eine sinnvolle Anwendbarkeit der Betriebswirtschaftslehre und damit auch des Controlling unterstellt werden. (S.20). Dabei beschränkt er diese ausdrücklich auf die Methodik, die die sachlich-inhaltliche Zielvorgabe von Theologie und Kirche zu leisten ist. Angesichts deren Komplexität möchte er das Problem so umgehen, daß er immer nur so argumentiert 'Nehmen wir an, daß...'.
Entsprechend dürftig fällt das zweite Kapitel aus, das das 'Untersuchungsobjekt', die katholische Kirche darstellt. Entgegen den Ergebnissen der historisch-kritischen Forschung stellt der Verfasser fest: 'Die frühkirchlichen Gemeinden enthalten bereits den Kern dessen, was die heutige kirchliche Verfassung ausmacht. Es gibt zwar durchaus eine Vielzahl neutestamentlich überlieferter Ordnungsformen, dennoch bilden sich relativ rasch zentrale Muster heraus. Dazu zählen in erster Linie die Institutionalisierung kirchlicher Ämter, der Monepiskopat, die Differenzierung und damit einhergehende Entfremdung von Klerikern (des Klerus) und Laien sowie der Vorrang der römischen Gemeinde, der sich noch heute in veränderter Form im Selbstverständnis des Bischofs von Rom als Papst niederschlägt (S.27). Das oberste Ziel der Kirche, die Sendung der Kirche, wird als Heilsvermittlung definiert. Heil bedeutet für ihn dabei 'Inbegriff der Vollendung des menschlichen Verlangens nach einem endgültigen Innewerden von Wahrheit und Güte in Freiheit und Liebe' (S. 37). Die Sendung vollzieht sich in drei Grunddiensten: Verkündigung, Gottesdienst (Heilungsdienst) und Caritas, die wiederum auf vier Ebenen, Welt, Nation, Diözese und Gemeinde ausgeführt werden. Wenig überraschend entsteht so das Bild einer Pyramide (S. 67). Als Beispiel für die Details der Organisations- und Leitungsstruktur dienen die Diözese Münster und ihre Gemeinden.
Kapitel 3 entwickelt den theoretischen Bezugsrahmen für das Controlling im Blick auf die vier grundsätzlichen Kategorien: Ziele, Instrumente, Organisation und Anwendungsvoraussetzungen (S. 113 ff.). Controlling beschränkt sich 'auf die Sekundärkoordination innerhalb des Führungsgesamtsystems' (S. 133), da die Primärkoordination vom Klerus zu leisten ist, bezieht sich aber auf alle Ziele der Organisation, die genauer als Non-Profit-Organisation zu definieren ist. (S. 134 ff.).
Auf dieser Basis entwickelt Kapitel 4 eine Controlling-Konzeption für die katholische Kirche anhand der vier grundsätzlichen Kategorien. Dabei werden die Konflikte und Schwierigkeiten nicht verschwiegen, z.B. die Schwierigkeit, zu quantifizieren (S. 190 f.).
Bei der Entwicklung der Instrumente zur Umsetzung der Controlling-Konzeption in Kapitel 5 wir die sogenannte 'Balanced Scorecard' in den Mittelpunkt gestellt ( S. 210ff.). Sie kombiniert das Benchmarking (zur Zielgrößenbestimmung) und die Kostenrechnung im Blick auf die Budgetierung und die Anreizsysteme. Dieses Konzept wurde zur Profitmaximierung von Unternehmen entwickelt: In dieser finanziellen Perspektive ist die Kundenperspektive (Zufriedenheit) zentral, die internen Geschäftsprozesse werden darauf ausgerichtet und wegen zukünftiger Rendite durch das vierte Element der Lern- und Entwicklungsperspektive ergänzt (S. 216ff.). Bei Anwendung der Balanced Scorecard auf die Kirche tritt der finanzielle Aspekt zurück, während die Leistungswirkung und -erbringung für die Kunden, also die Heilsvermittlung, in den Vordergrund rückt (S. 23ff.) Was heißt das konkret? Auf S. 249 ist die Antwort in einem Schema zusammengefaßt. Aus der Perspektive der Leistungserbringung wird z.B. eine Steigerung der Kirchenbesucherzahlen um jährlich 2% und eine Steigerung des Anteils getaufter Kinder um jährlich 2% angenommen; aus der finanziellen Perspektive z.B. Erreichen eines Selbstfinanzierungsgrades der Gemeinden von 25 % in 10 Jahren. Neben der Balanced Scorecard wird der Budgetierung zentrale Koordinationsbedeutung beigemessen (S. 253ff.).
Kapitel 6 schließlich behandelt organisatorische Aspekte des Controlling in der katholischen Kirche. Kein Wunder, daß hier noch einmal der hierarchische Aspekt dieses Ansatzes deutlich wird: 'Da das Controlling erhebliche Widerstände bei Einführung und laufender Tätigkeit zu befürchten hat, die nicht vollständig durch eine aktive Informationspolitik u.ä. behoben werden können, ist eine hohe hierarchische Einordnung bzw. Anbindung zu empfehlen' (S. 282). Im Resümee in Kapitel 7 zitiert der Verfasser noch einmal einen anderen Autor zur Darstellung seiner zentralen Absicht: 'Für die Kirche ergibt sich die Herausforderung der offenen Auseinandersetzung mit betriebswirtschaftlichen Konzepten, um ohne theologische Scheuklappen eine zweckbezogene Kongruenz theologischer, sozialer und ökonomischer Ziele zur Bestimmung wirtschaftlicher Steuerungsmechanismen zu erreichen' (S. 303).
In diesem Satz kommt die ganze Fragwürdigkeit des Ansatzes dieses Buches zum Ausdruck. Es geht theologisch ganz naiv von der Neutralität, ja, der Kongruenz der kapitalistischen Ökonomie im Blick auf die Kirche aus. Biblisch gesehen wäre das so ähnlich, wie wenn Mose den Hebräern empfohlen hätte, sich nach Erreichen des Landes Kanaan in der Form des Pharaonensystems inklusive Sklaverei zu organisieren, oder wie wenn Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern geraten hätte, doch das römische System mit dem Kaiser an der Spitze zu übernehmen. Er sagt aber angesichts der Herrschaftsinteressen zweier seiner Jünger ausdrücklich: 'Ihr wißt, daß die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen mißbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele' (Mk. 10, 42-45). Norbert Lohfink hat für das Volk Israel im Sinn seines Befreiergottes Jahwe den Begriff der 'Kontrastgesellschaft' geprägt. Das Volk Gottes soll unter den Völkern die Alternative zur Normalität der durch Sünde geprägten gesellschaftlichen Strukturen darstellen. Das ist seine Mission, seine Sendung (vgl. Jes. 2,1ff.) Daran knüpft Jesus an, wenn er sagt: 'Ihr seid das Salz der Erde ... Ihr seid das Licht der Welt.' (Matth. 5,13f.). Er selbst wird umgebracht, weil er um der geschundenen Menschen und darum um Gottes willen den Konflikt mit den herrschenden religiösen, wirtschaftlichen und politischen Eliten und Strukturen aus sich nimmt.
Wenn irgendwann Menschen geschunden und die natürlichen Grundlagen der Erde zerstört wurden, so im derzeit herrschenden ökonomischen globalisierten System der Profitmaximierung. Und ausgerechnet dieses soll der Kirche Jesu Christi als Vorbild dienen! Die Ökonomisierung der Kirche, und sei sie noch so gescheit und mit ehrlichen Vorsichtsmaßnahmen angestrebt wie in dem vorliegenden Buch, ist ihre Zerstörung im biblischen Sinn. Die Evangelische Landeskirche in Baden hat einen ähnlichen wie den hier vorgeschlagenen Prozeß durchlaufen mit dem Ergebnis, daß Mission und Ökumene, also die weltweite Solidarität mit den Kirchen der verarmten und unterdrückten Menschheit, sowie die Industrie- und Sozialarbeit, d.h. die Arbeit mit den arbeitenden und ausgeschlossenen Menschen, landete an letzter Stelle des Benchmarking und der Mittelzuweisung, hingegen die Befriedigung der seelischen Bedürfnisse der bürgerlichen Individuen an erster Stelle. Das also bedeutet 'Kundenfreundlichkeit' und die Orientierung an Quantität, statt an biblischer Qualität. Dieser geht es nicht um das effizient von oben herab verkaufte Produkt Heil für kaufkräftige Seelen, sondern um das befreiende und Gerechtigkeit schaffende Reich Gottes, das die Reiche dieser Welt überwindet. In diesem Kontext bringt es den Menschen Heil.