Die Opern Franz Schrekers (1878 - 1934) erleben seit einiger Zeit eine bemerkenswerte Renaissance auf den deutschsprachigen Bühnen: Der Schatzgräber in Karlsruhe, Flammen und Christophorus in Kiel, Der ferne Klang in Berlin, Die Gezeichneten in Stuttgart - weitere Aufführungen werden folgen. Die Faszinationskraft, die von Schrekers Partituren ausgeht, ist groß: Der Wiener Komponist wußte in seinen musikdramatischen Werken das Menschenbild der Psychoanalyse mit der Klangsinnlichkeit des Fin de siècle suggestiv zu verbinden; er entwickelte ein gleichsam subversives Konzept von 'Modernität', das in der Verweigerung einer einheitlichen Klangsprache und in einer bewußten Hinwendung zum Synkretismus der verschiedensten Stilebenen Ausdruck findet.
Schreker war und blieb von Anbeginn ein umstrittener Komponist: Den einen war er zu avantgardistisch, den anderen zu romantisch. Die Nationalsozialisten brandmarkten seine Kunst als 'entartet' und vertrieben ihn von seinem Posten als Direktor der Berliner Musikhochschule. Nach dem zweiten Weltkrieg verstellte Theodor W. Adornos Verdikt, es handele sich bei Schrekers Partituren um 'Musik, die Luftwurzeln treibt', um die pubertären Phantasien eines begabten Dilettanten, den Zugang. Nach dem Zusammenbruch der politischen und der musikalischen Ideologien haben wir im 21. Jahrhundert offenbar wieder mehr Sinn für die einzigartige Qualität von Schrekers Partituren, für die psychische Gefährdung seiner hochkomplexen Charaktere, für die Mischung aus Gegenwartsdramatik und Märchenwelt, für die Traumspiel-Dramaturgie seiner Opern.
Da kommt ein Buch wie das hier zu besprechende gerade recht: Magali Zibaso verspricht uns nicht nur eine 'Biographie in Selbstzeugnissen', sondern sogar 'Analysen seiner Opern'. Das deutet auf schnelle Information, auf Faßlichkeit hin. Leider muß man aber vor diesem Buch warnen. Bestürzt blickt man auf den Buchumschlag, der den Namen des Komponisten verunstaltet: Da wird aus Franz Schreker ein Frank Schreker. Das sollte einem renommierten Verlag wie Pfau, der mit verdienstvollen Titeln zur Neuen Musik hervorgetreten ist, nicht passieren. Die zweite Irritation erwartet den schrekerkundigen Leser beim Blick in das Literaturverzeichnis. Die Autorin hat die Sekundärliteratur der letzten 25 Jahre schlichtweg nicht zur Kenntnis genommen: Es fehlen (mit einer Ausnahme) die einschlägigen Arbeiten von Sieghart Döhring, Christopher Hailey, Matthias Brzoska, Ulrike Kienzle und anderer. Der musikwissenschaftliche Diskurs über Schreker ist seither auf ein Niveau gebracht worden, das dieses Buch durchweg vermissen läßt.
So 'vergessen', wie Zibaso in ihrer Vorbemerkung schreibt (S. 7), ist Schreker nämlich gar nicht, und manches, was die Autorin an vermeintlich unveröffentlichten Selbstzeugnissen beibringt, wurde in jüngeren Arbeiten bereits publiziert und ausgewertet. Fragliche Datierungen, die sie aus älterer Literatur übernimmt, wurden in neueren Arbeiten bereits korrigiert. Der biographische Teil der Arbeit beruht somit auf einem veralteten Forschungsstand, auch wenn einige interessante Briefe und Dokumente aus Schrekers Berliner Zeit zitiert werden.
Die Werkmonographien kommen über teilweise konfus formulierte Inhaltsangaben kaum hinaus; die Anordnung folgt weder einer konsequenten Chronologie noch einem sonstigen erkennbaren Konzept. Manchmal werden den Werkbesprechungen Jahreszahlen beigegeben, manchmal nicht. Die Darstellung musikalischer Details bleibt punktuell oder pauschal; vieles ist von Gösta Neuwirth übernommen, dem verdienstvollen Initiator der musikwissenschaftlichen Wiederentdeckung Schrekers nach 1945. Einige Versuche, die Handlung von Schrekers Musikdramen psychoanalytisch zu deuten (beispielsweise beim Schatzgräber, S. 79), bleiben in Ansätzen stecken. Über die komplexe Symbolik oder über Schrekers Beziehungen zur zeitgenössischen Literatur und Geistesgeschichte erfährt man wenig. Die Einordnung in den musikgeschichtlichen Kontext ist mangelhaft.
Daß Zibaso Schrekers Opernkonzept eher in die Nähe von Dingelstedt als von Wagner rückt, (S. 44), ist einfach nur kurios; daß sie in einem simplen Triolenmotiv mit Überbindung und in aufsteigenden Intervallen typische Elemente der Schrekerschen Klangsprache erkennen will (S. 46), stellt der Originalität des Komponisten ein schlechteres Zeugnis aus, als er es verdient. Die Darstellung ist insgesamt unbeholfen und ungenau. Was das Faszinosum von Schrekers Partituren ausmacht, wird nicht deutlich. Das ist sehr schade, denn ein prägnant formulierter Schreker-Opernführer könnte gerade jetzt sehr hilfreich sein. Wer wirklich etwas über Schreker erfahren will, sollte sich schon die Mühe machen, Christopher Haileys vorzüglich recherchierte, überaus verläßliche, ebenso material- wie kenntnisreiche Monographie von 1993 und die seit 1975 erschienenen Werkmonographien zu lesen, die Zibaso leider entgangen sind.