Social Theory in a Changing World
Conceptions of Modernity

In seinem Buch zeigt Gerard Delanty (Professor an der Universität Liverpool) auf überzeugende Weise, daß, obwohl wir es im Moment mit einer Krise der Moderne zu tun haben, es dennoch übereilt bzw. falsch wäre, vom Beginn der Postmoderne zu sprechen. Das ist auch zugleich die Kernthese seines Buches und ein Thema, dem der Autor sich auf sehr verschiedene Weise nähert.

So versucht Delanty die Moderne als ein vielfältiges Projekt darzustellen, dessen Verwirklichungspotential jedoch durch mehrere Faktoren ins Schwanken - oder besser gesagt - in eine Krise geraten ist. Unter den Faktoren, welche auf die Krise des Projekts der Moderne hindeuten, führt der Autor vor allen Dingen die folgenden an: die Krise des Nationalstaats, die Unhaltbarkeit der Trennung zwischen Öffentlichem und Privatem, eine nachhaltig veränderte Klassenstruktur, das Auftreten der Massengesellschaft, und schließlich noch das Aufkommen der Globalisierung (dieser Punkt ist allerdings nicht ganz neu). Gleichzeitig fügt Delanty aber hinzu, daß dies noch lange nicht bedeutet, daß wir in das Zeitalter der Postmoderne eingetreten sind. Statt sich über das Ende der Moderne zu beklagen, zieht er es vor, von deren kritischer Einlösung zu sprechen, und zwar hauptsächlich aufgrund der von ihm im folgenden zitierten 'Quellen ihrer Rettung': 'Kreativität, Reflexivität' und schließlich noch 'Diskursivität' (KRD). Diese drei Quellen der Rettung stellen in Delantys Theorie der Moderne bis jetzt weitgehend unerschöpfte, theoretische und praktische Chancen zur Erneuerung sozialwissenschaftlicher Analyse dar, zumal sie bereits innerhalb der Struktur der Moderne und in ihrem Ursprung vorhanden gewesen sind.

Delantys Theorie der KRD fußt im weitesten Sinne auf seiner kritischen, jedoch differenzierten Lektüre der Werke moderner Sozialwissenschaftler, die, wie er selbst, die Moderne gegen die Vereinnahmung durch die Postmoderne und den Poststrukturalismus verteidigen wollen. In erster Linie sind es die Ideen von Habermas, Giddens, Eder, Alexander, Beck, Touraine und Melucci, welche den theoretischen Rahmen von Delantys eigener Position hier stützen.

Das Buch läßt sich sehr gut lesen und darf zunächst aus zwei Gründen zur Lektüre an alle Sozialwissenschaftler mit einem Interesse an der Theorie der Moderne empfohlen werden: 1) als gute Einführung in die Theorien und Ideen von Philosophen wie Habermas und anderen Denkern, die in der Tradition des kritischen Modernismus stehen, und deren Theorien sich seit den 60er Jahren im Wissenschaftsbetrieb bereits fest etabliert haben, und 2) als gute Einführung in Delantys eigenen Standpunkt in Bezug auf dieses Thema, den er gegen die anderen in seinem Buch beschriebenen Positionen abzugrenzen weiß. Dies bedeutet also, daß Delantys Buch sowohl als ausgezeichnete Zusammenfassung der Diskussion um den Begriff der Moderne in der sozialwissenschaftlichen Theorie der letzten 40 Jahre, sowie auch als ein interessanter, zumal völlig eigenständiger Beitrag (und Kommentar) zu dieser Diskussion dienen kann.
Ein kritisches Wort zum Schluß sei hier noch hinzugefügt: Delanty besteht darauf, daß sowohl die liberale wie auch die marxistische und die postmoderne Theorie von den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen der letzten Jahre weitgehend überholt worden seien. Delanty bezieht sich in seiner These jedoch kaum auf Karl Marx, die Frankfurter Schule, die Theorien von Bob Jessop in England oder auch die 'l'école de la régulation' (Alain Lipietz, Charles Boyer, Michel Aglietta etc.) in Frankreich.

Das bedeutet, daß es im ganzen Buch so gut wie keinen Hinweis auf die zweifelsohne vorhandene ökonomische Basis von Delantys Theorie der KRD gibt, welche er selbst als so innovativ preist. Auf diesen Kritikpunkt würde er wahrscheinlich mit Recht antworten, daß er schon einiges mit seinem an und für sich sehr aufschlußreichen Buch erreicht hat, ohne dabei auch noch einen Bezug zur politischen Ökonomie hergestellt zu haben - so viel Wohlwollen sei ihm hier eingeräumt! Mir leuchtet es aber nicht ohne weiteres ein, daß seine Theorie der KRD uns dahin führen könnte, wo Delanty gerne mit ihr hin will, ohne daß er seinen drei Begriffen eine ökonomische Basis zugesteht: Geht seine Theorie in bestimmter Hinsicht weiter als die des klassischen Marxismus, so geht sie am Ende doch leider auch wieder einen Schritt hinter diesen zurück!