Leben und Sterben können
Gedanken zur Sterbebegleitung

Der Verfasser bezeichnet den interdisziplinären Ansatz seines Werkes als 'verwegen', der Klappentext weist auf 'kühne Brücken' hin, welche in dem Werk geschlagen werden, und die Breite der Untersuchung überfordert sicherlich jeden Leser und Rezensenten. Dies hat einen erstaunlichen Erfolg des Buches keineswegs verhindert: Es erscheint in dritter Auflage - ein seltenes und erfreuliches Schicksal für eine Habilitationsschrift.
Philosophie, Soziologie, Theologie und Rechtswissenschaft sind Wissenschaftsdisziplinen, auf welche sich der Verfasser bezieht und welche aus dem Werk Anregungen beziehen können. Sein für das Buch zentrale Anliegen besteht darin, eine Kultur des Sterbens zu propagieren. Dazu gehören Sterbebegleitung durch Angehörige und in Einrichtungen, Erkenntnisse über die Bedingungen des Loslassen-könnens, das Verhältnis von Autonomie des Menschen und seiner Würde sowie ein Vorschlag an die Gesetzgebung: Jeder Mensch soll die Rechtspflicht haben, sich nach Eintritt in das Erwachsenenalter verbindlich (aber widerruflich) darüber zu äußern, ob er in medizinisch ausweglosen und mit Schmerzen verknüpften Situationen eine palliative Sterbehilfe wünscht oder nicht.
Dabei geht es dem Verfasser keineswegs darum, die Hürden für die palliative Sterbehilfe oder gar eine Freitodhilfe niedrig zu setzen. Im Gegenteil stellt er sehr hohe Anforderungen an die Fähigkeit der Menschen, sich bewußt mit ihrem Sterben auseinanderzusetzen und dafür Willensentscheidungen zu treffen.
Ihn stört unter anderem, daß gegenwärtig Entscheidungen am Rande des Todes oft nicht von den Betroffenen, sondern von behandelnden Ärzten getroffen werden.
Die ausführlichen und tiefgründigen philosophischen, soziologischen und theologischen Reflektionen des Buches dienen dazu, die Positionen des Verfassers zum Sterben zu fundieren und gegen Einwände abzusichern. Ob die Erkenntnisse so schwerwiegend sind, wie es nach eigenen Bekundungen der Verfasser selbst hin und wieder annimmt, kann der Rezensent auf der Grundlage seiner lediglich juristischen Fachkompetenz nicht beurteilen (der spezifisch rechtswissenschaftliche Erkenntniswert ist gering, und rechtswissenschaftliche Literatur dient dem Verfasser mehr als Anknüpfungspunkt für nichtjuristische Reflektionen denn für eine fachliche Auseinandersetzung - aber das ist bei einem derart originell interdisziplinären Werk zu einer interdisziplinären Thematik sicherlich kein Mangel). Jedenfalls erscheint die Darstellung - bei bewußten Weitschweifigkeiten - recht schlüssig und gespickt mit Denkanstößen.
Wer sich rechtspolitisch und gesellschaftspolitisch mit den Problemen der Sterbehilfe auseinandersetzt und über oberflächliche Pro-und Kontra-Positionen und fachliche Engstirnigkeiten hinausgelangen möchte, kommt wohl nicht darum herum, sich mit diesem Buch zu befassen.