Hegels Vorlesungen über die Logik
Berlin 1831

Langsam nähert sich die erste Abteilung der historisch-kritischen Ausgabe der Gesammelten Werke Hegels, welche die zu Lebzeiten veröffentlichten Schriften des Philosophen enthält, ihrem geplanten Abschluß, gleichwohl aber schlagen die bisweilen launischen Herzen der Forscher, die sich rastlos auch nach neuen Texten sehnen, der angekündigten Edition seiner Vorlesungen in der zweiten Abteilung immer stärker entgegen. Weil diese mit guten Gründen ihre gute Zeit braucht, ist die Abhilfe höchst willkommen, welche die bereits seit 1983 erscheinende Reihe Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte schafft. Dem vorliegenden Bande dieser Reihe gilt nun das besondere Interesse der Hegel-Interpreten, die sich mit seiner logischen Wissenschaft befassen. Denn die hier edierte Nachschrift - es handelt sich in der Tat weder um eine direkte Mitschrift der Vorlesung noch um eine Reinschrift, sondern um ein scheinbar für den Eigengebrauch bestimmtes, ausgearbeitetes Manuskript - ist nicht nur die letzte bekannte detaillierte Wiedergabe der Logikvorlesungen, die Hegel zwischen 1818 und 1831 insgesamt dreizehnmal gehalten hat, sondern einiges mehr: Entstanden in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu Hegels Arbeit an der zweiten, posthum veröffentlichten Auflage der Wissenschaft der Logik von 1832, bietet sie zudem bisher unbekanntes Material zur in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse enthaltenen Logik, welche dieser Vorlesung zugrunde liegt.
Die Nachschrift ist glänzend ediert und mit Anmerkungen gut versehen. Allerdings ist der Bezugspunkt der Platonverweise auf S. 27 und S. 85 - 86 (Transzendieren des Sinnlichen, Betrachten des Schönen und Guten an ihnen selbst), welche die logische Denkweise erhellen sollen, wohl nicht, wie angegeben, die kurze Beschreibung der bevorstehenden dialektischen Übung in Parmenides 135d-e, sondern eher die Darstellung der vorgeburtlichen Ideenschau in Phaedrus 246d - 250c. Der Text, der einheitlich und ausgeglichen wirkt, folgt der Einteilung der enzyklopädischen Logik: Vorbegriff (90 Seiten), Seinslehre (39 Seiten), Wesenslehre (40 Seiten), Begriffslehre (49 Seiten). Die Wissenschaft der Logik, nach Angabe Hegels die 'schwerste Wissenschaft', soll weder das unbefangene Denken der alten Metaphysik noch Empirismus oder Kritik, noch der gegen jede Vermittlung polemisierende Glaube sein. Als die Wissenschaft der Idee vollzieht sie sich durch die selbstbewußte Untersuchung der Kriterien, Kategorien und Gedanken, in denen sich das mit dem Sein identische Denken bewegt, um 'die Sache an ihr selber' - die Idee - zu erschließen. 'Es sind also zwei Seiten', behauptet Hegel, 'und es handelt sich nur um das Verhältnis von beiden, auf die Einheit von beiden kommt es an, welcher Art diese Einheit ist: Das ist die große Frage der Philosophie, die das Interesse unserer Zeit vornehmlich beschäftigt hat.'
In einer umfangreichen Einleitung legt der Herausgeber Udo Rameil - Hans-Christian Lucas ist während der Mitarbeit am Bande verstorben - die wichtigsten Zusammenhänge der vorliegenden Nachschrift luzide dar. Er berichtet über das Wechselverhältnis von Hegels Berliner Vorlesungen und der als philosophisches Lehrbuch dienenden Enzyklopädie, und er schildert die Anreicherung der enzyklopädischen Logik in der Werke-Ausgabe von 1840 durch Zusätze aus Hegels Logikvorlesungen; er markiert den Charakter des Vorbegriffs der Nachschrift als einer Einleitung in die spekulative Philosophie und bezieht deren Seinslehre auf die gegenüber der ersten Auflage von 1812 stark revidierte Ausführung in der zweiten Auflage der Logik; schließlich stellt er den Autor der Nachschrift, Karl Hegel, vor. In hohem Alter behauptete dieser, der immerhin Professor der Geschichte in Rostock und dann in Erlangen wurde, von sich: 'Sohn des Philosophen, wenn auch selbst kein Philosoph'. In der Nachschrift läßt sich dies vorwiegend nur an Schwierigkeiten bei der Urteils- und Schlußlehre der Begriffslogik erkennen. Vielmehr gilt das eigene Urteil des stolzen Vaters über den damals siebzehnjährigen Sproß, der bei ihm in mehreren Vorlesungen saß: 'mein Karl bohrt sich tüchtig hinein.' Man bohrt ihm gern nach, und das Forscherherz lacht im logischen Leibe.