Glaubt man den Jahrbüchern des Fränkischen Reiches, dann waren in dem Jahrhundert von Karl Martell bis zu Karl dem Großen (714-814) nur sieben Jahre ohne Krieg. Ja, der jährliche Kriegszug war den Zeitgenossen so selbstverständlich, daß der Annalist seinen König für ein kriegsloses Jahr glaubte entschuldigen zu müssen: Um nicht den Eindruck von süßem Nichtstun aufkommen zu lassen (ne quasi per otium torpere ac tempus terere videretur), so die 'Einhardsannalen' zu 790 (ed. Reinhold Rau 1968, S. 58), sei Karl der Große nach Salz gefahren und habe dort seine neue Pfalz inspiziert. Königsherrschaft war geradezu gleichbedeutend mit Kriegsführung, Erfolg im Krieg ein Synonym für Herrschaftsfähigkeit. ' Dies ist einer der Befunde, die Thomas Scharff in seiner 2000 vorgelegten Münsteraner Habilitationsschrift ausbreitet (S. 109-119).
Angeregt durch die Arbeiten von Janet Nelson und Gerd Althoff, geht es Scharff um die Frage, 'wie der Krieg von den Schreibenden in ihren Kosmos eingeordnet, mit Sinn erfüllt, der historischen Erinnerung, dem kulturellen Gedächtnis eingefügt wird' (S. 5). Befragt wird die historiographische Überlieferung im weiteren Sinne, einschließlich der Fürstenspiegel, der Hagiographie und der Dichtung (1.-4. Kapitel); Untersuchungszeitraum ist das 9. Jahrhundert. Insbesondere die hagiographische Literatur eröffnet originelle Perspektiven, wenn der Krieg der Heiligen, als milites Christi, gegen Dämonen, Heiden und Häretiker mit Metaphern des realen Kampfes beschrieben werden. Das Leben des Heiligen ist zwar einerseits durchaus ein Gegenentwurf zum kriegerischen Adelsmilieu, zugleich aber sind kriegerische Qualitäten des Heiligen Voraussetzung für seine Akzeptanz: 'Die Welt des Krieges ist terminologisch das Vorbild für das heiligmäßige Leben' (S. 38). Krieg als Chiffre ' die Quellen lesen sich anders, wenn man ihre 'Zeichenhaftigkeit' in Rechnung stellt (vgl. auch bes. S. 153ff.).
Es folgen Deutungen des Krieges nach den Kategorien 'Zeit', 'Raum', 'Herrschaft' und 'Erinnerung' (5.-8. Kapitel). Auch wenn inhaltliche Überschneidungen zwischen den Kapiteln nicht ganz vermieden werden, ergibt sich doch ein überaus facettenreiches und im ganzen überzeugendes Bild von den Wahrnehmungen und historiographischen Verarbeitungen des Krieges im frühen Mittelalter. Nicht jede Zuspitzung wird man unwidersprochen stehen lassen. Wenn Krieg und Frieden als gleichrangige Ziele von Herrschaft nebeneinander gestellt werden (S. 188), möchte man doch nachdrücklicher die Friedensmahnungen der Fürstenspiegler entgegenhalten. Auffällig ist die Nähe des Heldenkults der Franken zum liturgischen Gedenken (S. 189ff.), entsprechend der schon genannten Analogie zwischen dem Krieger und dem Heiligen. Grundsätzlich geht es um die (typologische) Einbettung des Kriegsgeschehens in das christliche Heilsprogramm und damit um Sinnstiftung aus der Heilsgeschichte: 'Die Franken erneuern in ihren Siegen die Siege des Gottesvolkes im Alten Testament' (S. 218). Einzig die Bruderkriege (Schlacht von Fontenoy 841) fallen aus diesem Rahmen heraus, da sie als heilsgeschichtlich sinnlos erscheinen müssen. Scharff will den Leser dafür 'sensibilisieren, was es bedeutet, sich mit einer Kultur zu beschäftigen, die nicht nur ihre Konflikte in hoch elaborierten symbolischen Formen austrägt, sondern die auch in diesen Kategorien denkt und natürlich auch die Darstellung der Realität auf diese Weise vornimmt' (S. 220). Hier im letzten Kapitel ist es ihm mit besonderer Prägnanz gelungen.
Ein Register der Personen- und Ortsnamen beschließt den Band. Leider ist der Verlag der inzwischen selbst in akademischen Publikationen verbreiteten Unsitte erlegen, die Anmerkungen anstelle von Fußnoten in einen gesonderten Anhang zu packen (S. 225-289), was den Zugriff auf die Belege unnötig erschwert.