Re-imagining White Identity by Exploring the Past

Dieser Band ist in mehrfacher Hinsicht und für verschiedene Lesergruppen von Bedeutung. Zum einen liefert er wertvolle Anregungen für alle, die sich mit literarischen Konstruktionen von Identität und/oder Vergangenheit beschäftigen, zum anderen ist er auch für alle Liebhaber oder Kenner südafrikanischer Literatur, speziell des historischen Romans der 1990 Jahre, von besonderem Interesse. Alle behandelten Romane sind in dieser für Südafrika so bedeutsamen Periode erschienen, die nach Jahrhunderten der Diskriminierung nicht nur größte politische Veränderungen bedeutete, sondern auch auf literarischer Ebene ihre Auswirkungen zeitigte, u.a. durch komplett neue Identitätsmodelle, die die alten längst etablierten Identitätskonzepte ablösen sollten. Da sich der politische Umbruch in erster Linie auf die südafrikanische Gesellschaft auswirkte, waren damit zugleich deren Vorstellungen von dem, was es heißt, Südafrikaner zu sein, in Frage gestellt.
Den Untersuchungsgegenstand bilden sieben Romane von insgesamt vier Autoren, alle vier weißer Abstammung mit südafrikanischer Vergangenheit. Konkret handelt es sich um On the Contrary (1993), Imaginings of Sand (1996) und Devil's Valley (1998) von André Brink; The Devil's Chimney (1998) von Anne Landsman; This Day and Age (1992) und Horseman (1994) von Mike Nicol und schließlich The Innocence of Roast Chicken (1996) von Jo-Anne Richards. Diese Romane, die als Folie für moderne Identitätsentwürfe im Neuen Südafrika  - der ‚Rainbow Nation‘ - dienen, wurden vor allem deshalb ausgewählt, da sich ihre Autoren nicht nur stilistisch enorm voneinander abgrenzen lassen, sondern auch im Hinblick auf ihre jeweiligen Konzepte hinsichtlich des Umgangs mit Geschichte, was letztendlich zu einem breiten Spektrum - von didaktisch-progressiv bis hin zu nostalgisch-konservativ - von Konstruktionen weißer Identität führt.
In detaillierten Textanalysen stellt der Autor überzeugend dar, wie sich die modernen Identitätskonstruktionen in vier grobe Kategorien der Vergangenheitsdarstellung einteilen lassen: alternativ, surreal, mythisch und idyllisch. Immer im Hinblick auf die gemeinsame geteilte Vergangenheit ergeben sich dadurch vier kollektive Identitäten, die sich freilich enorm von der kollektiven weißen Identität (und Superioriät) unterscheiden, die vom offiziellen Geschichtsdiskurs während der Apartheid propagiert wurde. In Anlehnung an Hayden Whites Feststellung, daß historische Fakten verschiedenartig ausgelegt werden können, kommt Petzold auch zu der Überzeugung, daß die Autoren 'no longer aim at a realist recreation of a historical era […] but instead thematize the very search for historical truth' (27f.). Während Rasse z.B. in allen Romanen noch immer ein Thema ist, zeigt sich in den Textanalysen jedoch, daß das Konzept keine stabile Basis mehr für die Identitätskonstruktion darstellt. Vielmehr geht es um die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, um die Erforschung der eigenen Wurzeln, um das Graben in der eigenen Vergangenheit und letztendlich um den Versuch, sich mit dieser abzufinden, um daraus eine neue Zukunft entstehen zu lassen. Die Notwendigkeit des Geschichtsbewußtseins für menschliche Identitätsbildung ist somit auch die Prämisse, von der der Autor ausgeht, der in der 're-examination' der eigenen Geschichte eine mögliche Strategie für eine bestimmte Personengruppe - hier die 'white nation' - sieht, seine eigene Identität in Frage zu stellen und neu zu definieren.
Neben den fundierten Textanalysen zeichnet sich die Dissertation von Jochen Petzold vor allem durch einen auf das Wesentliche beschränkten und enorm gut durchdachten Theorieteil, sprachliche Klarheit und nicht zuletzt durch das ergänzende Sach- und Personenregister am Ende des Bandes aus.