Der an der Pädagogischen Hochschule Weingarten tätige Arnold Werner-Jensen, der die meisten der hier versammelten Artikel geschrieben hat, ist geradezu ein Garant für knappe und zugleich zuverlässige Information. Unterstützt wurde der als Spezialist für Handbuchwissen ausgewiesene Autor (man denke nur an seine Mozartbändchen bei Reclam und auch seinen pädagogisch geschickt aufgebauten Opernführer bei Schott) von seinem PH-Kollegen Manfred Ernst und dem Münsteraner Musikpädagogen und -wissenschaftler Franz Josef Ratte. Das Buch der Musik bietet einen durchaus nachvollziehbar charakterisierten Überblick über die musikalischen Epochen, bindet darin die bedeutendsten Komponisten, aber auch die Entwicklung von Gattungen, Kompositionsprinzipien und der bedeutsamen Musikzentren ebenso ein wie die relevanten Veränderungen der Sozialstruktur und die damit verbundene Mentalitätsgeschichte. Auch die Popularmusik und deren Entwicklung wie Strömungen werden behandelt, ein Blick in die Musik anderer Kulturen geworfen und die verschiedenen Zweige der Musikforschung vorgestellt. Eine knappe, aber zuverlässige Bibliographie erleichtert den Zugriff zu weiterführender Literatur und die üblichen Register fördern die Benutzbarkeit des vorliegenden Bandes.
Die für dieses Handbuch ausgewählten zentralen Aspekte, d.h. also Epochen, Gattungen, Komponisten und Kompositionsbedingungen, werden durchaus zutreffend, präzise und auch anschaulich beschrieben, so daß das Buch eine erste zuverlässige Vorinformation über wesentliche Fragen und Phänomene der Musikgeschichte zu bieten in der Lage ist. Von hier aus kann man durchaus nachvollziehbar begründen, daß diese Neuerscheinung in jeden Haushalt gehört, in dem man sich ein erstes Bild von einer bestimmten musikalischen Gattung oder von einem im nächsten Abonnementkonzert anstehenden Programm machen will: Es wird also eine erste Vororientierung geboten, bei der man indessen nicht stehen bleiben kann, will man auch nur einen halbwegs zulänglichen Eindruck von dem bekommen, was man als epochal und gattungshistorisch einzuordnendes Musikwerk hören will oder wird.
Nun dürfte es wohl niemandem schwer fallen, ein populär verfaßtes, sich auf Zentralpunkte und -informationen beschränkendes Grundlagen- oder Einführungswerk in einem bestimmten Fachbereich oder in irgendeiner Kunst zu kritisieren oder gar zu verreißen: Nichts ist leichter, als einen Nachweis über Lücken zu führen und verzerrende, gar notwendig falsche Darstellungen anzukreiden; aber eine solche Kritik ist leider zumeist notwendig berechtigt ' so auch hier -, weil die komplizierten Detailzusammenhänge keine derart vereinfachend-globalisierenden Zusammenfassungen erlauben und deshalb manche Zusammenhänge in ein schiefes, gar falsches Licht gerückt werden. Exemplarisch mag dies das graphisch hübsch aufgemachte zweiseitige Kapitel 'Der Virtuose' belegen: Ganz kurz werden zunächst der Begriff erklärt, auf Paganini, Liszt und andere Künstler verdichtet, Klavier und Geige als bevorzugte Instrumente des Virtuosentums auf 18 Zeilen beschrieben und schließlich auf 16 Zeilen Paganini und Liszt als Virtuosen vorgestellt (angereichert noch durch 7 Lebensdaten von Paganini und einen Zitatausschnitt aus einem Heine-Text über Paganini, die in einer extrem schmalen Randspalte parallel gedruckt erscheinen). Kein Wort aber in diesem zweiseitigen Text über die Nähe zu Mephisto, kein Wort also über den nicht aufzulösenden Zusammenhang zwischen dem Teuflischen und dem Virtuosen. Niemand wird, legt man diesen Handbuchtext als einzige Wissensquelle zugrunde, etwa die Begriffe 'Teufelsgeiger' oder 'Mephistowalzer' verstehen oder gar erklären können. Natürlich kennt der Autor Arnold Werner-Jensen diese Zusammenhänge, aber er kann sie aus Platzgründen nicht mitteilen. Angesichts dessen mag dann bei einer derartigen Publikation doch die 'Sinnfrage' erlaubt sein und zumindest ein leiser Zweifel angemeldet werden, ob nicht die Mängel derartig rudimentärer Informationen das gültige Positivistische, die durchaus zuverlässig gebotenen wichtigen Daten, an Bedeutung übersteigen, ob nicht der zweifellos reichlich vorhandene 'Mut zur Lücke' in Wahrheit als unhaltbarer Wagemut, als nicht vertretbare Tollkühnheit betrachtet werden muß, durch die das lückenhaft Verfälschte völlig unzulässig als Wahrheit erscheint.
Dieser wohl doch nicht zu verschweigende Vorwurf gilt indessen wohl noch mehr dem Verlag als den Autoren, die in unserer Zeit immer mehr in betriebswirtschaftliche und keineswegs sachlich begründbare Zwänge eingepfercht werden, wenn sie überhaupt noch publizieren wollen. Für diese Schuldzuweisung spricht so manches: Es ist z. B. nicht zu übersehen, daß der Verlag rigide Vorgaben gemacht hat, die den Druckumständen entstammen und eben nicht der geschilderten Sache. Es ist doch merkwürdig, daß alle Kapitel, welches Thema sie auch immer behandeln, gleich oder doppelt umfangreich sind. Der Sache ist dort nichts geschuldet, wohl aber dem Druckumfang, den Marktgesetzen und der Verkaufbarkeit als Argument. Das ist letztlich irgendwie pervers: Man kann eben nicht Wagners 'Ring' und 'Der Virtuose' mit der fast identischen Zeichenzahl je angemessen darstellen, ebenso wenig sachgerecht ist es, wenn die Behandlung der 'Evangelischen Kirchenmusik' exakt den doppelten Umfang von derjenigen der 'Katholischen Kirchenmusik' einnimmt.
Man sollte dieses Buch also als Datenträger nutzen, um Vergessenes nachzulesen und /oder Anregungen (dazu dienen auch die bezeichnenderweise wiederum proportional genau austarierten Literaturhinweise) für weitere Lektüren zu gewinnen, sich indessen niemals mit dem hier zu Lesenden begnügen: dies könnte gefährlich desinformierend und verfälschend sein.