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Konfigurationen der Macht in der Frühen Neuzeit - WLA-Online - Wissenschaftlicher Literaturanzeiger
Konfigurationen der Macht in der Frühen Neuzeit

Der Titel weckt gleich mehrfach das Interesse des Lesers. Zum einen wird hier ein direkter Bezug auf die neuere Selbstreflexion der Moderne vorgenommen, die mit den Namen und Theorien von Bataille und Schmitt oder Foucault und Habermas auf unterschiedlichste Weise gegeben ist. Zugleich läßt er die Hoffnungen auf methodische und thematische Präzision aufkommen, die über das normal Gebotene hinausgehen. Handelt es sich doch bei Konfigurationen im linguistischen Sinne nicht einfach um eine ungeordnete Menge von Merkmalen in einer Häufung (cluster), sondern um eine geordnete Menge von semantischen Merkmalen. Konfigurationen der Macht würde demnach bedeuten, daß hier das grundlegende Set der Merkmale der Macht analysiert und geordnet wird, wobei die methodische Vielfalt eine genauere Zu- und Einordnung der Semantik ermöglicht. Weil zudem der Fokus auf der Frühen Neuzeit liegt, erlaubte ein solcher Zugang die historische Sezierung und damit Offenlegung von modernen Machtkonfigurationen in deren Geburtsstunde. Diese so geweckten Erwatungen sind (zu?) hoch und können - das sei von vornherein gesagt - nicht immer eingelöst werden. Zu Beginn wird eine sinnvolle und interessante Einschränkung oder Erweiterung der Thematik von den Herausgebern vorangestellt, wenn sie als zentrale Frage der Beiträge die nach dem Gestaltwerden von Macht in der Literatur der Frühen Neuzeit nennen. Doch auch diese Verschiebung wird nur bedingt durch die Beiträge getragen. Denn wie dies häufig bei Sammelbänden der Fall ist, die Ergebnisse von Tagungen zusammentragen, finden sich neben Aufsätzen, die der gestellten Thematik nachgehen, auch solche, bei denen der Bezug zum Thema eher lose ist. So würde - um ein Beispiel zu geben - der Titel 'Anatomie et Mémoire' statt 'Pouvoir et Mémoire' den Inhalt der äußerst lesenswerten Studie von Louis van Delft besser wiedergeben. Doch damit wäre natürlich auch ihre mangelnde Referenz zum Rahmenthema angezeigt.
Der Großteil der Beiträge jedoch widmet sich dem gestellten Thema unter verschiedenen Blickwinkeln. So eröffnet Helmut Pfeiffers Vorlage 'Die Macht der Verschwörung. Diskurs und Inszenierung zwischen Machiavelli und Shakespeare' die Diskussion um die Konstitution von Macht und deren möglicher Temporalität durch den Handlungstrieb, der ambizione, ihrer Opponenten. Die Fragilität der Macht und die mögliche Kontingenz der Verschwörung bilden eine latente Analogie, eine strukturelle Offenheit. In der Bearbeitung der Ergebnisse tritt dann eine grundsätzliche Ermächtigung der Literatur hervor, in der die ars der Machiavellischen Verschwörer und die Shakespearsche Inszenierung reale Konfigurationen desselben Gefüges sind. Hier wird klar sichtbar, was die Herausgeber mit ihrem Titel angezielt hatten und welcher Gewinn ein solcher Zugang bieten kann. Das weisen auch die beiden anschließenden Koreferate von Karl Maurer und Eckhart Lobsien aus. Eine andere Konfiguration stellt Rüdiger Campe in seinem Aufsatz über das 'Theater der Institution' vor, das er anhand einiger Trauerspiele von Gryphius untersucht. Daneben gibt es einige Beiträge, die vor allem der Frage nach der narratologischen bzw. diskursiven Gestaltung von Macht in einzelnen Texten nachgehen. Patricia Oster untersucht dies anhand von Marguerite de Navarres Heptaméron, wobei sie die durch die Doppellung der Autorin als reale souveraine und als leitende literarische Figur - Parlamente - ermöglichten imaginären Freiräume offen legt. Demgegenüber interessiert Bernhard Teuber die Formen der Entmächtigung, wie sie in Montaignes Essais vorliegen. Foucault folgend liest er in den Essais den Versuch einer machtkritischen écriture de soi, die stets bemüht ist, die Distanz zu den sprachlichen Machtdispositiven zu bewahren. Verena Olejnicka Lobsien wiederum verfolgt in ihrem Beitrag 'Oroonokos ‚Great Mistress‘' den Nexus von Fremdheit und Macht, wobei sie sich besonders für die im Roman enthaltene Figuration des Weiblichen interessiert. In einer Engführung von Gender- und Postcolonial-Studies untersucht sie die Formen der Alterität und der Kompensation derselben durch imaginäre Freiräume. Allerdings ist bereits hier der Bezug zum eigentlichen Thema der Konfigurationen eher lose. Deutlicher ist dieser wieder in der Studie von Ulrich Schulz-Buschhaus über 'Konversation als Machtkampf', in der er der Frage - im Sinne Luhmanns - über egalitäre und asymmetrische Interaktion, d. h. Konversation in Oberschichten und deren Problematik von Selbstbehauptung und hierarchischer Einordnung nachgeht. Hinzu kommt ein Beitrag, der die Inszenierung von Macht-Kapital betrachtet: Hans-Hagen Hildebrandt beschäftigt sich in seinem Aufsatz über 'Don Juan - Das Geld und die Macht' mit dem symbolischen Kapital der Ehre im Allianzdispositiv (Foucault) und der Konvertibilität von Geld und Macht im Spanien des siglo d'oro. Der Band wird abgerundet durch weitere Studien zu Gracian bzw. genauer die theologische Gnadendiskussion im Umfeld des Tridentinums und den Cervantinischen Novellen, die für sich genommen sehr informativ sind, deren Bezug zum Rahmenthema jedoch nicht ganz klar wird. Auf der anderen Seite steht Ruth Grohs einleitende Abhandlung über Carl Schmitts Hobbes-Lektüre. Hier ist zwar der Bezug zum ersten Teil des Titels klar, doch ist der Fokus auf die Frühe Neuzeit nur über den Bezugspunkt Carl Schmitts gegeben.
Abschließend läßt sich zweierlei festhalten: Zum einen ist die in vielen Beiträgen vorgenommene Referenz auf Luhmann und Foucault sehr spannend und ergiebig und könnte vielleicht die bisherigen Diskussionen um Zusammenführungen von Derrida und Foucault bzw. Derrida und Luhmann produktiv erweitern. Zum anderen muß man den Herausgebern zustimmen, daß die von ihnen aufgeworfenen Fragen nach den Konfigurationen der Macht sicherlich zu den interessantesten für die Frühe Neuzeit gehören. Besonders die Erarbeitung der literarischen Konfigurationen erweist sich nach dem vorgelegten Band als äußerst anregend und erhellend.