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Religiöse Kunst, Kunstreligion und die Überwindung der Säkularisierung - WLA-Online - Wissenschaftlicher Literaturanzeiger
Religiöse Kunst, Kunstreligion und die Überwindung der Säkularisierung

Das Buch setzt Frühromantik, deren Grenzen eo ipso als historische Epoche vorausgesetzt werden, gegen eine Aufklärung ab, die indessen als Säkularisierung umrissen und damit ahistorisch festgelegt wird.
Aufklärung abzuqualifizieren, sie propagiere nur ein säkularisiertes 'kleines Glück', während 'der Versuch der Frühromantik, die Religion wieder zurückzuholen' und zugleich damit das 'große Glück', das 'Heil' wiederzuerlangen sucht. Ebenso einfach wie das Projekt ist auch seine anvisierte pendelartig wiederholte These und ihre Ausfaltung. Und man fragt sich als Leser: Aufklärung? Welche? Etwa Lessings Postulat religiöser Toleranz? Oder die Berliner Aufklärung um Nicolai? Jedenfalls von Lessings Rückgriff auf die Franziskaner-Spiritualen um Joachim di Fiore und ihrer ecclesia spiritualis liest man hier nichts, kein Wort. Daß es einen zur Epoche der Aufklärung parallel laufenden und mit ihr latent verquickten Pietismus gab, auch keine Zeile. Die pauschale Abwertung macht sich verdächtig als Ignoranz gegenüber der höchst differenzierten Aufklärung und erschwert erheblich die erwartungsvolle Lektüre. Texte von Leibniz, Mendelsohn oder Lessing erscheinen nirgends als hinreichende Folie, das lehrt bereits ein Blick in das nicht eben professionell aufgeführte Literaturverzeichnis. Die Basis dieser Aufklärungs-Kritik ist eine beliehene Sekundär-Literatur, die nicht durchaus immer verläßlich sein kann. Die Autorin arbeitet vielmehr mit einem ab-solut sicheren Selbstverständnis hinsichtlich des Phänomens 'Religion'. Ein unreflektierter Initiationsduktus macht es verständlicherweise leicht, die frühromantischen Texte, gleichsam Revue passieren und durch das Nadelöhr einer geheimen Kamera laufen zu lassen, um aus dem ergiebigen Fluß der Sprache die aufblitzenden 'Religions'-Splitter herauszusondieren.
Folgerichtig die verstreuten Interpretationen: Man könne etwa Wackenroder, wie seine Berglinger-Novelle demonstriert, 'nicht nur als Erfinder der romantischen Kunstreligion, sondern auch als einen ihrer schärfsten Kritiker bezeichnen' (S. 63). Zwar: Wackenroders 'Religiosität und damit seine Reaktion auf den Religonsverlust ist komplex', aber durchgängig ernst und nicht etwa 'Rollenspiel oder Heuchelei'. Vielmehr haben alle Texte nur ein Ziel: Religion. 'Und nur Klosterbrüder und allwissende Pater können noch Auskunft geben über eine Zeit, in der die Welt noch in Ordnung war.' (S. 68). Nach diesem Schema bzw. Modell werden sie alle der Reihe nach behandelt: Tieck, Friedrich und August Wilhelm Schlegel, Bonaventura, Dorothea Schlegel, Achim von Arnim, Brentano. Wenn die Verfasserin die religionsfeindlichen 'Vorurteile' (passim) der Literaturwissenschaftler herausstellt, so darf e contrario angenommen werden, daß sie sich selbst getragen weiß nicht nur von einer religionsfreundlichen Gesinnung, sondern vom Wissen um die wahre 'Religion'. Mit diesem un-bedingten Wissen um die Sache 'Religion', das sich wissenschaftlich geriert und die eigene wissenschaftlich nie zu sichernde Glaubens-Basis nicht in Frage stellt, schließt sie sich kurz mit dem Phänomen der frühromantischen Schriftsteller, rechtfertigt und folgert auf diese Weise eo ipso ein identifikatorisches Verstehen. Die Rezension will durchaus nicht ungerecht sein, im Gegenteil. Der Eifer um den Begriff 'Religion' ist nicht nur kennzeichnend sondern anerkennenswert; denn es wäre wohl an der Zeit, das Phänomen 'Religion' abzugrenzen von allen Almagamen wie Kunstreligion, religiöse Kunst u.ä.; aber es wird nicht selbstkritisch bedacht, daß die Selbstgewissheit dessen, was 'Religion' ist oder zu sein hat, ein Vor-Urteil ist, das auf sekundärer Entlehnung basiert und notwendigerweise dazu führt, literarwissenschaftliche Abweichungen davon einer Kritik zu unterziehen, die einer Ver-Urteilung gleichkommt.
Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur wird also vermieden ' wäre 'Zeitverschwendung' (S. 51). Im sicheren Bewußtsein dessen, was 'Religion' ist, wird sie wie eine reine Perle in den Ackerkrumen der Literatur zwischen den sie verdeckenden Schollen 'Kunstreligion' oder 'religiöse Kunst' gesucht und natürlich gefunden. Das wissenschaftliche Prinzip ist einfach und irrtumsfrei. Die Perle, die ich vorne in die Schachtel hineinstecke, kommt hinten, trotz des Gemenges wieder rein heraus.
'Religion' ist immer vorhanden, wenn auch nur als Sehnsucht, versteckt in 'Pseudo- oder Schwundreligion', und auch 'religionsnahe Phänomene wie Magie, Mystik und auch säkulare Ergriffenheit' und sogar die Ideologien bezeugen als 'Erzatzreligion' immer nur den Verlust und damit die latente Nähe der verlorenen Religion (S. 53ff). Die Forschungsliteratur zur Frühromantik zeichnet sich aus durch ihre 'Unfähigkeit zur begrifflichen Erfassung des Phänomens Religion.' (S. 151)  
'Religion' nämlich bzw. ihre 'Rückholung' ist das Agens und Ziel aller frühromantischen Tendenzen; sie findet Ausdruck nicht nur in der Kunst. 'Alle anderen von der Frühromantik für wichtig erachteten Interessensphären wie Liebe, Gefühl. Mittelalter, Sehnsucht, Reisen/Wandern und Natur sind in ihrer frühromantischen Gestalt ohne ihren Religionsbezug nicht einmal zu verstehen' (S. 152) Das zwischen Sekundär-Forschung und wissenschaftlichen Selbstbewußtsein pendelnde Denken dreht sich im Kreis mechanischer Wiederholungen. Das Thema wird durch stilistische Variationen nicht deutlicher, allenfalls verwässert sich der latente Ernst der Sache; aufschlussreich das 'wissenschaftliche' Resumee: 'Wer die geschilderten Tatsachen ' die Beschreibung der Frühromantik als Sehnsucht und Suche nach der Religion ' geringschätzt, wer die bei aller Differenz doch beeindruckende Einheitlichkeit gerade in den erwähnten Tendenzen (die bei allen Frühromantikern vertreten sind) wie die bisherige Forschungsliteratur nicht versteht oder aus Voreingenommenheit missachtet ' der wird die Frühromantik niemals begreifen oder gar wissenschaftlich beschreiben oder erklären können.' (S. 167)